2.41 (mu11p): Nr. 41 Besprechung mit Vertretern Preußens, Bayerns, Sachsens, Württembergs, Badens und Hessens über die Frage der Einwohnerwehren. 15. April 1920

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Nr. 41
Besprechung mit Vertretern Preußens, Bayerns, Sachsens, Württembergs, Badens und Hessens über die Frage der Einwohnerwehren. 15. April 19201

1

Kempner versah die Niederschrift mit dem Vermerk: „Geheim!“ Zuvor fand bereits am 13. 4. eine Besprechung statt, s. E. Könnemann, Einwohnerwehren und Zeitfreiwilligenverbände, Dok. Nr. 26, S. 397 ff.

R 43 I /2729 , Bl. 119-123

Anwesend: für die RReg: Müller, Koch; UStS Albert; LegR v. Prittwitz, v. Keller: StAnw. Hüssen; GehR Schmidt; von den Ländern: für Preußen: UStS Göhre; GehRegR v. Priesdorff; für Bayern: Gesandter v. Preger; MinR Sperr; RegR Pirner; Escherich, Kriebel; für Sachsen: MinDir. Schulze; für Württemberg: StPräs. Blos; RegR Cloß; für Baden: IM Remmele; für Hessen: MinR Matthias; Protokoll: RegR Kempner.

Reichskanzler Müller bemerkt einleitend, die Einladung zu der heutigen Besprechung sei wegen der Beunruhigung ergangen, die im Lande insbesondere wegen der Ansicht herrsche, die Einwohnerwehren sollten auf Forderungen der Gewerkschaften hin aufgelöst werden2. Dies sei nicht der Fall, für das Vorgehen sei vielmehr die Note des Generals Nollet maßgebend gewesen. Die[96] Entente sehe in den Einwohnerwehren die Kaders eines künftigen Heeres, das nach dem Muster des Krümpersystems aufgestellt werden könnte3.

2

S. hierzu Anm. 1 zu Dok. Nr. 20. Auch vor der NatVers. hatte der RK in einer Regierungserklärung am 12. 4. den hier mitgeteilten Standpunkt vertreten (NatVers. Bd. 333, S. 5052 ).

3

S. Anm. 2 zu Dok. Nr. 20.

Er, der Reichskanzler, befürchte, daß die Reorganisation und Umstellung der Einwohnerwehren daher nicht zu vermeiden sein werde. Insbesondere dürfe keinerlei Zentralisation nach außen erkennbar sein. Es dürften keine militärischen Übungen abgehalten werden, und auch in der Frage der Bewaffnung werde man Entgegenkommen zeigen müssen. Der Ausdruck „Wehr“ werde zu vermeiden sein, man werde statt dessen von Orts- und Flurschutz sprechen können. Die Reichsregierung habe es in Übereinstimmung mit den Regierungen der Länder für notwendig gehalten, sich mit diesen über die vorliegenden Fragen auszusprechen4.

4

S. demgegenüber aber auch Dok. Nr. 31.

Regierungsrat Pirner: Die Einwohnerwehren seien der einzige Schutz des bayerischen Volkes gegenüber Kommunismus und Bolschewismus5. Daher sträube sich die Bayerische Regierung in Übereinstimmung mit der gesamten bayerischen Bevölkerung gegen die Auflösung der Einwohnerwehr6. Eine entsprechende Anordnung würde auch praktisch undurchführbar sein, da die Bevölkerung übereinstimmend erkläre, ihre Waffen nicht ausliefern zu wollen. Der Versuch einer Entwaffnung würde zweifellos zu Steuerstreik und bewaffnetem Widerstand führen. Das Bestreben der Bayerischen Regierung, die Reichseinheit zu wahren, würde auf das äußerste erschwert, wenn das Reich Bayern zwinge, die Einwohnerwehr aufzulösen7.

