Text
Nr. 119
Sitzung des Preußischen Staatsministeriums vom 30. August 1932
R 43 I/2288, Bl. 220–231 Abschrift
Anwesend: RKomPrIMin. Bracht; StS Planck, Lammers, Hölscher, Schleusener, Mussehl, Scheidt; MinDir. Ernst, Nobis, Marcks, Loehrs, v. Leyden, Arnoldi, Schnitzler; MinR Landfried, Graf v. Hardenberg, Krauthausen, Gottschick, Stadermann, Vollbach, Triebel, Strunden, Danckwortt; RegVPräs. Danckwerts; OLandKulturamtspräs. Krenzlin; ORegR Busch, Brandts; LandR Gramsch; Pol-Oberst Geibel; OForstM Röhrig; Protokoll: MinR Corsing.
In der Sitzung des Preußischen Staatsministeriums von heute, an welcher die voraufgeführten Herren teilgenommen haben, wurde folgendes verhandelt:
1. Zu Punkt 2 der Tagesordnung (Verbot der Teilnahme von Staatsbeamten in Dienstkleidung an politischen Veranstaltungen) beschloß das Staatsministerium in Verfolg des Beschlusses der Reichsregierung vom 15. August 19321, über den Beschluß des Staatsministeriums vom 12. August 19322 hinaus sämtlichen preußischen Beamten und sämtlichen nichtbeamteten Hilfskräften, soweit diese Dienstkleidung tragen, zu verbieten, außerhalb der Ausübung ihres Dienstes in Dienstkleidung an politischen Veranstaltungen teilzunehmen. Wenn Zweifel darüber bestehen, ob eine Veranstaltung politisch ist, so soll die Entscheidung der Dienstvorgesetzten eingeholt werden3.
2. Außerhalb der Tagesordnung teilte Herr Reichskommissar Dr.-Ing. Bracht mit, daß er einem alten Wunsche des Herrn Reichswehrministers entsprechend die Ober- und Regierungspräsidenten ersucht habe, Beamten ihrer Verwaltung, die sich freiwillig an militärischen Vorträgen oder ähnlichen Veranstaltungen von Wehrmachtdienststellen beteiligen wollen, die Teilnahme zu ermöglichen, soweit es die dienstlichen Verhältnisse irgendwie erlauben. Das Staatsministerium beschloß, daß für alle Ressorts eine entsprechende Anordnung getroffen werden soll.
3. Zu Punkt 4 der Tagesordnung (Wenzeslausgrube und Auflösung eines Bergreviers) […].
[466] 4. Zu Punkt 3 der Tagesordnung (Personalvorschläge) wurde […] der Leiter der Pressestelle des Preußischen Staatsministeriums, Ministerialrat Goslar, auf Grund des § 3 der Verordnung vom 26. Februar 1919 (Gesetzsammlung, S. 33) in Verbindung mit § 1 des Gesetzes vom 4. Juli 1923 (Gesetzsammlung, S. 301) unter Gewährung des gesetzlichen Wartegeldes zum 1. Oktober 1932 einstweilen in den Ruhestand versetzt.
5. Zu Punkt 1 der Tagesordnung (Verwaltungsreform) berichtete Herr Ministerialdirektor Dr. von Leyden über das Ergebnis der Besprechung des Entwurfs4 mit den Oberpräsidenten und einigen Regierungspräsidenten. Er bezeichnete dieses Ergebnis als im wesentlichen positiv und erklärte, daß die Herren sich im wesentlichen mit dem Entwurf, auch mit dem allgemeinen Weisungsrecht der Oberpräsidenten, einverstanden erklärt hätten5.
