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Nr. 118
Der Reichskanzler an den Präsidenten des Preußischen Landtags Kerrl. 27. August 19321
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Abgedr. auch bei Huber, Dokumente, Bd. 3, Dok. Nr. 464 (dort fälschlich mit dem Datum des 28.8.32 versehen).
R 43 I/2280, S. 614–618 Durchschrift der Reinschrift2
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Die Ausfertigung wurde am 27. 8. abgesandt (Kanzleivermerk in R 43 I/2280, S. 612). Der Entwurf zu diesem Schreiben war – entsprechend einem Ersuchen des RK – vom RIM im Benehmen mit RKomPrIMin. Bracht angefertigt und am 27. 8. an die Rkei übermittelt worden. Er wurde von der Rkei am 29. 8. wieder an das RIMin. zurückgesandt (ebd., S. 612–620).
[Verfassungsrechtliche Stellung der kommissarischen Preußischen Staatsregierung, Wiederherstellung der alten Geschäftsordnung des Preußischen Landtags]
Sehr geehrter Herr Präsident!
Auf Ihr gefälliges Schreiben vom 26. August d. Js.3 beehre ich mich folgendes zu erwidern:
Wenn Sie der Auffassung Ausdruck geben, daß die gegenwärtige kommissarische Regierung in Preußen dem Preußischen Landtage verantwortlich sei und daß die Mitglieder dieser Regierung verpflichtet seien, vor dem Landtag zu erscheinen, so vermag ich dieser Auffassung nicht beizutreten. Die kommissarische[464] Preußische Regierung leitet ihre Befugnisse lediglich aus der Verordnung des Reichspräsidenten vom 20. Juli 19324 her und ist daher für ihre Handlungen nur dem Reichspräsidenten, nicht dagegen dem Preußischen Landtag verantwortlich. Ich kann auch nicht Ihrer Auffassung zustimmen, daß es Pflicht der kommissarischen Preußischen Regierung sei, sich lediglich auf die Wiederherstellung verfassungsmäßiger Zustände und auf die Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung zu beschränken. Während der Dauer ihrer Amtsführung üben die Mitglieder der kommissarischen Preußischen Regierung vielmehr alle Befugnisse aus, die dem Staatsministerium und den einzelnen Staatsministern nach der preußischen Verfassung und den preußischen Gesetzen zustehen.
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RGBl. I, S. 377.
Ich verkenne nicht, daß das Fehlen einer dem Landtag verantwortlichen Regierung in Preußen ein höchst unerwünschter Zustand ist, dessen baldige Beendigung auch ich begrüßen würde. Zu meinem Bedauern sind die Voraussetzungen für eine Aufhebung der Verordnung des Reichspräsidenten vom 20. Juli 1932 einstweilen aber noch nicht gegeben.
Was ferner die bekannte Änderung der Geschäftsordnung des Preußischen Landtags5 betrifft, so bin ich, wie Sie wissen, mit Ihnen in der Beurteilung dieses Beschlusses durchaus einig. Ihrem Antrage, dem Herrn Reichspräsidenten den Erlaß einer Notverordnung vorzuschlagen, durch die diese Änderung für nichtig erklärt wird, stehen jedoch erhebliche Bedenken entgegen. Zunächst handelt es sich bei Erlaß oder Änderung der Geschäftsordnung des Preußischen Landtags um eine innere Angelegenheit des Parlaments. Nachdem der Herr Reichspräsident bereits durch die Verordnung vom 20. Juli 1932 die zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Preußen erforderlichen Maßnahmen getroffen hat, würde ein Eingreifen in diese interne Angelegenheit des preußischen Parlaments für ihn nur in Frage kommen können, wenn die Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung auch nach dieser Richtung hin noch weitere Maßnahmen notwendig machen würde. Das kann aber umso weniger anerkannt werden, als die beteiligten preußischen Stellen die Möglichkeit haben, über die Rechtmäßigkeit der von dem früheren Preußischen Landtag beschlossenen Änderung der Geschäftsordnung im Rahmen einer Landesverfassungsstreitigkeit die Entscheidung des Staatsgerichtshofs für das Deutsche Reich herbeizuführen.
Abgesehen hiervon würde es auch noch der Klarstellung bedürfen, ob der gegenwärtige Preußische Landtag die in Rede stehende Änderung der Geschäftsordnung überhaupt übernommen hat und ob er hiernach an diese Bestimmung gebunden ist. Ihre Auffassung, daß die Geschäftsordnung durch einen Mehrheitsbeschluß des gegenwärtigen Landtags „bestätigt“ worden sei, erscheint nicht ohne weiteres zutreffend. Der Landtag hat es vielmehr nur abgelehnt, eine Neuregelung der Geschäftsordnung vorzunehmen, die in ihrem Ergebnis auf eine Beseitigung des Beschlusses vom 12. April 1932 hinausgelaufen wäre6.
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Vgl. ebd.
[465] Ich bedauere hiernach lebhaft, auf Ihr Schreiben, sehr geehrter Herr Präsident, zur Zeit nichts veranlassen zu können.
Mit ausgezeichneter Hochachtung
gez. von Papen