5

Über das Verhältnis der bayer. Bevölkerung zur KPD hatte die Münchener Polizeidirektion dem StKom. für die öffentliche Ordnung in einem Schreiben vom 2.2.20 erklärt: „Der Grund, warum der KPD hier die Bewegungsmöglichkeit nicht gegeben werden sollte, wie sie sie in anderen Teilen des Reiches hat, namentlich in Berlin, ist vor allem der, daß in München die KPD durch die Aprilereignisse [1919] und die Aufrichtung der kommunistischen Räteherrschaft sehr übel belastet ist und daß sie hier infolge des Literaten- und Ausländertums noch immer einen zweifellos günstigeren Nährboden besitzt als in dem in vielen Fragen nüchternen Norden“ (R 43 I /2667 , Bl. 8-10, hier: Bl. 8).

6

Im gleichen Sinn hatte auch der Kreishauptmann der Einwohnerwehren Unterfrankens telegrafisch beim RK gegen die Ententeforderung, die Einwohnerwehren aufzulösen, protestiert: „Damit fiele eine der festesten Stützen der Ordnung und Ruhe im Lande. Erhoffe mit Bestimmtheit, daß sich schon im eigenen Interesse niemand finde, der den Mut hätte, die Einwohnerwehren zu entwaffnen.“ (R 43 I /2729 , Bl. 98). S. auch Dok. Nr. 90.

7

Die Einstellung der bayer. Regierung zu den Einwohnerwehren bezeugt ein Telegramm, das RK Bauer am 26. 2. zugesandt worden war, um finanzielle Unterstützung des Reiches für die Wehren zu erhalten. Darin heißt es: „Diese dienen nicht bloß den Gemeinde- und Landesinteressen, sondern mindestens in gleichem Grade dem Reichswohl. Sie sind die beste Bürgschaft für Wahrung der Sicherheit und Ordnung im ganzen Reich. Sie verhindern die Ausbreitung örtlicher Unruhen auf Land und Reich und schützen im Bedarfsfalle zahlreiche reichseigene Anlagen“ (R 43 I /2729 , Bl. 65). Zu separatist. Strömungen in Bayern s. Dok. Nr. 18.

Im Namen der Bayerischen Regierung bäte er die Reichsregierung, nochmals mit der Entente in eine Besprechung dieser Frage einzutreten.

Sächsischer Ministerialdirektor Dr. Schulze: Die Sächsische Regierung sei an eine Reorganisation der Einwohnerwehr bereits herangetreten, aber wegfallen könne sie im Interesse der Sicherheit des Landes nicht. Die Landessicherheitspolizei sowie die Reichswehr in unverminderter Stärke müßten unbedingt[97] erhalten bleiben, da sonst die extremen linken Elemente die Oberhand gewinnen würden8.

8

Bereits am 8.4.20 hatte der RK der sächs. Regierung mitgeteilt, die RReg. übersehe „in keiner Weise, daß für die aufzulösenden Einwohnerwehren ein Ersatz geschaffen werden muß, der die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung insbesondere in den Landesteilen garantiert, die Sicherheitswehr in genügender Stärke nicht haben“ (R 43 I /2729 , Bl. 81). Zur Schaffung eines Ortsschutzes in Sachsen s. E. Könnemann, Einwohnerwehren und Zeitfreiwilligenverbände, Dok. Nr. 28, S. 400 ff. Über Aufstandspläne der Kommunisten in Mitteldeutschland berichtete am 24. 4. der StKom. für öffentliche Ordnung in einem Lagebericht und führte dazu weiter aus: „Zur Kennzeichnung der Pläne der Aufrührer können die Ausführungen dienen, die der Schriftleiter der ‚Leipziger Volkszeitung‘ Böttcher am 20. 4. in einer Leipziger Versammlung von Unabhängigen gemacht hat. Er bemerkte, daß es zum Endkampf gehe, der nicht mit geistigen Waffen sich austragen ließe, vielmehr die rücksichtslose Verwendung der Waffen voraussetze, damit die Ziele des Proletariats diesmal auch wirklich erreicht werden. Denselben Gedankengang vertrat zu Leipzig-Plagwitz in einer Kommunistenversammlung der Genosse Rück. Generalstreik und geistige Waffen wären jetzt keine geeigneten Kampfmittel mehr. Zur Räteregierung, deren Ausrufung nicht mehr verzögert werden dürfe, werde man nur durch Anwendung von Waffengewalt kommen“ (R 43 I /2711 , Bl. 264 f.).