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Bei dem Entwurf, vorgelegt von RKomPrIMin. Bracht am 24.8.32, handelte es sich um eine gegenüber seiner Vorlage vom 29. 7. (Dok. Nr. 96, P. 1) wesentlich geänderte Fassung mit der neuen Überschrift: „Entwurf einer Verordnung zur Vereinfachung und Verbilligung der Verwaltung“ (Geh-StArch. Rep. 90/2303, Bl. 212–218). Die Änderungen des ursprünglichen Entwurfs, die offenbar veranlaßt worden waren durch die nach der Sitzung des PrStMin. vom 4. 8. eingegangenen schriftlichen Voten der pr. Ministerien (eine Zusammenstellung dieser sehr divergierenden Äußerungen ebd., Bl. 244–283), betrafen u. a. 1) den „Provinzialausschuß“ (vgl. Anm. 9 zu Dok. Nr. 96), der bestehen bleiben sollte; 2) den „Staatsausschuß“ (vgl. Anm. 7 zu Dok. Nr. 96), von dessen Errichtung Abstand genommen wurde; 3) die „Oberaufsicht“ über den Regierungspräsidenten, die nicht durch den Oberpräsidenten (vgl. Anm. 6 zu Dok. Nr. 96), sondern weiterhin durch den zuständigen Minister (u. a. PrIM, PrFM) ausgeübt werden sollte. – Zum weiteren Inhalt des Entwurfs s. die nachfolgenden Anmerkungen.
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Aufzeichnungen über diese Besprechung nicht ermittelt. – In einer Ressortbesprechung, die am 24. 8. unter Vorsitz Brachts stattgefunden hatte, war die Frage erörtert worden, ob es richtig sei, jetzt die Verwaltungsreform zu verwirklichen, ohne die Oberpräsidenten nochmals eingehend zu den Regierungsplänen zu hören. Während Bracht dies mehr der Form halber tun wollte („um ihnen eine Aufmerksamkeit zu erweisen“), sah Schleusener in solcher Anhörung eine dringende Notwendigkeit und erklärte, „daß, wenn man die Oberpräsidenten überhaupt nicht befrage, man sich ihren Widerstand bei der Durchführung der Verwaltungsreform zuziehen werde“. Schließlich wurde entschieden, daß „sämtliche Oberpräsidenten und einige Regierungspräsidenten zu einer mündlichen Besprechung in das Ministerium des Innern eingeladen werden müßten“ (GehStArch. Rep. 90/2303, Bl. 229–237). Die Besprechung muß demnach zwischen dem 24. und 30. 8. stattgefunden haben.
Herr Staatssekretär Schleusener, der an der Besprechung teilgenommen hat, konnte dieser Auffassung nicht zustimmen. Der Oberpräsident von Berlin und der Provinz Brandenburg Dr. Maier insbesondere, der als Wortführer der Oberpräsidenten aufgetreten sei, habe über das Weisungsrecht hinaus ein Oberaufsichtsrecht der Oberpräsidenten verlangt, während die Regierungspräsidenten bereits das allgemeine Weisungsrecht6 als zu weitgehend bezeichneten, sich aber notfalls damit abfinden wollten. Die Beteiligten hätten erklärt, die Befürchtung sei nicht von der Hand zu weisen, daß sich aus dem in dem Entwurf vorgesehenen allgemeinen Weisungsrecht allmählich wieder der bisherige Zustand, den man beseitigen wolle, entwickeln würde. Die Besprechung habe ihn selbst – Staatssekretär Schleusener – in seiner dem allgemeinen Weisungsrecht der Oberpräsidenten widerstrebenden Auffassung bestärkt, und er bitte nochmals dringend, das allgemeine Weisungsrecht der Oberpräsidenten aus dem Entwurf herauszulassen, damit die Zuständigkeiten für immer völlig klar abgegrenzt wären und das Neben- und Durcheinanderregieren aufhöre.
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Vgl. unten Anm. 8.
Herr Reichskommissar Dr. Ing. Bracht wünschte, daß die Frage, ob das allgemeine[467] Weisungsrecht bestehen bleiben solle oder nicht, bis zu der in Anwesenheit des Herrn Reichskanzlers stattfindenden nächsten Staatsministerialsitzung zurückgestellt werden solle.
Es wurde sodann in die Besprechung der Einzelheiten des Entwurfs in der Fassung vom 24. August 19327 eingetreten.
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Vgl. oben Anm. 4.
Herr Landrat Dr. Gramsch berichtete über die seitens der einzelnen Ressorts noch eingegangenen Sonderwünsche.
