Text
Nr. 9
Flugblatt des Zentralrats Rheinland-Westfalen [2. April 1920]1
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Über dem Text notierte Brecht: „Im Kabinett 2/4 20 vorgetragen.“ Breuer, Referent in der Presseabteilung des AA, hatte unter dem Text vermerkt: „Düwell teilt mit, daß dies Flugblatt heute zur Verteilung komme.“ – Über die Kabinettssitzung vom 2.4.20 wurde keine Niederschrift ermittelt; s. aber dazu Anm. 13 zu Dok. Nr. 8 und Anm. 16 zu Dok. Nr. 10.
[Betrifft: Aufforderung an die Rote Armee, die Waffen niederzulegen.]
Soldaten der roten Armee in Bochum!
Die Vollversammlung der Vollzugsräte hat im Beisein der Obersten Kampfleitung und des Zentralrats am Donnerstag [1. 4.] einstimmig beschlossen, dem Bielefelder Abkommen zuzustimmen und den militärischen Kampf[20] gegen die Reichswehr sofort einzustellen. Die Regierung hat sich verpflichtet, den Vormarsch der Reichswehr sofort aufzuhalten. Das ist der Reichsregierung nicht gelungen. Offiziere handeln auf eigene Faust. Sie drängen die wohlorganisierten, schwerbewaffneten Truppen in das Industriegebiet2.
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Der Zentralrat sandte am 2.4.20 der Rkei ein Telegramm, in dem er den telegraphischen Protest mitteilte, den er an das Wehrkreiskommando wegen des Vormarschs von Reichswehrtruppen gerichtet hatte, der im Widerspruch zu den Abkommen von Bielefeld und Münster stehe: „[…] bei Fortsetzung Einmarsch ist Loslösung und Zurückführung der Arbeitertruppen unmöglich, da Kämpfe naturgemäß immer von neuem aufflammen. Verlangen unbedingt Einstellung Kampfhandlung, auch wenn Hilfrufe von Einzelpersonen erfolgen, deren Meldungen nicht nachzuprüfen sind und möchte bestellte Arbeit darstellen. Nur bei Zurücksendung der von Münster ausgesandten Truppen Wiederherstellung der Ruhe und Abwicklung mit Ziel Erfüllung Bielefelder Abmachungen von uns gewährleistet. Im anderen Falle volle Verantwortung beim Wehrkreiskommando und Regierung“ (R 43 I/2715, Bl. 166 f.). Zu dem Beschluß des Zentralrats, „die Bedingungen des Bielefelder Abkommens anzuerkennen und bis heute Mittag [2. 4.] die Waffen abzuliefern und die ordentlichen Behörden wieder in ihre Funktionen einzusetzen“, bemerkte Severing in einem Telefongespräch am Vormittag des Tages, „daß er wenig Vertrauen habe, daß die Delegierten noch die Macht haben, diesen Beschluß durchzuführen; er glaubt vielmehr, daß nichts anderes übrig bleiben wird, als morgen einzurücken. Er bittet ferner, ihn auf dem Laufenden zu halten, insbesondere über die Stellungnahme der Entente zu dem Einmarsch“ (R 43 I/2728, Bl. 200).
Soldaten, Genossen!
Wenn wir Euch trotzdem auffordern, den bewaffneten Kampf abzubrechen, so geschieht das in der wohlüberlegten Absicht, größeres Unheil zu verhüten. Wir wollen den Offizieren keine Gelegenheit geben, ein Blutbad unter den Arbeitern anzurichten und der Regierung nicht den Schein von Berechtigung bieten, diesem selbständigen Vorgehen der Reichswehr zuzustimmen oder es nachträglich zu rechtfertigen.
Soldaten!
Wir halten uns an die Vereinbarung mit der Regierung. Hält diese ihre Versprechungen nicht oder hat sie nicht die Macht, ihre Offiziere zu zwingen, ihren Aufforderungen zu folgen, so bedeutet das den Bankrott der Regierung, den Sieg des Militarismus. Dann ist das Proletariat des ganzen Landes gezwungen, den Kampf erneut gegen den Militarismus aufzunehmen. Dann ist die geschlossene Front der deutschen Arbeiter wiederhergestellt. Soldaten, Arbeiter des Industriegebiets! Dann führt Ihr den Kampf nicht mehr allein, in dem Ihr ohne Hilfe unterliegen würdet. Dann stehen an Eurer Seite die Arbeiter des ganzen Landes. Dann werdet Ihr mit ihnen zusammen kämpfen und siegen.
Soldaten, Genossen!
Wir müssen jetzt den bewaffneten Kampf einstellen. Wir wollen den deutschen Arbeitern und der Öffentlichkeit zeigen, daß wir die friedliche Verständigung wollen. Es gilt, die Vernunft, nicht das Gefühl sprechen zu lassen.
Genossen, Soldaten!
Laßt Euch nicht zu unbesonnenen Handlungen hinreißen, die Euch und der gesamten revolutionären Arbeiterschaft des Industriegebiets schwere Gefahren brächten. Gebt den nach Arbeiterblut dürstenden Offizieren der Reichswehr keine Gelegenheit, Euch niederschlagen zu lassen. Unterlaßt jetzt jeden bewaffneten Widerstand. Zieht Euch in Eure Hütten zurück.
[21] Soldaten, Genossen!
Wir müssen die schwere Anforderung an Euch stellen, um die revolutionäre Bewegung im Industriegebiet vor einem schweren Rückschlag zu bewahren.
Soldaten, Genossen!
Eure Pflicht ist es jetzt, das zu sichern, was Ihr bisher erkämpft habt. Sorgt dafür, daß die Waffen in Eurer Hand bleiben3, dadurch, daß Ihr in die Ortswehren eintretet. Sorgt dafür, daß nur die organisierten und politisch geschulten Genossen die Waffen in die Hand bekommen. Zweifelhafte Elemente haben sich in manchen Orten in andere Kampfreihen geflüchtet und schädigen unsre revolutionäre Bewegung durch ihre eigenmächtigen Handlungen.
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S. zur Waffenabgabe das Telegramm Severings an den RK vom 3.4.20, abgedruckt bei C. Severing, 1919/1920 im Wetter- und Watterwinkel, S. 200 f. (auch in R 43 I/2715, Bl. 224-227).
Soldaten, Genossen!
Sorgt dafür, daß unsere Bewegung von diesen Elementen gesäubert wird und daß die Waffen nur der revolutionären Bewegung dienstbar gemacht werden.
Soldaten, Genossen!
Übt proletarische Disziplin, sammelt Eure Kräfte, es gilt, den Kampf gegen den Militarismus, den Kampf für den Sieg der Revolution.
gez. Düwell | Zentralrat |