Württembergischer Staatspräsident Blos: Die Württembergische Regierung halte im Prinzip an der Einwohnerwehr fest, die sie nicht entbehren könne. Deshalb hätte sie den Wunsch geäußert, in neue Verhandlung mit der Entente einzutreten. Die Zentralisation der Wehr würde aufgegeben werden müssen, insbesondere wegen der Wirkung nach außen.

Durch die Nachricht der bevorstehenden Auflösung sei ein großer Teil der Bevölkerung kopfscheu geworden, es empfehle sich daher, in offiziösen Blättern genau auseinanderzusetzen, was beabsichtigt sei. Das Losschlagen von Seiten der äußersten Linken sei zur Zeit eher zu befürchten als das, seitens der äußersten Rechten. Die von Scheidemann ausgegebene Parole sei daher gefährlich9. Man dürfe die Aufmerksamkeit von der von links drohenden Gefahr nicht ablenken. Die Bestrebungen, die Unabhängigen und die Mehrheitssozialisten zu vereinigen, seien groß. Die Gewerkschaften beabsichtigten, reine Arbeiterwehren zu gründen. Ganz Süddeutschland halte es für eine ernste Gefahr, daß auf diese Weise der äußersten Linken die Waffen in die Hand gegeben würden. Er wolle über die Stimmung in Süddeutschland eine offene Erklärung abgeben: Die süddeutschen Regierungen hätten erklärt, daß sie sich an ihrem Festhalten am Reich nicht erschüttern ließen. Aber es liege eine starke Stimmung nicht gegen Preußen oder den Norden, wohl aber gegen Berlin vor. Man wolle in Süddeutschland nicht von Berlin, insbesondere nicht von der Berliner Straße abhängig sein. Er bitte die Reichsregierung, alle diese Gesichtspunkte in Erwägung zu ziehen10.

9

Am Schluß einer Rede, die Scheidemann als OB von Kassel am 11. 4. über die Folgen des Kapp-Putsches und über die für diesen Putsch Verantwortlichen gehalten hatte, war von ihm gesagt worden: „Als ich im September 1919 ausrief: Der Feind steht rechts!, bin ich vielfach geschmäht worden. Die Ereignisse haben mir recht gegeben. Und deshalb fasse ich zusammen: Die Deutschnationalen und ihre antisemitischen Hilfstruppen haben uns in den Krieg gehetzt; sie haben das Reich zugrunde gerichtet und das Volk in das Elend gestürzt; sie haben durch den Kapp-Putsch gezeigt, daß sie die alten Reaktionäre geblieben sind; sie haben durch ihre Politik den Bürgerkrieg entfesselt und noch den Gegner ins Land gebracht. Mit der gleichen Entschiedenheit, wie die Reaktion früher von uns bekämpft worden ist, muß sie auch fernerhin bekämpft werden. Also: Nieder mit der Reaktion! Es lebe die Demokratie! Es lebe der Sozialismus!“ (Vorwärts Nr. 186 vom 12.4.20).

10

S. hierzu auch Dok. Nr. 35.

[98] Reichskanzler Müller: Die Reichsregierung sei über die Stimmung in Süddeutschland unterrichtet. Diese sei aber als Argument der Entente gegenüber naturgemäß nicht verwendbar. Was die Frage der Gefahr eines Schlages von links anlange, so sei zu sagen, daß die Gefahr von rechts zur Zeit sehr groß sei. Er bemerke vertraulich, daß er gestern von Mitgliedern der deutschnationalen Volkspartei auf diese Gefahr ausdrücklich hingewiesen worden sei11. Es bestände die Gefahr, daß die Kommunisten und die Desperados unter den rechtsstehenden Offizieren gemeinschaftliche Sache machten, um unter dem Schlagwort des nationalen Kommunismus zu arbeiten.