Das Ergebnis der Besprechung der einzelnen Paragraphen des Entwurfs war folgendes:
§ 1 wurde mit der Maßgabe angenommen, daß ihm folgender Absatz 4 eingefügt wird8:
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§ 1 des vorliegenden Entwurfs: „(1) Der Oberpräsident ist der ständige unmittelbare Beauftragte des Staatsministeriums. Als solcher hat er insbesondere darüber zu wachen, daß innerhalb der Provinz die Verwaltung einheitlich und den Gesetzen und Verordnungen entsprechend geführt wird; er ist ermächtigt, zu diesem Zwecke erforderliche allgemeine Weisungen an die staatlichen Behörden der Provinz zu geben und bei Gefahr im Verzuge einstweilige Anordnungen zu treffen. (2) Als Behörde der allgemeinen Landesverwaltung führt der Oberpräsident unter der Aufsicht der Minister und unter der gesetzlich geordneten Mitwirkung des Provinzialrats: 1. die Aufsicht des Staates über die Selbstverwaltung des Provinzialverbandes; 2. die Aufsicht des Staates über diejenigen Körperschaften und Einrichtungen, deren Geschäftsbereich sich innerhalb der Provinz auf mehr als einen Regierungsbezirk erstreckt, soweit die Aufsicht nicht anderweit geregelt ist; 3. die eigene Verwaltung aller derjenigen Angelegenheiten, die ihm durch Gesetz oder durch das Staatsministerium übertragen sind. (3) Dem Oberpräsidenten kann von dem Staatsministerium auch die Verwaltung einzelner Zweige der allgemeinen Landesverwaltung in anderen Provinzen übertragen werden.“
„Dem Oberpräsidenten werden nach Maßgabe des Geschäftsumfanges ein Vizepräsident als ständiger Stellvertreter und Räte beigegeben.“
[…]
Zu § 39 erhob Herr Staatssekretär Dr. Lammers Widerspruch. Entscheidend sei für ihn, daß die Aufgaben der Provinzialkollegien nur im Rahmen der Provinz gelöst werden könnten. Er würde es auch für sehr zweckmäßig halten, die Verwaltung der Volksschulen in den Raum der Provinz zu übernehmen. Diejenigen Ideen, die er sich für die notwendigen Zusammenlegungen im Unterrichtsministerium gemacht habe, setzten jedenfalls unbedingt das Verbleiben der Schulverwaltung in der Provinzialinstanz voraus. Er könne sich auch nicht vorstellen, daß der Reichsoberpräsident10, auf dessen Aufgabenkreis ja die Verwaltungsreform sehr wesentlich zugeschnitten sei, nur mit wirtschaftlichen und nicht auch mit kulturellen Aufgaben befaßt sein solle. Er könne auch nicht glauben, daß man den Oberpräsidenten von den kirchlichen Dingen loslösen könne und wolle. Wenn man das Kollegialsystem der Provinzialschulkollegien aufhebe und sie dem Oberpräsidenten wegnehme, wie denke man sich dann die Angliederung der Landesfinanzämter an die zukünftige Reichsprovinzialinstanz.[468] Er könne sich nicht vorstellen, daß etwa diese und andere Reichsbehörden in den dadurch entstehenden Riesenkörper des Reichsoberpräsidenten hinein sollten. Das äußerste Zugeständnis, zu dem er sich entschließen könne, sei der Vorschlag, den § 3 wie folgt zu fassen:
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Nach § 3 des Entwurfs sollten die Provinzialschulkollegien aufgehoben und ihre Aufgaben den Regierungspräsidenten übertragen werden.
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Anscheinend erstmals in der Ressortbesprechung am 24.8.32 (vgl. oben Anm. 5) verwendeter Begriff, in der Bracht ausgeführt hatte: „Die Bedeutung des Oberpräsidenten habe sich entwicklungsmäßig dadurch verändert und vergrößert, daß in Zukunft nach Lösung der Reichsreform der Oberpräsident zugleich als Reichsoberpräsident in Erscheinung treten werde und ihm gewissermaßen als Chef des Stabes ein Vizepräsident zur Seite stehen würde. Gerade diese Stellung des Oberpräsidenten würde es aber nicht vertragen, daß man ihn mit sämtlichen Einzelgeschäften und kleinen Arbeiten belaste.“ (GehStArch. Rep. 90/2303, Bl. 230).
