Text
Nr. 27
Der Oberpräsident von Westfalen Würmeling an den Reichskanzler. Münster, 9. April 1920
R 43 I/2716, Bl. 44-46 Telegramm
[Betrifft: Standgerichte im Aufstandsgebiet.]
Verweise wiederholt auf verhängnisvolle Wirkung gegenwärtiger Sistierung der Standgerichte. Wesentlich zur Schaffung geordneter Zustände ist die Herausholung der Waffen aus dem ganzen Unruhegebiet. Dies ohne Androhung standgerichtlichen Verfahrens nicht zu erreichen1. Anderenfalls wird sogar Vormarsch der Truppen gehindert, weil dann ihre Rückendeckung bedroht ist. Jedoch müßte zu größerer Rechtssicherung Militärbefehlshaber anordnen, daß im Standgerichtsverfahren nach § 5 Absatz 2 der für Standgerichte maßgebenden Verordnung mindestens ein Gerichtsmitglied zum Richteramt befähigt ist. Eventuell auch noch Beiordnung eines richterlich befähigten Beistands[68] für Angeklagten erwünscht2. Zu beiden Änderung der Verordnung des Reichspräsidenten nicht erforderlich. Bei Schaffung solcher Rechtsgarantien erscheint zulässig, daß Militärbefehlshaber sein Bestätigungsrecht auf Brigadeführer überträgt. Bitte, derartige Regelung alsbald anzuordnen; sonst stockt Aktion, Truppen und zuverlässige Bevölkerung werden entmutigt, Aufrührer bleiben Gefahr. Wehrkreiskommando wäre sogar einverstanden mit voller ziviler Besetzung der Standgerichte entsprechend den Schöffengerichten unter juristischem Vorsitz. Hierzu allerdings soweit Ausschließung des Offiziers infrage kommt Änderung der Verordnung des Reichspräsidenten erforderlich, was zur Zeit nicht zu empfehlen; jedoch könnte neben juristischen Beisitzer auch zweiter Beisitzer Zivilist werden durch Anordnung des Militärbefehlshabers. Neue Berliner Forderungen freier Gewerkschaften usw. vom 6. April3 erscheinen im wesentlichen unannehmbar, erregen bei zuverlässiger Bevölkerung größte Sorge und Mißstimmung. Warne dringend vor Zustimmung. Bevölkerung wünscht entschieden festes Durchgreifen der Regierung zur endgültigen Herstellung von Ordnung und Sicherheit4, politische Wirkungen sonst verhängnisvoll. Landesarbeitsamt Westfalen meldet außerordentlich verstärkte Arbeiterabwanderungen aus Bergbau seit Eintritt der Unruhen.
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Vgl. dazu auch Dok. Nr. 23, insbesondere Anm. 13.
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Dieser Vorschlag des OPräs. ist den späteren Ansichten des Wehrkreiskommandos VI ähnlich, die in der „Denkschrift […]“ (s. Anm. 13 zu Dok. Nr. 23) enthalten sind. Dort wird ausgeführt: „Besetzung: a. Eine zum Richteramt befähigte Person als Verhandlungsführer (in erster Linie richterliche Militärjustizbeamte, die der Truppe bei Beginn der Kampfhandlungen in ausreichender Zahl mitgegeben werden müssen); sie darf im Notfalle durch einen Offizier, der mindestens im Range eines Hauptmanns steht, ersetzt werden. […] b. Ein Offizier (möglichst Gerichtsoffizier). c. Eine mit den Orts- und Personalverhältnissen möglichst vertraute angesehene Person bürgerlichen Standes, die durch eine Militärperson ersetzt werden darf. (Ersatzbestimmung erforderlich, weil das Amt eines Richters von Personen der einheimischen Bevölkerung oft abgelehnt werden dürfte)“ (R 43 I/2718, Bl. 86-100, hier: Bl. 87).
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Gemeint sind wohl die Forderungen vom 7. 4. s. Anm. 2 zu Dok. Nr. 21.
- 4
Oberpräsident.