11

S. Dok. Nr. 38.

Staatspräsident Blos: Er unterschätze die Gefahr von rechts nicht, halte es aber für unrichtig, eine Parole einseitig nach rechts auszugeben.

Badischer Minister Remmele: Mit der Möglichkeit eines Putsches von rechts müsse sicherlich gerechnet werden.

In Baden seien die Waffen der Einwohnerwehr nicht in Händen der Mitglieder, sondern seien in Depots niedergelegt. Ein Einfluß der Reichswehr auf die Einwohnerwehr dürfe nicht Platz greifen12. Militärische Übungen, Appells und ähnliches müßten naturgemäß bei der Entente einen ungünstigen Eindruck hervorrufen.

12

Verbindungen zwischen Einwohnerwehr, Reichswehr und Kapp-Putsch hatte Remmele bereits am 17. 3. in einem Telegramm an das RIMin. festgestellt: „Die Einwohnerwehrzentrale in Berlin erkundigt sich täglich mehreremale hier und in anderen Städten des Landes über die Fortschritte der Bewegung zum Anschluß an die Regierung Kapp. Gegen die Einwohnerwehrzentrale hat das bad. Ministerium des Innern schon seit Wochen einen Kampf geführt, weil diese Zentrale uns fortgesetzt zu treiben versuchte, Waffen in unbeschränktem Maße aufs Land zu verteilen. Die Kommandostelle der Reichswehr in Kassel hat sich vor einiger Zeit gegenüber der badischen Regierung beschwert, daß wir in dem Aufbau der Einwohnerwehren nicht schnell genug vorwärts machten. So wenigstens hat die Reichszentrale der Einwohnerwehren uns schriftlich mitgeteilt. Aus diesen Beobachtungen geht hervor, daß sich dieselbe des fortgesetzten Hochverrats schuldig macht. Wir sind bereit, über die in den letzten Tagen von den Einwohnerwehrzentralen angeknüpften Telefongespräche weitere Mitteilungen zu machen“ (R 43 I /2729 , Bl. 67).

Die Badische Regierung warte das Ergebnis der Verhandlungen der Reichsregierung ab und sei sich darüber klar, daß schwere Erschütterungen der Außenpolitik hierbei vermieden werden müßten.

Innenpolitisch sei zu bemerken, daß eine Regierung, die von ihren bewaffneten Bürgern abhängig sei, zu bedauern sei. Die Einwohnerwehr sei zweckmäßig an die Polizeiorgane anzugliedern. Die Badische Regierung sei in ihren Vorbereitungen zur Umbildung der Einwohnerwehren durch den Kapp-Putsch gestört worden. Im Anschluß an diesen sei die Forderung der Arbeiterwehren aufgestellt worden. Nur ihre listenmäßige Aufstellung sei gestattet worden, und nur bei Gefahr für die Verfassung sollten sie die Waffen in die Hand bekommen. Um Mißtrauen zu beseitigen, habe man allerdings dazu schreiten müssen, die Studentenwehren zu entwaffnen. Stelle man nun Arbeiterwehren auf, denen man ihre Organisierung selbstständig überlasse, so bedeute dies das Ende der verfassungsmäßigen Stellung der Regierung. Man müsse sich daher auf eine Umbildung der Einwohnerwehren in der Weise einlassen, daß in Anlehnung an die Sicherheitspolizei und reine Polizei Waffendepots geschaffen[99] würden, wobei die Gewehrschlösser getrennt von den Gewehren aufzubewahren seien.

Dies sei das Ziel, das bei der Entente erreicht werden müsse. Gelinge dies nicht, so sei die Regierung nicht in der Lage, in der Stunde der Gefahr ihren Bürgern den nötigen Schutz zu gewähren.