„Die Provinzialschulkollegien werden aufgehoben. Ihre Aufgaben gehen auf die Oberpräsidenten über.“
Herr Reichskommissar Dr. Ing. Bracht betonte, daß auch er den Sturm, der sich ohnehin über die Verwaltungsreform erheben werde, in möglichst erträglichen Grenzen halten wolle. Deshalb sei er geneigt, dem Wunsch des Herrn Staatssekretärs Dr. Lammers zu entsprechen.
[…]
Herr Staatssekretär Dr. Lammers legte Wert darauf zu erklären, daß sein Vorschlag spontan erfolgt sei und eine erste Fassung darstelle. Er sei aber überzeugt, daß sich auf Grund dieses Vorschlages eine Verständigung mit dem Ministerium des Innern finden lassen werde.
Herr Staatssekretär Schleusener konnte Herrn Staatssekretär Lammers in seinen Ausführungen nicht folgen. Bei dem Wunsche, die Provinzialschulkollegien in der Provinzialinstanz zu lassen, seien Prestigerücksichten nicht ohne Einfluß. Es sei nicht zu bestreiten, daß die Provinzialschulkollegien in ihrer jetzigen isolierten Stellung zu wenig Berührung mit der allgemeinen Staatsverwaltung und auch keine Kenntnis von den Sorgen der Gemeinden hätten. Dieser Mangel könne nur durch Heranlegung der Provinzialschulkollegien an die Regierungen beseitigt werden. Er könne sich höchstens mit einer Zurückstellung der Frage einverstanden erklären, damit inzwischen der bisher vermißte Nachweis erbracht werde, daß die Angliederung der Provinzialschulverwaltung an die Regierungspräsidenten praktisch nicht durchführbar sei.
[…]
Herr Reichskommissar Dr. Ing. Bracht war der Meinung, daß in der Zeit vom Inkrafttreten der Verwaltungsreform bis zur Reichsreform das Unterrichtsministerium und das Ministerium des Innern in der Lage sein würden, die schwierige Frage der sachgemäßen Umgliederung der Schulverwaltung auf die Regierungspräsidenten theoretisch zu klären und vorzubereiten.
Herr Staatssekretär Schleusener stellte zur Erwägung, die Frage aus dem Entwurf herauszunehmen und in der Schwebe zu lassen.
Herr Reichskommissar Dr. Ing. Bracht lehnte das ab. Durch die Annahme des Vorschlages von Herrn Staatssekretär Lammers sei ein zweckmäßiges Kompromiß getroffen. Der ursprünglich vorgesehene zweite Schritt der Reform, nämlich die Angliederung der Provinzialschulverwaltungen an die Regierungspräsidenten, werde nicht gemacht, wohl aber der erste Schritt, nämlich die Aufhebung des Kollegialsystems.
[…]
Herr Staatssekretär Dr. Lammers legte Wert darauf, daß die Frage der endgültigen Organisation der Provinzialschulverwaltung bis zur nächsten Staatsministerialsitzung zurückgestellt würde.
Herr Reichskommissar Dr. Ing. Bracht hielt es für erwünscht, daß der Vizepräsident des Oberpräsidiums in seiner Stellung auch in der Frage der Besoldung[469] herausgehoben werde. Dafür müsse er es freilich in Kauf nehmen, zum politischen Beamten gemacht zu werden. Die Frage bedürfe indessen heute keiner Entscheidung.
