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Nr. 88
Der Präsident des Preußischen Landtags Kerrl an den Reichskanzler. 27 Juli 19321
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Abgedr. auch bei Trumpp, Franz von Papen, S. 199–200.
[Erklärung der amtsenthobenen preußischen Staatsminister zur Entscheidung des Staatsgerichtshofs]
[327] Sehr geehrter Herr Reichskanzler!
Die abgesetzten, früher „geschäftsführenden“ preußischen Minister haben es für richtig gehalten, zu der Entscheidung des Staatsgerichtshofes2 eine Erklärung zu veröffentlichen, die bezeichnenderweise der „Vorwärts“ in seiner Nr. 347 vom 26. Juli 32 überschreibt:
„Unverantwortliche Irreführung.
Eine Erklärung der preußischen Staatsminister.“3
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In der am 25. 7. abgegebenen Erklärung hieß es u. a.: „Die verschiedentlich verbreitete unrichtige Meldung, daß Preußens Klage vom Staatsgerichtshof abgewiesen worden sei, bedeutet eine unverantwortliche Irreführung der öffentlichen Meinung. Der Staatsgerichtshof hat zu der Rechtsfrage überhaupt noch keine Stellung genommen. Er hat nur einstweilige Anordnungen abgelehnt. Auch in der Verhandlung vor dem Staatsgerichtshof hat die Reichsregierung keinen einzigen Fall einer Pflichtverletzung der preußischen Staatsminister auch nur behauptet, geschweige denn bewiesen.“ (Horkenbach 1932, S. 259).
Wenn schon durch die Art der Behandlung vor dem Staatsgerichtshof, ohne daß es leider verhindert wurde, in der Öffentlichkeit der Eindruck erweckt war, als ob ein Verfassungskonflikt zwischen dem Staat Preußen und dem Reich bestehe, so soll dieser Eindruck durch jene Erklärung augenscheinlich verstärkt und vertieft werden.
Ein solches Verfahren der abgesetzten geschäftsführenden preußischen Minister, die sogar so weit zu gehen wagen, die Beamten an ihre Pflichterfüllung zu mahnen4 und ihnen zuzusichern, sie würden Unrecht von ihnen abwenden, läßt nicht nur jedes politische Taktgefühl, sondern auch die politische Zurückhaltung vermissen, die man mit Fug und Recht von so hohen Beamten ebensosehr dem Herrn Reichspräsidenten wie dem Staatsgerichtshof gegenüber hätte erwarten müssen.
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Bezieht sich auf den wie folgt lautenden Schlußteil der Erklärung vom 25. 7. (vgl. Anm. 3): „Durch die Ereignisse sind die preußischen Beamten in schwere Gewissenskämpfe versetzt worden. Da nach Auffassung des Staatsgerichtshofes der Schwebezustand andauern muß, bitten die preußischen Staatsminister alle Beamten, auszuharren in treuer Pflichterfüllung zum Wohle des preußischen Staates.“
Als Präsident des aus der Willensmeinung des preußischen Volkes hervorgegangenen Landtages fühle ich mich verpflichtet, Ihnen, sehr geehrter Herr Reichskanzler, wie auch der Öffentlichkeit gegenüber zu betonen, daß die abgesetzten preußischen Minister keinerlei Recht haben, sich anzumaßen, im Namen Preußens zu sprechen und zu klagen. Ihre Legitimation stützt sich nicht auf verfassungsmäßige, verletzte Rechte, sondern nur auf eine juristische Fiktion, die nach der Rechtssprechung des Staatsgerichtshofes diese Klage ermöglicht.
Bestände wirklich ein Verfassungskonflikt zwischen Preußen und dem Reiche, wäre es tatsächlich notwendig, angeblich verletzte verfassungsrechtliche Belange Preußens dem Reiche gegenüber zu wahren, so stünde wahrlich mir in meiner Eigenschaft als Präsident des Landtages, der zudem mit begrenzten Rechten eines Staatspräsidenten ausgestattet ist, eher zu, sie zu vertreten, als den sowohl durch den in der Wahl kundgegebenen Willen des Volkes, wie auch durch den Herrn Reichskommissar abgesetzten Ministern.
Ich stelle aber dagegen fest, daß es nicht dem geringsten Zweifel unterliegen kann, daß die nach sorgfältiger Prüfung durch den Herrn Reichspräsidenten[328] auf Grund des Art. 48 der Reichsverfassung erlassenen Maßnahmen, in deren Ausführung die Minister abgesetzt wurden, nicht nur verfassungsmäßig zulässig, sondern zur Beseitigung eines Notstandes für das Land Preußen unbedingt notwendig waren. Ich darf auf meinen Brief vom 18. Juli verweisen, den ich an Sie, sehr geehrter Herr Reichskanzler, richtete, und in dem ich den bestehenden Notstand eingehend begründete5.
Es mutet seltsam an, daß die abgesetzten Minister mit außerordentlicher Leidenschaftlichkeit sich über Gewaltanwendung beschweren, obwohl sie sich den von dem Herrn Reichspräsidenten für notwendig erachteten, verfassungsrechtlich durchaus begründeten Maßnahmen widersetzten, wobei es durchaus dahingestellt bleiben mag, ob da von „Gewalt“ gesprochen werden kann, wo die Einzelheiten der Gewaltanwendung auf telefonischer Vereinbarung beruhen.
Von „unverantwortlicher Irreführung“ kann also bei niemanden sonst die Rede sein, als nur bei den abgesetzten Ministern6.
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Planck antwortete hierauf am 30. 7., der RK lasse für diesen und einen zweiten Brief vom 27. 7., in dem Kerrl für die Aufhebung der pr. Sparverordnung eingetreten war (vgl. Anm. 7 zu Dok. Nr. 87), danken und mitteilen, daß er beabsichtige, „mit Ihnen, sehr geehrter Herr Präsident, baldigst die in Ihren Schreiben erwähnten Fragen mündlich zu erörtern“ (R 43 I/2280, S. 461).
Mit ausgezeichneter Hochachtung!
Ihr sehr ergebener
Kerrl