Text
[85] Nr. 27
Aufzeichnung des Staatssekretärs Planck über Besprechungen mit dem bayerischen Gesandten v. Preger und dem württembergischen Gesandten Bosler am 15. Juni 1932
[Befugnisse der Landesregierungen nach Aufhebung des Uniformverbots und des SA-Verbots; Meinungsverschiedenheiten über Äußerungen des Reichspräsidenten hierzu; Anwendung des Art. 48 Abs. 4 der Reichsverfassung in Bayern]
Heute mittag suchte mich der bayerische Gesandte, Herr von Preger, auf, um mir beiliegende Aufzeichnung1 im Auftrage der Bayerischen Staatsregierung zu übergeben. Er teilte mit, daß er die gleiche Aufzeichnung schon soeben Herrn Staatssekretär Meissner überreicht habe. Dieser habe ihm erwidert, die Auffassung der Bayerischen Staatsregierung, daß das Ergebnis der Aussprache mit dem Herrn Reichspräsidenten vom 12. Juni die süddeutschen Länder in die Lage versetze, das Uniformverbot nach Aufhebung durch den Herrn Reichspräsidenten2 unter Anwendung des Artikels 48 Absatz 4 der Reichsverfassung3 neu zu verordnen, sei irrig. Der Herr Reichspräsident würde dies vielmehr als eine schwere Brüskierung ansehen. Von einer Anwendung des Artikels 48 Absatz 4 sei in dem Gespräch nicht die Rede gewesen. Der Herr Reichspräsident habe nur erklärt, daß er keine Bedenken dagegen sehe, wenn die Länder von ihren polizeilichen Möglichkeiten Gebrauch machten4.
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Abgedr. als Anlage zu diesem Dokument.
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Zur Aufhebung des Uniformverbots durch VO des RPräs. vom 14. 6. vgl. Dok. Nr. 24, P. II; 26, P. 2.
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Art. 48 Abs. 4 RV: „Bei Gefahr im Verzuge kann die Landesregierung für ihr Gebiet einstweilige Maßnahmen der in Abs. 2 bezeichneten Art [Maßnahmen des RPräs. zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung: Einsatz der „bewaffneten Macht“, Außerkraftsetzung verschiedener Grundrechte] treffen. Die Maßnahmen sind auf Verlangen des Reichspräsidenten oder des Reichstags außer Kraft zu setzen.“
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Zu dieser Besprechung des RPräs. mit den süddeutschen Länderchefs (12. 6.) und zu den anschließend aufgetretenen Meinungsverschiedenheiten vgl. Dok. Nr. 21, dort bes. Anm. 18–20.
Ich erklärte hierzu, daß der Herr Reichskanzler mich sogleich nach der Unterredung beim Herrn Reichspräsidenten am 12. Juni über deren Verlauf unterrichtete. Ich sei völlig sicher darin, daß der Herr Reichskanzler ebensowenig wie der Herr Reichspräsident den Eindruck gehabt habe, den Ländern sei in dieser Unterredung die Anwendung des Artikels 48 Absatz 4 der Reichsverfassung zur Wiedereinführung des Uniformverbots anheimgestellt worden. Ich fügte hinzu, daß ich einen solchen Schritt der Länder für sehr bedenklich halten würde, denn er würde einen ernsten Konflikt mit dem Herrn Reichspräsidenten und der Reichsregierung wahrscheinlich machen.
Der Herr Bayerische Gesandte bemerkte hierzu, er könne nur nochmals vor der völligen Aufhebung des Uniformverbots warnen. Darin liege eine Umkehr der bisher vom Herrn Reichspräsidenten und vom Reich verfolgten Politik, die[86] in Süddeutschland die größte Erbitterung hervorrufen würde. Er wolle auch unter Bezugnahme auf eine Bemerkung des Herrn Staatssekretärs Dr. Meissner betonen, daß die Haltung der Bayerischen Staatsregierung keineswegs etwa von Rücksichten auf die Bayerische Volkspartei oder das Zentrum beeinflußt sei. Ganz Bayern, mit Ausnahme der Nationalsozialisten, sei sich in der Ablehnung des Uniformtragens einig. Der Bayerische Gesandte gab diese Erklärung in sichtlicher Erregung ab5.