[…]
Zu § 6 des Entwurfs11 stellte Herr Staatssekretär Mussehl folgende Anträge:
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§ 6 des vorliegenden Entwurfs: „Dem Regierungspräsidenten werden für die ihm persönlich übertragenen Geschäfte [gemäß §§ 2–5: Leitung der allgemeinen Verwaltung, Wahrnehmung der Aufgaben der aufzuhebenden Provinzialschulkollegien, Landeskulturämter und Regierungsabteilungen für Kirchen und Schulwesen] ein Vizepräsident als ständiger Stellvertreter und nach Maßgabe des Geschäftsumfangs Regierungsdirektoren, ein Oberforstmeister und Räte beigegeben. (2) Zum Regierungsdirektor als Leiter der landwirtschaftlichen Verwaltung kann auch ein Beamter bestellt werden, der die Befähigung zum landwirtschaftlichen Sachverständigen besitzt. Der Oberforstmeister hat die dienstliche Stellung eines Regierungsdirektors. (3) Das Nähere wird in der vom Staatsministerium zu erlassenden Geschäftsanweisung für die Regierungspräsidenten geregelt.“
Zu Absatz 2:
„Zum Regierungsdirektor als Leiter der landwirtschaftlichen Verwaltung kann auch ein Beamter bestellt werden, der eine landwirtschaftliche Vorbildung mit abgeschlossenem Hochschulstudium (Diplomprüfung) besitzt. Den Regierungspräsidenten, denen Aufgaben nach § 4 Abs. 2 in Verbindung mit § 2 Abs. 3 übertragen werden, ist ein Regierungsdirektor beizugeben, der mindestens 5 Jahre lang in Landeskulturgeschäften tätig gewesen ist. Es kann ein Beamter sein, der eine landwirtschaftliche Vorbildung mit abgeschlossenem Hochschulstudium (Diplomprüfung) besitzt. Der Oberforstmeister hat die dienstliche Stellung eines Regierungsdirektors. Für die gesamte technische Leitung des Forst- und Jagdbetriebes durch ihn bleiben die bisher geltenden Bestimmungen bestehen.“
Zu Absatz 3:
„Bei Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Regierungspräsidenten und dem Leiter der landwirtschaftlichen Verwaltung in Fragen der Verwaltung und Nutzung der staatlichen Domänen oder zwischen dem Regierungspräsidenten und dem Oberforstmeister in Fragen der Verwaltung und Nutzung der staatlichen Forsten ist der Regierungspräsident verpflichtet, die Entscheidung des Fachministers unter Stellungnahme des Regierungsdirektors oder des Oberforstmeisters einzuholen.“
Zur Begründung machte er geltend, daß die Forstverwaltung eines Schutzes gegen etwaige irrationelle Bestimmungen des Regierungspräsidenten bedürfe.
Herr Staatssekretär Schleusener und Herr Ministerialdirektor Dr. Ernst widersprachen entschieden, da die Wünsche der landwirtschaftlichen Verwaltung der ganzen Tendenz des Entwurfs entgegenständen.
Herr Ministerialdirektor Dr. von Leyden erklärte sich bereit, den Wünschen des Landwirtschaftsministeriums durch die Geschäftsanweisung entgegenzukommen. Ein Suspensivveto des Oberforstmeisters in dem Entwurf selbst halte er für unmöglich.
Herr Staatssekretär Dr. Lammers wies darauf hin, daß der Regierungspräsident ohnehin in Zukunft eine Doppelstellung haben werde, indem er sowohl den Weisungen des Ministers des Innern als der Fachressorts ausgesetzt sein würde.
[470] Herr Reichskommissar Dr. Ing. Bracht gab zu, daß die Behandlung der Forstverwaltung von großer Bedeutung sei, da es sich um außerordentliche Werte handele.
Herr Staatssekretär Schleusener bezeichnete es gerade als die Aufgabe des Regierungspräsidenten, in einem Streit der Zentralinstanzen ausgleichend zu wirken und sie auf etwaige einander widersprechende Entscheidungen oder Anordnungen aufmerksam zu machen.
Herr Reichskommissar Dr. Ing. Bracht meinte, daß der Vorschlag des Herrn Staatssekretärs Mussehl im Rahmen des Entwurfs unsymmetrisch sein würde und daß der Oberforstmeister durch seine Beziehungen zu den vorgesetzten Behörden auch genügend Möglichkeiten haben werde, schwierige Fälle zur Kognition durch die Zentralinstanz zu bringen.
Beide Anträge des Herrn Staatssekretärs Mussehl wurden abgelehnt.