Reichsminister des Innern Koch: Im großen und ganzen herrschten erfreulicherweise keine erheblichen Differenzen in der Anschauung über die Einwohnerwehren. In dieser Frage seien in letzter Zeit keine anderen Einflüsse wirksam gewesen als die Noten der Entente. Es sei zu bedauern, daß die Presse zu viel Material über die Einwohnerwehren veröffentliche, so sei insbesondere der vor einiger Zeit in der Täglichen Rundschau erschienene Artikel über die bayerischen Einwohnerwehren zu bedauern.

Nur die außenpolitische Lage und die Stellungnahme des Auswärtigen Amts seien maßgebend gewesen für das Herantreten der Reichsregierung an die Länder.

Es sei verfrüht, Ratschläge darüber zu geben, wie die Länder sich in dieser Frage im Einzelnen verhalten sollten. Die einzig mögliche Politik sei die, sich um die Frage sozusagen „herumzudrücken“, also eine Politik des elastischen Widerstandes. Solange nicht ein direkter Zwang der Entente vorläge, liege es der Regierung völlig fern, in die Organisation der Länder einzugreifen. Grundsätzlich aber sei zu empfehlen, nicht zu viel mit „Zentralen“ zu arbeiten und nicht zu viel zu organisieren. Eine Auflösung der im Reich vorhandenen Zentralen der Einwohnerwehren würde erfolgen. Die Reichsregierung beabsichtige nicht, dem vor einigen Tagen an die Länder gesandten Kommuniqué vorläufig etwas hinzuzufügen13. Es sei Sache der Länder, die Frage so zu behandeln, daß die Entente nicht erklären könnte, es sei nichts geschehen. Nicht außer Acht zu lassen sei jedoch, daß die Gewehre nach dem Friedensvertrag abzuliefern seien. Die Schwierigkeiten, die sich hieraus ergeben würden, verkenne er in keiner Weise. Es sei natürlich unmöglich, mit Truppen der Reichswehr den bayerischen Bauern die Waffen wegzunehmen. Man müsse eben abwarten, wie sich die Entente hierzu stelle. Die Not des Reichs und der Länder sei in dieser Frage gleichartig.

13

S. Anm. 6 zu Dok. Nr. 20.

Was die Gewerkschaftsfrage anlange, so hätten starke Übertreibungen dieser Frage in der Presse stattgefunden.

Neue Waffen für die Bildung von Ortswehren könnten nicht ausgegeben werden, ein Zwang des Reichs auf Gründung von Arbeiterwehren sei nie beabsichtigt gewesen. Die Möglichkeit einer zufriedenstellenden Erledigung der Frage der Einwohnerwehr erblicke er in der Verstärkung der Sicherheitspolizei. Aber auch dies sei eben abhängig von der Stellungnahme der Entente.

Die Reichsregierung unterschätze weder die von links noch die von rechts drohende Gefahr. Erforderlich sei, daß die ruhige Mitte sich durchsetze.

Ministerialrat Matthias: Die Hessische Regierung hätte stets Bedenken gehabt, gegen die Aufbewahrung der Waffen an konzentrierten Punkten. Im Namen der Hessischen Regierung richte er die Bitte an die Reichsregierung,[100] bei den Verhandlungen mit der Entente keine Konzessionen zu Gunsten der Einwohnerwehr auf Kosten der Sicherheitswehr zu machen. Diese müsse jederzeit nach bedrohten Punkten geworfen werden können, müsse aber alles ausschalten, was nach Zentralisation aussähe. Er bäte ferner dringend, bei den Verhandlungen die Räumung des besetzten Gebietes nicht dadurch zu verzögern, daß die Frage der Einwohnerwehr mit der Besetzungsfrage verquickt würde. In Hessen gäbe es keine Einwohnerwehr, um so schmerzlicher würde es dort empfunden werden, wenn wegen dieser Frage die Besetzung Hessens verlängert würde.

Unterstaatssekretär Göhre: Preußen beabsichtige nicht, Arbeiterwehren zu schaffen. Es dürfe aber nicht übersehen werden, daß es die Junker in Preußen gewesen seien, die den Kapp-Putsch gemacht hätten, und daß die Einwohnerwehren sich in den Kapptagen als unzuverlässig erwiesen hätten14.

