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Nr. 29
Besprechung mit Vertretern der Industrie des Ruhrgebiets beim Reichspräsidenten am 10. April 1920 vormittags
R 43 I/2715, gefunden in R 43 I/2716, Bl. 61 f. Durchschrift1
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MinR Brecht bemerkte auf der Niederschrift, die von MinDir. Meissner am gleichen Tag zugesandt wurde: „Ich habe teilgenommen“.
Außer dem Herrn Reichspräsidenten nahmen an der Besprechung folgende Herren teil:
Bürgermeister Dr. Most (MdN, DVP) Duisburg-Ruhrort; Geheimrat Wiedfeldt vom Direktorium Krupp in Essen; Präsident a. D. von Scheven von „Phönix“, Dortmund; Generaldirektor Schmitz von Thyssen, Hamborn; Direktor Wenzel aus Barmen; Direktor der Essener Kredit-Anstalt Lodz.
Geheimrat Wiedfeldt führte aus, daß die Reichswehrtruppen sich bei der Säuberung des Ruhrgebiets in der außerordentlich schwierigen Lage, in der sie ihre Pflicht erfüllten, ganz hervorragend bewährt hätten. Sie seien mit Ruhe und ohne Nervosität, aber auch ohne übermäßige Schärfe aufgetreten. Die Gefahr sei aber noch nicht vorüber, die Möglichkeit einer Wiederholung bestände. Die wichtigste Frage sei die der strengen Durchführung der Entwaffnung und zwar auch der Entwaffnung im Bezirk von Elberfeld und Barmen2; sonst[72] würde die Bewegung sich in kurzer Zeit wiederholen. Da das Militär nicht bleiben könnte, so sei es unbedingt notwendig, unverzüglich eine unpolitische Sicherheitspolizei in ausreichender Stärke zu schaffen. Die im Bielefelder Abkommen geforderten Ortswehren erscheinen nicht zweckmäßig, da sie politisch unzuverlässig und technisch ungenügend seien3. Die Forderungen der Industrievertreter sowie der Oberbürgermeister des Ruhrgebiets gingen dahin:
1. | Vollständige Entwaffnung, auch im Bergischen Bezirk; |
2. | das Militär müßte solange bleiben, bis eine genügende Sicherheitspolizei vorhanden sei; |
3. | Schaffung einer unpolitischen Sicherheitswehr. |
Der Herr Reichspräsident erwiderte hierauf4:
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MinR Brecht machte hierzu die Randnotiz: „Im Anschluß an den Herrn RPräs. habe ich diese Ausführungen mit seiner Billigung etwas modifiziert.“
Die militärische Aktion würde durchgeführt werden, insbesondere wird die Entwaffnung unter Androhung scharfer Maßnahmen durchgesetzt werden. Ob dies restlos geschehen könne, sei außerordentlich zweifelhaft. Da aber aus Gründen der inneren wie der äußeren Politik die baldige Zurückziehung der Truppen notwendig sei, sei veranlaßt, daß hinter der Truppe eine ausreichende Sicherheitspolizei aufgestellt würde. Ob wir bei der Aufstellung der Sicherheitspolizei mit der Entente Schwierigkeiten bekämen, sei noch zweifelhaft. Die Ortswehren seien nach Meinung des Herrn Reichspräsidenten den Einwohnerwehren gleichzustellen und kämen daher infolge des Ententeverbots der Einwohnerwehren5 nicht in Frage. In die Sicherheitswehr müßten unter gleichen Bedingungen auch Arbeiter eingestellt werden. Bezüglich des Einmarsches südlich der Ruhr in das Bergische Land beständen Bedenken:
1. | Es böte das Gelände militärische Schwierigkeiten; |
2. | außerdem warnen die Behörden und Interessenvertretungen dieses Gebiets einstweilen noch vor dem Einmarsch. |
Wenn die Verhältnisse sich dort änderten und die Ortsbehörden den Einmarsch wünschten, so müsse die Frage neu geprüft werden.
In der weiteren Erörterung brachten die Vertreter aus dem Ruhrgebiet zur Sprache, daß der Einmarsch in das bergische Land nach ihrer Meinung deshalb unbedingt notwendig sei, weil die Reste der Roten Armee in dieses Gebiet zurückgeflutet seien und dort Waffenlager angesammelt hätten, die später als Reservoir dienen würden, wenn die Säuberung nicht auch dort durchgeführt werde6. Die Herren baten weiter, darauf hinzuwirken, daß die Angriffe gegen[73] die Reichswehr eingeschränkt werden möchten und die Presse in diesem Sinne beeinflußt werde. Ein Vertreter wies auch auf die Absonderungsbestrebungen im Ruhrgebiet hin, die hauptsächlich in der Behauptung eines ungenügenden Schutzes durch die Reichsregierung ihre Nahrung fänden7.
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Daß auch die Reichswehr wegen der mangelnden Waffenablieferung Sorgen hatte, geht aus einer Aufzeichnung Hauptmann von Fumettis zur militärischen Lage vom 9. 4. hervor: „Die beabsichtigte Besetzung des Gebiets nördlich der Ruhr ist wegen unzureichender Waffenabgabe und der damit verbundenen Gefahr im Rücken der Truppe am 8. 4. nicht durchgeführt worden“ (R 43 I/2728, Bl. 159). Am 10. 4. traf beim RWeMin. ein Telegramm aus Münster ein: „General v. Watter erhält soeben von einem ihm persönlich als absolut sicher bekannten Vertrauensmann die sichere Nachricht, daß angesehene Kreise des Wuppertales in ihrer Verzweiflung über die dortigen Zustände und da sie an Hilfe durch eigene Regierung zweifelten, sich an das englische Oberkommando in Köln mit der Bitte um Einrücken gewandt haben. Dieses hat wohlwollende Berichterstattung nach London zugesagt.“ Das Telegramm wurde der Rkei durch Hauptmann von Fumetti zugeleitet. Brecht bemerkte dazu: „Warum gibt Watter seinen Vertrauensmann nicht an? und wer sind die ‚Kreise‘? – Nach letzten amtlichen englischen Schritten ist mit einem Vorgehen der Engländer praktisch nicht zu rechnen“ (R 43 I/2728, Bl. 150).
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Entsprechend auch C. Severing, 1919/1920 im Wetter- und Watterwinkel, S. 219.
Der Herr Reichspräsident sagte zu, daß auch diese Punkte Gegenstand der Fürsorge der Reichsregierung sein werden. Schließlich betonte der Herr Reichspräsident, daß diese Besprechung einen vertraulichen Charakter hätte und Veröffentlichungen über dieselbe nicht erwünscht wären, was die anwesenden Herren auch zusagten.