2.40 (mu11p): Nr. 40 Der Polizeipräsident von Berlin an den Reichsinnenminister. 14. April 1920

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[94] Nr. 40
Der Polizeipräsident von Berlin an den Reichsinnenminister. 14. April 1920

R 43 I /2711 , Bl. 251 f. Abschrift

[Betrifft: Ausnahmezustand in Berlin.]

Meines Erachtens wird für den Landespolizeibezirk Berlin der Ausnahmezustand sofort aufzuheben sein1. Bei diesem Standpunkt leiten mich die folgenden Erwägungen:

1

Der PolizeiPräs. war als RegKom. für den Landespolizeibezirk Berlin eingesetzt worden; s. Dok. Nr. 14.

Nur außergewöhnliche politische Verhältnisse rechtfertigen die Anordnung und das Fortbestehen des Ausnahmezustandes. Derartige außergewöhnliche politische Verhältnisse liegen gegenwärtig im Landespolizeibezirk Berlin nicht vor. Weder ist ein Anhalt dafür gegeben, daß in naher Zeit von rechtsradikaler Seite ein neuer Putsch geplant ist, noch ist zur Zeit mit einer Aufruhrbewegung von kommunistischer Seite zu rechnen.

Allerdings suchen gewisse Linksradikale die Arbeiterschaft in einen neuen Generalstreik hineinzuhetzen mit dem Ziele einer Beseitigung der gegenwärtigen demokratischen Regierung und einer Errichtung der Rätediktatur.

Es läßt sich aber auf der anderen Seite nicht verkennen, daß in der Gesamtheit der Großberliner Arbeiterschaft zur Zeit eine ziemlich weitgehende Kampfesmüdigkeit besteht und daß das Bedürfnis nach Ruhe, Ordnung und ungestörter Arbeit von Tag zu Tag mehr wächst. Die linksradikale Propaganda, die besonders von der neuen KAPD mit voller Schärfe betrieben wird2, wird daher jetzt nicht mehr den fruchtbaren Boden finden, den sie noch vor wenigen Wochen fand. Auch ist die Schlagkraft der Linksradikalen zur Zeit dadurch beeinträchtigt, daß sich jetzt innerhalb des Kommunismus zwei gleich starke Parteien, die KPD und die KAPD, bis aufs Blut bekämpfen und daß auch innerhalb der unabhängigen Sozialdemokratie sich aus Anlaß des Generalstreik-Abbruchs innere Streitigkeiten entwickelt haben. Auch fehlt es augenblicklich an einem geeigneten äußeren Anlaß, die revolutionäre Stimmung so anfachen zu können, daß sie sich in praktische Taten umsetzen läßt. Es ist ferner zu beachten, daß die radikale Propaganda ihre Schärfe zum Teil wohl jetzt lediglich wahltaktischen Rücksichten verdankt und daß die Unabhängigen und die Rechtskommunisten kaum die Absicht haben werden, die bevorstehenden Wahlen zu stören oder noch vor den Wahlen eine gewaltsame Entscheidung herbeizuführen, da diese Parteien ja selbst an den Wahlen teilnehmen wollen und zu ihnen bereits jetzt rüsten.

2

Die Kommunistische Arbeiterpartei Deutschlands war am 8.4.20 von einer Gruppe Linkskommunisten begründet worden, die die Revolutionierung weitertreiben wollten und sich gegen die Beteiligung an den RT-Wahlen aussprachen.

Jedenfalls ist meiner Ansicht nach eine unleugbare Entspannung der Lage eingetreten, so daß mir das Fortbestehen des Ausnahmezustandes überflüssig[95] erscheint. Diese Ansicht vertritt auch die Mehrheit der Großberliner Bevölkerung. So ist gerade während der letzten Tage in verschiedenen Groß-Berliner Stadtparlamenten die Aufhebung des Ausnahmezustandes mehrfach angeregt worden, und auch in der Berliner Stadtverordnetenversammlung wird, wie ich erfahren habe, vielleicht schon morgen, von beiden sozialistischen Parteien der Antrag auf Aufhebung des Ausnahmezustandes gestellt und sicherlich angenommen werden.

Von der Aufhebung dieses Zustandes verspreche ich mir unter diesen Umständen eine weitere Entspannung und den Eintritt allgemeiner Beruhigung, wobei ich selbstverständlich voraussetze, daß die Regierung gewillt ist, für Ruhe, Ordnung und Sicherheit mit allen gesetzlich zulässigen Mitteln zu sorgen und gefahrdrohenden Auswüchsen der radikalen Propaganda, gleichviel ob sie von rechts oder von links kommt, streng entgegenzutreten3.

3

Brecht schlug vor, eine Besprechung durchzuführen, an der teilnehmen sollten: der RK, der RIM, der RWeM, der PrMinPräs., der PrIM, der PolizeiPräs., MinDir. Meissner oder sogar der RPräs. Ein Protokoll einer solchen Besprechung wurde nicht ermittelt. Die Randnotiz Müllers: „Mo 12½“ läßt den Schluß zu, daß eine Erörterung für den 19. 4. angesetzt worden ist.

gez. Richter

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