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[474] Nr. 120
Niederschrift des Staatssekretärs Meissner über eine Besprechung beim Reichspräsidenten in Neudeck am 30. August 1932, 12 Uhr1
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Auch abgedr. bei Hubatsch, Hindenburg und der Staat, Dok. Nr. 89.
R 43 I/678, Bl. 247–256 Durchschrift1a
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Von Meissner am 31. 8. an den RK übersandt.
Anwesend: v. Hindenburg; v. Papen, v. Gayl, v. Schleicher; StS Meissner.
[Wirtschaftsprogramm der Reichsregierung; Probleme der parlamentarischen Mehrheitsbildung; Auflösung und Neuwahl des Reichstags; Verfassungsfragen; Unterstellung der preußischen Polizei unter den Reichsinnenminister]
1) Reichskanzler von Papen trägt zunächst die beabsichtigten Wirtschaftsmaßnahmen vor, die er am Sonntag, dem 28. August, in seiner Rede in Münster2 bereits bekanntgegeben hat. Auf eine Frage des Herrn Reichspräsidenten, wie der durch die Ausgabe der Steuer-Gutscheine3 in den nächstjährigen Etats entstehende Ausfall gedeckt werden solle, führt der Reichskanzler aus:
Es sind weitere starke Senkungen der Ausgaben des Reichs, der Länder und der Gemeinden geplant, dazu kommt der erhoffte Rückgang in den Leistungen der Arbeitslosenfürsorge, ferner die durch die Verwaltungsreform erwachsenen Ersparnisse. Dies würde zu einer Minderung der Ausgaben in allen Haushalten der öffentlichen Hand führen, so daß dadurch der Einnahme-Ausfall, der durch die Bezahlung der Steuern mit Gutscheinen entsteht, voraussichtlich gedeckt würde. Allerdings gründe sich diese Hoffnung darauf, daß eine Besserung der Weltwirtschaftslage eintrete; mit dieser Hoffnung seien die von der Reichsregierung geplanten wirtschaftlichen Maßnahmen eng verbunden.
Der Herr Reichspräsident erklärt seine Zustimmung zu den vorgeschlagenen Wirtschaftsmaßnahmen und seine Bereitwilligkeit, eine solche Verordnung zu erlassen. Er betont, daß die Regierung bei der Ausarbeitung der einzelnen Bestimmungen darauf bedacht sein müsse, die Opfer gleichmäßig auf die verschiedenen Berufsstände zu verteilen.
Reichswehrminister von Schleicher regt, an das Letzte anknüpfend, an, daß der Herr Reichspräsident in einer Publikation ausdrücklich auf die Notwendigkeit hinweise, den sozialen Gedanken bei diesen Maßnahmen unter allen Umständen zu wahren.
Der Herr Reichspräsident und der Reichskanzler erklären sich damit einverstanden4.
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Vgl. das am Ende der Besprechung beschlossene Kommuniqué.