[…]
Zu § 11 des Entwurfs12 beantragte Herr Ministerialdirektor Dr. Ernst Streichung.
Herr Ministerialdirektor Dr. von Leyden trat diesem Antrage bei.
Dagegen sprach sich Herr Ministerialrat Dr. Krauthausen für den § 11 des Entwurfs mit der Begründung aus, daß die Übertragung der dienstlichen Aufsicht über die Geschäftsführung der Bezirksausschüsse an das Oberverwaltungsgericht eine Anomalie wäre und den Geschäftsgang verlangsamen würde.
Nachdem auch Herr Staatssekretär Schleusener für die Fassung des Entwurfs mit der Begründung eingetreten war, daß der Minister des Innern die Verhältnisse bei den Bezirksausschüssen aus seinen bereits jetzt von ihm periodisch vorgenommenen und auch später notwendigen Revisionen der Regierungen kenne, während das Oberverwaltungsgericht mit der Angelegenheit nichts zu tun habe, wurde beschlossen, es bei dem § 11 zu belassen.
Es wurde dann in eine allgemeine Debatte über die Stellung der Kreisbehörden eingetreten.
[…]
In den Ausführungsbestimmungen soll auf Wunsch von Herrn Ministerialdirektor Dr. Ernst noch die Frage geklärt werden, was unter Kreisbehörden zu verstehen ist. Als besondere Vorschrift soll entsprechend dem Wunsche des Ministeriums für Handel und Gewerbe die Unterstellung der Eichämter unter die Aufsicht des Landrates ausgesprochen werden.
Auch soll in diesem Zusammenhang die Frage der Oberförster einer nochmaligen Prüfung unterzogen werden.
Zu § 13 wurden Bedenken gegen die Zweckmäßigkeit der Einrichtung von Kreisämtern erhoben13.
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Nach § 13 des Entwurfs sollte das Staatsministerium „einzelne Kreisbehörden mit dem Landrat zu einem Kreisamt“, bestehend aus dem Landrat und dem Leiter der anderen Kreisbehörde, „vereinigen“ können. Weitere Bestimmungen: „Die Geschäfte des Kreisamts leitet der Landrat. […] Das Kreisamt ist zuständig für diejenigen Angelegenheiten, welche auf dem besonderen Fachgebiet bisher dem Landrat und der anderen Kreisbehörde zustanden.“ – Über die Zweckmäßigkeit solcher Kreisämter war in der Ressortbesprechung am 24.8.32 (vgl. oben Anm. 5) lange beraten worden, Einigung konnte jedoch nicht erzielt werden.
[471] Herr Staatssekretär Schleusener erklärte, er sehe keine Notwendigkeit, derartige Behörden zu schaffen, die eine Verlangsamung des Geschäftsganges und eine Verteuerung bringen würden. Die Bestimmung des § 12 Abs. 2 genüge14. Der Zweck des Entwurfs sei nicht die Vermehrung, sondern im Gegenteil die Einsparung von Behörden. Er sprach sich daher für Streichung des § 13 aus.
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§ 12 Abs. 2 des Entwurfs: „Der Landrat hat darüber zu wachen, daß die Geschäftsführung der übrigen staatlichen Kreisbehörden nicht mit den Interessen der allgemeinen Landesverwaltung in Widerspruch gerät. Zu diesem Zweck haben sich die Vorsteher der Kreisbehörden mit dem Landrat in ständiger Fühlung zu halten. Sie haben nach näherer Anweisung des Regierungspräsidenten Verfügungen und Berichte durch die Hand des Landrats zu leiten oder ihm zur Kenntnis zu bringen.“
Herr Staatssekretär Dr. Lammers erwiderte, daß es sich bei dem Kreisamt nicht um Schaffung einer neuen Behörde handele, sondern um eine richtig funktionierende Organisation zwischen dem Landrat und dem Kreisschulrat. Durch die Einrichtung des Kreisamtes werde auch keine Verteuerung des Betriebes eintreten.