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In seinem Bericht an die Münchener Regierung vom 15. 6., der noch am gleichen Tage von Bayern an Baden und Württemberg weitergeleitet wurde, gab Preger eine über die Aufzeichnung Plancks hinausgehende, in den wichtigsten Teilen wie folgt lautende Schilderung seiner Besprechungen mit Meissner und Planck: „Staatssekretär Meissner hat mir erklärt, daß bei der Feststellung über das, was gesprochen worden sei, ein Mißverständnis obwalten müsse. Nach seinen von ihm selbst gemachten Aufzeichnungen habe der Herr Ministerpräsident Dr. Held [bei der Besprechung des Reichspräsidenten mit den süddeutschen Länderchefs am 12. 6.] nicht davon gesprochen, daß er die Aufhebung des Reichsverbotes mit dem Erlaß eines Landesverbotes auf Grund des Art. 48 Abs. 4 erwidern werde. Er habe lediglich davon gesprochen, daß er nicht in der Lage sei, bei Aufhebung des Verbotes die öffentliche Ordnung und Ruhe in Bayern aufrechtzuerhalten, und daß er daher unbedingt irgendwelche Maßnahmen in dieser Richtung ergreifen müsse. Daraufhin habe der Reichspräsident erwidert, daß die Länder ja im Rahmen der Landespolizeihoheit die Möglichkeit hätten, die notwendig erscheinenden „Maßnahmen“ (nicht „Verbote“) vorzukehren. Jedenfalls habe der Reichspräsident die Äußerung des Herrn Ministerpräsidenten Dr. Held nicht aufgefaßt als eine Erklärung, daß er seinerseits die Reichsverordnung aufheben werde, sondern nur, daß er nicht in der Lage sei, sie in diesem Umfange durchzuführen. Damit habe sich der Herr Reichspräsident auch einverstanden erklärt. – Staatssekretär Meissner fuhrt fort: Die Bayer. Regierung dürfe also nicht so weit gehen, daß sie sage: ich wende die für das ganze Reichsgebiet geltende Verordnung für Bayern überhaupt nicht an. Eine derartige bayerische Verordnung müßte auf Verlangen des Reichspräsidenten wieder aufgehoben werden und der Reichspräsident werde die Aufhebung auch verlangen. Auch würden die Gerichte wohl eine derartige gegen das Reichsrecht verstoßende Verordnung nicht anerkennen. Dagegen könne Bayern, wenn es generell kein Verbot der Zulassung der Verbände oder ihrer Uniformen erlasse, einschränkende Maßnahmen und Verbote für bestimmte Fälle vorkehren, so z. B. bei politischen Kundgebungen und bei öffentlichen Aufzügen das Uniformtragen verbieten, auch Verbote für bestimmt bemessene Zeitabschnitte verhängen, wenn sich aus der Zulassung der Organisationen und der Uniformen bereits Unzuträglichkeiten ergeben haben würden. Der Reichspräsident sei der Ansicht, daß bei gutem Willen der Länder diese alle Vorkehrungen treffen könnten, die zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung notwendig seien, ohne zu einem völligen Verbot der Uniformen und der Organisationen kommen zu müssen. Hitler habe dem Herrn Reichspräsidenten erklärt, es sei sehr schwer gewesen, die verbotene SA in Ordnung zu halten, er garantiere aber dafür, daß nichts passiere, wenn die SA wieder zugelassen würde.“ Über die Besprechung mit StS Planck hieß es dann in Pregers Bericht: „Die gleiche Auffassung, wie sie mir Staatssekretär Meissner über den Inhalt der Unterredung beim Reichspräsidenten [am 12. 6., s. oben Anm. 4] mitgeteilt hat, hat mir auch Staatssekretär Planck auf Grund der ihm vom Reichskanzler hierüber gemachten Mitteilungen bestätigt. Im übrigen hat mir Staatssekretär Meissner angedeutet und Staatssekretär Planck ausdrücklich bestätigt, daß dem Reichspräsidenten von bayerischer Seite (nicht von Herrn Reichsminister Gürtner) nahegebracht worden sei, daß es sich bei dem Vorgehen der süddeutschen Ministerpräsidenten nur um eine parteipolitische Mache zugunsten des Zentrums handle. Ich habe dies beiden Herren gegenüber mit allem Ernste richtiggestellt. – Bei dieser Sachlage möchte ich zur Erwägung stellen, ob man nicht die Verordnung, die man erlassen wolle, auf Landesrecht stützen wolle (Art. 103 des A.G. zur StPO.) oder auf Art. 123 der RV“ (GLArch. Karlsruhe 233/20072).
Ich sagte ihm zu, sie dem Herrn Reichskanzler weiterzugeben, nachdem ich meine gegenteilige Ansicht bekundet hatte.
Am Nachmittage besuchte mich aus anderem Grunde der Herr Württembergische Gesandte, Staatsrat Bosler. Als im Gespräch die Frage des Uniformverbotes gestreift wurde, entnahm ich seinen Ausführungen, daß er persönlich der Ansicht ist, die Württembergische Staatsregierung werde sich Bayern nicht anschließen, falls dieses Land etwa das vom Herrn Reichspräsidenten aufgehobene[87] Uniformverbot durch Artikel 48 Absatz 4 der Reichsverfassung wieder verordnen würde. Zum mindesten würde dies eine Sprengung der Geschäftsführenden Württembergischen Regierung herbeiführen.
Planck