14

Im gleichen Sinn hatte Göhre dem PrIM am 3.4.20 geschrieben: „Die Vorgänge bei dem Aufruhr der Kapp und Genossen haben die unbedingte Notwendigkeit einer gründlichen Umgestaltung der Einwohnerwehren unwiderleglich erwiesen. Mit ihr muß sofort begonnen werden“ (R 43 I /2729 , Bl. 72).

Die Forderungen der Gewerkschaften gingen zu weit, enthielten jedoch einen berechtigten Kern. Jetzt seien die organisierten Arbeiter bereit, sich am Schutze der öffentlichen Ordnung zu beteiligen. Dieser Auffassung müsse man entgegenkommen. Was in den Zeitungen über die Wünsche der Arbeiterorganisationen gestanden hätte, sei zum großen Teil unzutreffend.

Man müsse an dem Grundgedanken festhalten, daß die Sicherheitspolizei das Rückgrat des Einwohnerschutzes zu bilden habe. Daher sei der Aufbau und die Vergrößerung der Sicherheitspolizei bei der Entente anzustreben, auch wenn wir als Folge davon 20–30 000 Mann der Reichswehr streichen müßten. Die Waffen von etwaigen Reserven der Sicherheitspolizei seien in deren Kasernen zu hinterlegen, und sie dürften nur ausgegeben werden, wenn die Sicherheitspolizei nicht ausreiche. Einige Hundertschaften seien zu fliegenden Kolonnen auszubauen, deren Aktionsradius mit Hilfe von Kraftwagen möglichst auszudehnen sei.

Wo keine Sicherheitspolizei sei, müßte anstatt der Einwohnerwehr ein Orts- und Flurschutz geschaffen werden, aber in dezentralisierter Form. Die Zentrale der Einwohnerwehr im Preußischen Ministerium des Innern sei bereits aufgelöst15, es sei zweckmäßig, wenn das Reich diesem Beispiel folge. Dies würde unsere Stellung der Entente gegenüber erleichtern.

15

Die „Vossische Zeitung“ machte hierzu in ihrer Nr. 198 vom 18.4.20 eine Mitteilung aus dem PrIMin. bekannt: „Die Waffendepots der Einwohnerwehren im Landespolizeibezirk Berlin sind nach Anweisung des PolizeiPräs. von Berlin in Verwahrung der Sicherheitspolizei zu nehmen. Die Zentrale für Einwohnerwehren hat keinerlei Anordnungen mehr zu erlassen, sie gilt als aufgelöst. Dem Minister des Innern ist die Abwicklungsstelle der Zentrale für Einwohnerwehren unterstellt, sie hat den Abbau mit größter Beschleunigung durchzuführen.“

Geheimer Legationsrat von Keller: Es sei zu erwarten, daß die Entente die Frage der Besetzung von Frankfurt, Darmstadt usw. mit der der Einwohnerwehren einheitlich behandeln werde. Die Verhandlungen würden erschwert, wenn wir unseren passiven Widerstand zu deutlich zu erkennen gäben. Wer[101] gegen jede Konzession in dieser Frage predige, übernehme daher eine schwere Verantwortung gegenüber den okkupierten Ländern. Die Note Nollets hätte bejahend beantwortet werden müssen, da sonst die Mächte, die uns in der Besetzungsfrage unterstützten, gegen uns aufgeputscht würden. Man müsse beachten, daß in der Einwohnerwehr die Mächte der Entente einheitlich vorgingen.

Die Zentralisation müsse aufgehoben werden, aber diese sei gerade in Bayern recht beträchtlich. Die Aufrechterhaltung dieser Zentralisation sei außenpolitisch daher bedenklich. Mit dem Ausbau der Sicherheitspolizei könnte man, wie er hoffe, bei der Entente arbeiten.

Staatspräsident Blos: Er sei außerordentlich erfreut, die Versicherung mit nach Hause nehmen zu können, daß an ein Nachgeben gegenüber den gewerkschaftlichen Forderungen nicht zu denken sei.

