Text
Nr. 79
Aufzeichnung des Staatssekretärs Pünder über eine Unterredung zwischen dem Reichskanzler und dem amerikanischen Botschafter. 11. September 19261
[Bereinigung der Besatzungs-, Oberschlesien- und Korridorfrage.]
Der amerikanische Botschafter Schurman hat am gestrigen Tage den Herrn Reichskanzler aufgesucht und ihm die Glückwünsche der Regierung der Vereinigten Staaten anläßlich des Eintritts Deutschlands in den Völkerbund2 überbracht. Der Botschafter verband damit die Frage nach den weiteren Plänen der Reichsregierung. Der Herr Reichskanzler hat sich in seiner Antwort ganz allgemein dahin geäußert, daß Deutschland bestrebt sein werde, alle Reibungen[201] zwischen den einzelnen Nationen möglichst auszuschalten und überall für den Frieden unter den Völkern der Erde einzutreten. Deutschlands vornehmster Wunsch beziehe sich auf die endgültige Bereinigung der Verhältnisse im Westen, nämlich die Besatzungsfrage. Ohne glatte Erledigung dieser berechtigten Forderungen könne wahre Friedensstimmung in Deutschland nicht aufkommen. Nicht viel anders lägen die Verhältnisse in Oberschlesien. Der amerik. Botschafter erwiderte spontan darauf, daß er gerade letzthin Oberschlesien besucht und sich auch persönlich davon überzeugt habe, daß die dortigen neuen Grenzen ganz unmöglich seien. Er sehe ein, daß bei solcher Grenzziehung die Wirtschaft darniederliegen müsse, da der neue Staat Polen mit der alten hochentwickelten oberschlesischen Industrie nichts Rechtes anfangen könne. Der Herr Reichskanzler bezeichnete im weiteren Verlauf des Gesprächs auch den polnischen Korridor als einen schweren Fehler, der unbedingt ausgeglichen werden müsse. Deutschland werde aber in dieser Frage nur in friedlichen Verhandlungen vorgehen und strebe gerade über den Weg des Völkerbundes eine friedliche Verständigung mit Polen an. Zu der Frage des polnischen Korridors äußerte sich der Botschafter nicht ausdrücklich, ließ aber doch erkennen, daß er für die Gedankengänge des Herrn Reichskanzlers volles Verständnis habe.
Pünder