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Nr. 101
Die Ortsgruppe Nürnberg der Kommunistischen Partei an den Reichskanzler. Nürnberg, 16. Mai 1920
[Betrifft: Wahlbehinderung der KPD.]
Im Auftrage der Kommunistischen Partei stelle ich hiermit die Anfrage an den Herrn Reichskanzler, was er zu tun gedenkt, um die Wahlfreiheit im Kreise 29 Franken zu sichern1.
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Im Wahlkreis 29 kandidierte Hermann Müller selbst an erster Stelle für die MSPD. Am 6. Juni wurden dort gewählt je drei Abgeordnete der MSPD, der USPD, der DNVP, zwei Abgeordnete der DDP und fünf Abgeordnete der BVP.
Zu dieser Anfrage möchten wir hier vor aller Öffentlichkeit feststellen, daß am 28. April unsere Wahlflugblätter beschlagnahmt, und bis heute noch nicht freigegeben wurden. Dieser unser Wahlaufruf war in sämtlichen Komm. Zeitungen ohne jede Beanstandung erschienen.
Eine Zusammenkunft der KPD, welche sich mit der Aufstellung der Kandidaten beschäftigte, wurde im Auftrage des Reichskommissars Gareis durch ein großes Aufgebot von Militär und Kriminalpolizei aufgehoben und unter dieser Bedeckung mittels Lastautomobilen zur Kaserne gebracht.
Daselbst wurden die Teilnehmer nach peinlicher Untersuchung (ja man scheute sogar nicht zurück, daß man unseren Genossinnen befahl, sich bis aufs Hemd auszuziehen), nach 8 stündiger Verhaftung entlassen. 4 Genossen wurden in Haft behalten, darunter unsere Kandidaten Otto Thomas und Hans Pfeiffer.
Genosse Heckert wurde am 28.8.19 durch das III. AK ausgewiesen. Am 19.4.20 wurde diese Ausweisung erneut [!]. Genosse Heckert ist aufgestellt als Reichstagskandidat für den Wahlkreis 29 (Franken). Ihm ist durch die erneute Ausweisung jede Möglichkeit genommen, vor seinen Wählern zu sprechen.
[256] Die gesetzlich garantierte Wahlfreiheit ist der Komm. Partei dadurch genommen, und müssen wir heute schon den Wahlakt in Bayern als ungesetzlich anfechten2.
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Der RIM erklärte am 8. Juni in einem Schreiben an das Zentralwahlkomitee der KPD: In Nürnberg sei am 9. Mai eine geheime Landeskonferenz der KPD von der Kriminalpolizei ausgehoben worden, nachdem die erforderliche Versammlungsgenehmigung nicht erteilt worden war. „Die Teilnehmer wurden nach Nürnberg überführt und nach Feststellung der Personalien und nach Abnahme der vorgefundenen Aufzeichnungen und Druckschriften noch am gleichen Tage freigelassen. Vorläufig festgenommen wurden: 1. ein angeblicher Johann Reischel, richtig Hans Pfeiffer, der falsche Legitimationspapiere bei sich führte und hierwegen sowie wegen falscher Namensangabe und Zuwiderhandlung gegen die Meldevorschriften dem Amtsgericht vorgeführt wurde; 2. ein angeblicher Max Kiefler, richtig Adolf Mainberg, gegen den Haftbefehl des Kriegsgerichts Dortmund wegen Plünderung, Hochverrat und Aufruhrs vorlag; 3. Redakteur Thomas aus München, gegen den der Staatskommissar Schutzhaftbefehl erließ. Auf Beschwerde wurde die Schutzhaft vom Landgericht Nürnberg als Beschwerdegericht aufgehoben. – Von der Störung einer Wahlversammlung und der Unterdrückung der Wahlagitation und Propaganda kann hiernach keine Rede sein“ (R 43 I/1002, Bl. 29).
Komm. Partei Deutschlands
Spartakusbund, Ortsgruppe Nürnberg.
[gez.] J. J. Grönsfelder.