Regierungsrat Pirner: Er begrüße die Erklärung des Reichsministers Koch, daß den Ländern in der Ausführung jede mögliche Freiheit gelassen werde. Die Anregungen des Reichs würden von der Bayerischen Regierung eingehend geprüft werden.

Reichskanzler Müller: Er nehme die Erklärungen der Regierungen der Länder mit Dank zur Kenntnis. Ein gangbarer Weg scheine nunmehr gegeben. Er versichere insbesondere der Bayerischen Regierung, daß es dem Reich fernliege, Bayern irgendwelche Schwierigkeiten zu machen.

Die Verhandlungen mit den Gewerkschaften seien innerhalb des Rahmens geführt worden, der unerläßlich sei, wenn man den Boden der Reichsverfassung nicht verlassen wolle.

Eine Zentralisation bei Einwohnerwehr und Sicherheitspolizei sei nicht mehr angebracht, zwischen Reichswehr und Sicherheitspolizei dürfe keine direkte Verbindung bestehen.

Was den Anteil der Arbeiter an der Sicherheitspolizei und Ortsschutz betreffe, so stehe nicht zu erwarten, daß ein großer Teil der Arbeiterschaft sich bereit finden werde, diesen Organisationen beizutreten16. Der Entente gegenüber müsse der Anschein erweckt werden, daß wir den Vertrag auch in diesen Punkten loyal erfüllen wollten. Wie die Praxis in den Ländern gehandhabt werden könnte, müßte die Zeit lehren.

16

S. Dok. Nr. 37.

Bei der Zusammenkunft in St. Remo würde die Entwaffnung in verstärktem Maße zweifellos verlangt werden.

Bei Flammenwerfern, Minenwerfern und Maschinengewehren müsse die Auslieferung restlos verlangt und durchgeführt werden. Auf diese Weise hoffe er, von den Einwohnerwehren noch etwas zu retten17. Er bemerke vertraulich,[102] daß England und Italien uns in vielen Lebensfragen unterstützten. Aber auch italienische Offiziere hätten gelegentlich ihr Erstaunen geäußert, daß soviel Waffen in Deutschland versteckt gehalten würden.

17

Zu dieser Frage nahm der OPräs. von Magdeburg am 16. 4. Stellung, der nur in einer Entwaffnung aller Links- und Rechtsextremisten in Stadt und Land die Möglichkeit sah, neuen Putschgefahren vorzubeugen. Zur Durchführung schlug er vor: „1. Die Einbringung eines Reichsgesetzes, nach welchem das vorsätzliche Verheimlichen von Waffen, für die kein Waffenschein erteilt ist, über einen bestimmten Zeitpunkt hinaus nur mit Gefängnis bestraft wird. Denjenigen, welche bis zu diesem Zeitpunkte die Waffen abgeben, ist insoweit, als sie sich durch unerlaubten bisherigen Besitz dieser Waffen strafbar gemacht haben, Amnestie zu gewähren. Zu bestrafen ist aber auch der, welcher von der Verheimlichung von Waffen durch einen dritten Kenntnis hat und keine Anzeige erstattet. – Nur bei Vorliegen mildernder Umstände oder fahrlässigem Handeln darf auch Geldstrafe zugelassen werden. – 2. Beginnend mit dem für die Ablieferung der Waffen festgesetzten Endtermin, muß durch Reichswehr und Sicherheitspolizei gebietsweise eine planmäßige Durchsuchung von Stadt und Land nach Waffen stattfinden. Diese Maßnahme muß schon bei der Verkündung zu 1) öffentlich bekannt gemacht und vorbereitet werden, um auf, diese Weise die Wirksamkeit der VO zu erhöhen.“ Hörsing fügte hinzu: „Ich bin mir bewußt, daß eine allgemeine Entwaffnung auf große Schwierigkeiten stoßen, und daß eine restlose Erfassung aller Waffen unter keinen Umständen zu erreichen sein wird. Trotzdem glaube ich, daß die vorgeschlagenen Maßnahmen unumgänglich notwendig sind, um wieder zu geordneten Zuständen zu kommen, und daß sie dazu führen werden, wenigstens den größeren Teil der zur Zeit in unrechtmäßigen Händen befindlichen Waffen aus dem Lande herauszuziehen“ (R 43 I /2729 , Bl. 132 f., hier: Bl. 132 f.).