2) Der Reichskanzler legt darauf die allgemeine politische Lage dar: Eine arbeitsfähige Mehrheit zur Durchführung der Ziele, die der Herr Reichspräsident dieser Regierung gestellt habe, werde nicht vorhanden sein; er glaube[475] nicht, daß trotz der zur Zeit gemachten Anstrengungen eine tragfähige Mehrheit zwischen dem Zentrum und den Nationalsozialisten geschaffen werden könne5. Aber auch wenn eine solche Parlamentsmehrheit vorhanden sei, könne nach der Reichsverfassung der Herr Reichspräsident nicht gezwungen werden, eine bestimmte Person zum Reichskanzler zu ernennen und ihr die Führung der Politik zu übertragen; ferner müßte der Herr Reichspräsident an eine solche etwaige Mehrheit bestimmte Fragen richten, auf welcher Grundlage sie regieren wolle, ob sie die vom Herrn Reichspräsidenten erlassenen lebenswichtigen Notverordnungen anerkenne, ob sie Verfassung und Gesetze genau achten werde usw. Das Zentrum verfolge mit dieser Koalition einen doppelten Zweck: Es wünscht, eine Auflösung zu vermeiden, und es wünscht, die Nationalsozialisten durch Übernahme der Regierungs-Verantwortung sich abwirtschaften zu lassen. Hitler verfolgt bei diesen Koalitions-Verhandlungen den Plan, den Herrn Reichspräsidenten dadurch ins Unrecht zu setzen, daß zunächst eine scheinbare Mehrheit gebildet wird und der Herr Reichspräsident es dann ablehnt, mit dieser Mehrheit zu regieren6. Falls eine „schwarz-braune“ Mehrheit sich zusammenfände, wäre sie nur eine „negative“ Mehrheit. Reichskanzler und Reichsregierung[476] seien daher zu dem Schluß gekommen, abzuwarten, bis die anderen im Unrecht sind und dann, wenn feststeht, daß ein zur Zusammenarbeit mit dem Herrn Reichspräsidenten bereiter Reichstag nicht vorhanden ist, dem Herrn Reichspräsidenten die Auflösung vorzuschlagen. Ein solches Vorgehen würde auch der Volksstimmung entsprechen, und er bitte um die Zustimmung des Herrn Reichspräsidenten hierzu.
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Über die seit Mitte August 1932 mit dem Ziel der Beseitigung des Präsidialregimes durch Bildung einer schwarz-braunen Mehrheitsregierung zwischen Zentrum und NSDAP geführten Gespräche (Teilnehmer u. a. Bolz, Joos, Schäffer, Brüning, Kerrl, Göring, Strasser, Hitler) vgl. Vogelsang, Reichswehr, Staat und NSDAP, S. 225 ff.; Morsey, Zentrumsprotokolle, Dok. Nr. 706, 709; Morsey, Der Untergang des politischen Katholizismus, S. 59 ff; dazu ergänzend aus nationalsozialistischer Sicht: Goebbels, Vom Kaiserhof zur Reichskanzlei, S. 148 ff. (Tagebuchnotizen vom 25., 26., 29., 30. 8. und 8.9.32).
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Worauf sich dieser Eindruck stützen konnte, ist nicht ersichtlich. Über die letzte Unterredung Papens mit Hitler, die am 29. 8. stattgefunden hatte, vermerkte Goebbels (Vom Kaiserhof zur Reichskanzlei, S. 152 f.) unter dem gleichen Datum: „Dann sprach er mit Papen und Schleicher. Die gaben ihm, wie immer, allerhand Vertröstungen. In Neudeck beim Reichspräsidenten soll wieder eine Entscheidung fallen. Sie wird bestimmt gegen uns sein.“ – Zur gleichen Unterredung hieß es in Friedrich Veltens „persönlichen, streng vertraulichen Informationen an einen geschlossenen Kreis“ vom 29. 8. u. a.: Es habe sich um eine „sehr eingehende und lange Besprechung gehandelt, bei der Hitler „ein größeres Maß von Bereitwilligkeit in sachlicher Beziehung (Garantien für die Nichtwiederkehr von Zwischenfällen wie am 13. August, wie nach dem Urteil von Beuthen usw., Übereinstimmung mit der wirtschaftlichen Linie der Reichsregierung usw.) gezeigt, als das bisher jemals der Fall war. Die Verhandlungen haben denn auch das Ergebnis gehabt, daß die beiden genannten Kabinettsmitglieder [Papen und Schleicher] sich bereit erklärten, dem Alten Herrn in Neudeck morgen vorzuschlagen, daß er Hitler zum Chef eines Präsidialkabinetts ernenne, das im wesentlichen eine gewisse Umbildung der jetzigen Reichsregierung darstellen würde. Selbst wenn man den Zweifel unterdrückt, ob diese Versicherung nicht auch taktisch gemeint ist, bleibt noch der Zweifel, ob der Feldmarschall sich noch einmal umstimmen läßt.