Herr Reichskommissar Dr. Ing. Bracht erklärte, man werde bei der Einrichtung von Kreisämtern zögerlich vorgehen. Es handele sich ja nur um eine Kann-Vorschrift, und es sei selbstverständlich nicht daran gedacht, überall derartige Kreisämter einzurichten, vielmehr wolle man zunächst nur Erfahrungen sammeln, um festzustellen, ob sich die Einrichtung des Kreisamtes bewähre.
Herr Staatssekretär Schleusener wandte hiergegen ein, daß, wenn einmal eine derartige Bestimmung getroffen sei, dies für die Ressorts ein starker Ansporn sein werde, ihr ohnehin vorhandenes Bestreben, sich einen von ihnen allein beherrschten Behördenapparat von der untersten Stufe an aufzubauen, zu verdoppeln, so daß man es schließlich nicht mehr in der Hand haben werde, der Errichtung von Kreisämtern beliebig Einhalt zu gebieten.
[…]
Herr Reichskommissar Dr. Ing. Bracht stellte fest, daß mit dem § 13 versuchsweise in einer ganz beschränkten Zahl vorsichtig Gebrauch gemacht und abgewartet werden solle, ob die Einrichtung des Kreisamtes irgendwie verteuernd wirken werde.
[…]
Zu § 16 des Entwurfs15 befürchtete Herr Reichskommissar Dr. Ing. Bracht aus der Übertragung der staatlichen Aufsicht über die Selbstverwaltung sämtlicher kreisangehörigen Gemeinden gegenseitige Reibungen zwischen den Landräten und insbesondere den größeren Städten.
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§ 16 des Entwurfs: „Der Landrat als Vorsitzender des Kreisausschusses [vgl. Anm. 9 zu Dok. Nr. 96] führt die Aufsicht des Staates über die Selbstverwaltung sämtlicher kreisangehörigen Gemeinden, engeren Gemeindeverbände und solcher Zweckverbände, denen ausschließlich kreisangehörige Gemeinden angehören.“
Herr Ministerialdirektor Dr. von Leyden hielt es für außerordentlich schwierig, hinsichtlich der Größe der der Aufsicht des Landrats zu unterstellenden Städte eine Grenze festzusetzen. Er erhob gegen die Zahl von 10 000 Einwohnern starke Bedenken und machte auf die Schwierigkeiten mit den hannoverschen selbständigen Städten aufmerksam. Falls eine Grenze von 10 000 Einwohnern[472] gewählt werden sollte, so müßten jedenfalls diese hannoverschen Städte wie Städte mit über 10 000 Einwohnern behandelt werden.
Herr Reichskommissar Dr. Ing. Bracht warf die Frage auf, ob man nicht das Kommunalderzernat besser bei der Provinzialinstanz verankern solle, weil dann dem Referenten durch die Häufung des Materials eine bessere Gelegenheit zur Vergleichung der Einzelfälle gegeben würde.
Herr Ministerialdirektor Dr. Ernst schlug vor, die Übertragung der Aufsicht über alle kreisangehörigen Städte durch den Zusatz „soweit nicht das Staatsministerium etwas anderes bestimmt“ einzuschränken.
Herr Reichskommissar Dr. Ing. Bracht hielt die Festsetzung einer Grenze von 10 000 Einwohnern mit einer Zusatzbestimmung für zweckmäßig, wonach das Staatsministerium für einzelne Regierungsbezirke eine höhere Einwohnerzahl festsetzen kann.
Es wurde folgende Fassung des § 16 beschlossen:
„(1) Der Landrat als Vorsitzender des Kreisausschusses führt fortan auch die Aufsicht des Staates über die Selbstverwaltung der kreisangehörigen Städte mit nicht mehr als 10 000 Einwohnern und der Zweckverbände, denen keine Städte mit höherer Einwohnerzahl angehören. § 28 Abs. 1 der Kreisordnung für die Provinz Hannover bleibt unberührt.