Wenn die Waffen der Polizei in Depots niedergelegt würden, so sei es unerläßlich, diese Depots ausreichend zu sichern.

Die heutige Aussprache hätte gute Früchte gezeitigt. Die in den nächsten Tagen an die Entente zu richtende Note würde die heute vorgebrachten Gesichtspunkte berücksichtigen.

Regierungsrat Pirner: Er betone nochmals, daß die Einwohnerwehr das einzige Mittel sei, um sich gegen rechts und links zu sichern. Zerschlage man sie, so sei der Bolschewismus in Bayern unvermeidbar. Die bayerische Bevölkerung ginge so weit, daß sie lieber eine Besetzung ihres Landes durch die Franzosen wünschte, als die Herrschaft der Bolschewisten.

Eine Umorganisation der bayerischen Einwohnerwehr sei nicht möglich und auch nicht erforderlich, weil die jetzige Organisation dem Friedensvertrag nicht widerspräche. Nehme man der Einwohnerwehr die Gewehre weg, so würden alsbald 50–60 000 Gewehre auftauchen, die von den Anhängern der äußersten Linken versteckt gehalten würden18.

18

Unter Bezugnahme auf die süddt. Bedenken gegen die Auflösung der Einwohnerwehren sprach sich auch namens der mecklenburg-schwerinschen LandesReg. deren Gesandter Tischbein für die Beibehaltung der Wehren aus und erklärte in einem Schreiben an den RK am 16. 4.: „Die Ordnung in dem dünnbevölkerten Lande, insbesondere der Schutz der landwirtschaftlichen Erzeugnisse gegen Beraubung kann nicht aufrechterhalten werden, wenn nicht die Organe der staatlichen Polizei durch Einwohnerwehren nachdrücklich unterstützt werden. Die aus Mecklenburg-Schwerin abzuliefernde Menge an landwirtschaftlichen Erzeugnissen, insbesondere Kartoffeln, würde aller Voraussicht nach in bedenklichem Maße verringert werden, wenn durch Auflösung der Einwohnerwehren die Möglichkeit eines wirksamen Flurschutzes entfiele. Unter dem Einfluß des Kriegs hat, wie ich weiter hervorhebe, die Sicherheit, insbesondere auf dem platten Lande, erheblich nachgelassen, gut geleitete Einwohnerwehren sind für die Sicherung der ländlichen Bevölkerung gegen Bedrohung von Leib und Eigentum von erheblichster Bedeutung. Die ländliche Bevölkerung würde es nicht verstehen, wenn sie des Schutzes der Einwohnerwehren beraubt würde“ (R 43 I /2729 , Bl. 127).

GehRegR Schmidt: Die Entente erkenne die Berechtigung der Sicherheitspolizei an sich an, sie wolle jedoch nur jedem dritten Mann ein Gewehr zubilligen und im übrigen nur eine Bewaffnung mit Pistolen genehmigen. Eine Reichszentrale der Einwohnerwehr existiere nicht mehr.

[103] Bayerischer Gesandter von Preger regt an, die an die Entente zu richtende Note vorher in ihren Grundzügen den Ländern bekannt zu geben.

Reichskanzler Müller: Es sei beabsichtigt, in der Note hauptsächlich die Gefahren zu schildern, die bei Auflösung der Einwohnerwehr zweifellos eintreten würden. Auf die besondere Lage Bayerns würde dabei mit Nachdruck hingewiesen werden.

Reichskanzler Müller dankt den Erschienenen nochmals für ihre Mitarbeit, durch die weitgehende Übereinstimmung erzielt worden sei.

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