Text
Nr. 120
Das Sächsische Ministerium für auswärtige Angelegenheiten an den Reichsinnenminister. Dresden, 28. Mai 1920
R 43 I/2711, Bl. 403 f. Abschrift
[Betrifft: Politische Lage in Sachsen.]
Die Sächsische Regierung hat mit lebhaften Interesse von dem Schreiben des Herrn Reichswehrministers vom 7. Mai 1920 an den Herrn Reichskanzler Kenntnis genommen1. Sie beehrt sich zu der Frage, ob es sich empfiehlt, die gegenwärtige Anwesenheit von stärkeren Reichswehrverbänden in Südwestsachsen für die völlige Sicherstellung wirklich verfassungsmäßiger Zustände auszunutzen, folgendes zu bemerken:
Der Herr Reichswehrminister erblickt verfassungswidrige Zustände einmal in der Tatsache, daß sich in der Mehrzahl der größeren Ortschaften Südwestsachsens Vollzugsräte gebildet haben, die angeblich in mehr oder weniger auffälliger Form Einfluß auf die staatlichen und kommunalen Behörden ausüben. Der unterzeichnete Ministerpräsident2 hat bei der Entwicklung seines Regierungsprogramms vor der Volkskammer keinen Zweifel darüber gelassen,[297] daß ein Mitregieren oder eine unzulässige Einflußnahme nicht verfassungsmäßiger Organe oder Einrichtungen von ihm nicht geduldet werden wird. Nach Ansicht der Sächsischen Regierung sind aber Vollzugsräte, Aktionsausschüsse oder wie sich sonst Vereinigungen von Arbeitern und Angestellten nennen, nur dann verfassungswidrig, wenn sie sich anmaßen, behördliche oder sonstige amtliche Funktionen auszuüben. Letzteres ist in der Zeit während und unmittelbar nach dem Kapp-Putsch im März und April 1920 zweifellos geschehen. Zur Zeit aber sind solche gesetzwidrigen Eingriffe in die Verwaltung der Sächsischen Regierung nicht mehr bekannt geworden. Einen Anspruch auf Ersatz ihrer Ausgaben aus öffentlichen Mitteln haben diese Aktionsausschüsse natürlich nicht. Wenn solche Organisationen auf ihren Antrag von einzelnen Gemeindeverwaltungen Subventionen gewährt worden sind, so liegt nach Ansicht der Sächsischen Regierung kein Anlaß zum Verbot einer solchen Unterstützung vor, sofern ihre Gewährung nicht durch ungesetzliche Mittel (Drohung, Erpressung) erzwungen worden ist. Da Fälle dieser Art, soviel hier bekannt, nicht mehr vorliegen, bedarf es nach Ansicht der Sächsischen Regierung eines Einschreitens gegen noch bestehende Vollzugsausschüsse oder Vollzugsräte zum Zwecke der Wiederherstellung verfassungsmäßiger Zustände nicht.
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Johann Buck (MSPD).
Weiter weist der Herr Reichswehrminister darauf hin, daß sich in einer Anzahl Ortschaften Sachsens, z. B. in Chemnitz noch Einwohnerwehren befinden, die nicht von der Regierung genehmigt und bewaffnet sind und die in ihrer Zusammensetzung eine Gefahr für die Sicherheit des Landes bilden. Auch nach Ansicht der Sächsischen Regierung haben die nicht auf Beschluß einer Gemeindeverwaltung, sondern eigenmächtig ohne Zustimmung der Regierung errichteten Orts-, Einwohner-, Arbeiter- usw. Wehren kein Recht auf Waffenbesitz. Die Beseitigung dieses vielfach noch bestehenden verfassungswidrigen Zustandes bildet daher einen Gegenstand ständiger Aufmerksamkeit und ernster Sorge der Regierung, die die Verwaltungsbehörden angewiesen hat, gelegentlich der durch die Entente-Forderungen veranlaßten Umbildung der bisher bestehenden gesetzlich zugelassenen Einwohnerwehren auch die Wiedergewinnung in unberechtigten Händen befindlichen Waffen mit allen Mitteln zu betreiben. Mit Waffengewalt kann jedoch nach Ansicht der Sächsischen Regierung vor den Wahlen die Einziehung der noch nicht abgelieferten Waffen nicht durchgeführt werden, weil sonst ein Aufflackern der Leidenschaften in den verschiedenen Brandherden herbeigeführt werden könnte, das die bei den unruhigen Elementen eintretende Müdigkeit plötzlich beseitigen und den Gang der Wahlhandlung stören, ja stellenweise sogar verhindern könnte3.
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Zu diesem Schreiben wurde im RIMin. bemerkt: „Wenn Vollzugsausschüsse oder Vollzugsräte, die von einzelnen Klassen der Bevölkerung gewählt sind, neben den ordnungs- und verfassungsmäßigen Behörden bestehen, so ist zwar die Gefahr verfassungswidriger Eingriffe vorhanden; diese Organe können aber von Reichs wegen nicht als verfassungswidrig beanstandet werden, solange die in dem Schreiben der Sächsischen Regierung angeführten Voraussetzungen formal zutreffen. Die Zahlung der Kosten aus Gemeindemitteln von Reichs wegen als verfassungswidrig zu beanstanden, wird gleichfalls kaum möglich sein. Sache der Landesregierung dürfte es sein, im Wege der Kommunalaufsicht der ungehörigen Verwendung von Gemeindemitteln entgegenzutreten“ (29.6.20; R 43 I/2711, Bl. 403 f., hier: Bl. 404).
Unterschrift.