(2) Das Staatsministerium kann für einzelne Regierungsbezirke die in Absatz 1 genannte Einwohnergrenze heraufsetzen.“
[…]
Bei § 20 des Entwurfs wurde auf Wunsch des Landwirtschaftsministeriums die Fassung wie folgt geändert:
„Die bisher den Kulturbauämtern übertragenen Aufgaben gehen auf den Regierungspräsidenten über, soweit nicht die Wahrnehmung örtlicher Aufgaben der Kulturbauverwaltung durch staatliche Beamte notwendig bleibt. In diesem Falle kann der örtliche Kulturbeamte, der insoweit die Stellung einer Kreisbehörde im Sinne des § 12 hat, nach näherer Bestimmung der zuständigen Minister zum Sachbearbeiter des Regierungspräsidenten in Meliorationsangelegenheiten der öffentlich-rechtlichen Körperschaften bestellt werden.“
[…]
Zu § 48 des Entwurfs16 regte Herr Ministerialdirektor Dr. Ernst an, die Worte „und noch ergehenden“ zu streichen.
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§ 48 des Entwurfs: „Auf Beamte, deren Stellen infolge der organisatorischen Maßnahmen dieser Verordnung wegfallen, findet die Verordnung, betreffend die einstweilige Versetzung der unmittelbaren Staatsbeamten in den Ruhestand, vom 26. Februar 1919 (Ges. Samml., S. 33) mit den zur Abänderung und Ergänzung dieser Verordnung ergangenen und noch ergehenden gesetzlichen Vorschriften Anwendung.“
Nachdem Herr Staatssekretär Schleusener darauf hingewiesen hatte, daß der Entwurf der sonst üblichen Fassung entspreche, beschloß das Staatsministerium, es bei der Fassung des Entwurfs zu belassen.
Herr Ministerialdirektor Dr. Ernst regte an, die Bestimmungen über den Staatsausschuß17 doch wieder in den Entwurf hineinzunehmen.
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Vgl. oben Anm. 4.
[473] Herr Reichkommissar Dr. Ing. Bracht erklärte, daß die Hereinnahme des Staatsausschusses in den Entwurf keine erhebliche praktische Bedeutung mehr haben werde, nachdem der Provinzialrat18 bestehen geblieben sei. Es wurde beschlossen, es bei der Streichung der Bestimmungen über den Staatsausschuß zu belassen19.
6. Außerhalb der Tagesordnung wies Herr Staatssekretär Dr. Schleusener auf die Notwendigkeit hin, neben dem Entwurf über die Verwaltungsreform alsbald noch andere Ersparnismaßnahmen in der Preußischen Verwaltung zu treffen, in deren Vorbereitung das Finanzministerium bisher mangels Unterstützung durch die übrigen Ressorts nicht weitergekommen sei. Als Beispiele für derartige Ersparmaßnahmen nannte er vorbehaltlich weiterer die folgenden:
1. | Wegfall von Oberregierungs- und Forsträten, Regierungs- und Forsträten und Oberförstern, Umwandlung von Förster- in Unterförsterstellen; |
2. | Übergang des gesamten Schulwesens auf das Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung; |
3. | Verpachtung oder Stillegung der Staatlichen Porzellanmanufaktur, die einen Betriebszuschuß von 4,1 Mill. RM erfordere; |
4. | Aufhebung von landwirtschaftlichen Versuchs- und Forschungsinstituten bzw. Zusammenlegung mit Instituten an Universitäten; |
5. | Zusammenfassung der Bäderverwaltungen in einem Ministerium; |
6. | Einsparung von Kreisärzten entsprechend der Verminderung der Kreise; |
7. | Aufhebung des Polizeiinstituts in Berlin-Charlottenburg; |
8. | Verminderung der Statistiken, Abgabe der preußischen Statistik an das Statistische Reichsamt; |
9. | Verminderung der staatlichen Schulen um 100; |
10. | Schließung der Pädagogischen Akademien; |
11. | Verminderung der Schulaufsichtskreise; |
12. | Aufhebung der Staatlichen Kunstschule in Berlin; |
13. | Beteiligung des Finanzministeriums an der Gewährung von Kolleggeldgarantien. |
Das Staatsministerium ermächtigte den Finanzminister, die erforderlichen Verhandlungen über diese und ähnliche Ersparnismaßnahmen zu führen, und sicherte ihm dabei die Unterstützung durch die beteiligten Fachressorts zu.