“ (Exemplar der „Informationen“ in NL Luther 367). – In einem vermutlich für die „Dienatag“ (Dienst nationaler Tageszeitungen, Berlin) gefertigten „Informationsbericht“ (Unterschrift: Dertinger) wurde zur „Aussprache Hitler-Papen“ vom 29. 8. mitgeteilt: Seitens der Rkei sei „ausgestreut“ worden, „daß Hitler zunächst einen vollkommen aufgeregten, leicht verwirrten Eindruck gemacht habe. Vor allem habe er bei Eingang der Unterhaltung erklärt, daß er nun keine Lust mehr hätte, Reichskanzler zu werden. Er lehne es ab, vom Reichspräsidenten oder vom Zentrum sich seinen Posten als Führer einer neuen Regierung schenken zu lassen, er wolle kämpfen, bis die Bewegung gewissermaßen aus eigenem Recht an die Macht komme und er die Regierung übernehmen könne. Im Laufe der Unterhaltung habe er dann aber etwas ruhigere Ansichten vertreten und insbesondere wenig sachliche Argumente gegen das Regierungsprogramm vorbringen können. In der Reichskanzlei hat man den Eindruck, daß die Aussprache zwar für den Augenblick ausgegangen sei wie das Hornberger Schießen, daß aber die Möglichkeit durchaus für eine Verständigung vorhanden wäre, sobald nach Auflösung des Reichstages neue politische Verhältnisse geschaffen seien.“ (Informationsbericht vom 29. 8. in Sammlung Brammer, ZSg. 101/25, Bl. 256).
Der Herr Reichspräsident erklärt sich damit einverstanden. Auch er halte es für ausgeschlossen, daß sich in diesem Reichstag eine ernstliche arbeitswillige Mehrheit zusammenfände, und mit einer nur Schein-Mehrheit könne er aber nicht arbeiten. Er werde bestrebt sein, bei seinen Maßnahmen genau nach der Verfassung vorzugehen.
Der Herr Reichspräsident erwähnt dann das Beuthener Urteil7 und erklärt, er sei für seine Person für eine Begnadigung der Täter, nicht aus politischen, sondern lediglich aus rechtlichen Gründen, weil die Begehung der Tat nur 1½Stunden nach dem Inkrafttreten der verschärften Verordnung8 erfolgte und nicht angenommen ist, daß die Täter von diesen Strafverschärfungen Kenntnis hatten.
Der Reichskanzler erwidert, die Begnadigung stehe noch nicht zur Frage, da ein Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens schwebe, der wohl durchgehen werde.
Staatssekretär Dr. Meissner berichtet, daß am 29. August abends, kurz vor der Abreise nach Neudeck, im Auftrage der Zentrumsfraktion des Reichstags der frühere Reichsarbeitsminister Dr. Brauns bei ihm war und ihm mit der Bitte um unmittelbare Vorlage beim Herrn Reichspräsidenten die nachstehende Entschließung der Zentrumsfraktion9 übergeben habe:
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Die Entschließung war in der Sitzung der RT-Fraktion des Zentrums am 29. 8. formuliert und gebilligt worden. Vgl. Morsey, Zentrumsprotokolle, Dok. Nr. 707.
„In der Erörterung der politischen Lage billigt die Zentrumsfraktion des Reichstags einmütig die am 11. August von den Reichstagsabgeordneten Joos und Bolz dem Herrn Reichskanzler vorgetragenen Grundgedanken und Richtlinien einer verfassungsmäßigen Politik10. Aus dieser Haltung heraus fanden auch die seitens des Herrn Reichskanzlers von Papen in seiner Sonntagsrede in Münster hinsichtlich der Bemühungen des Zentrums gemachten Ausführungen11 grundsätzliche Ablehnung. Wenn die Zentrumspartei nach gangbaren Wegen sucht, um in der deutschen politischen Entwicklung[477] klare Verantwortlichkeiten zu schaffen und verfassungswidrige Experimente auszuschließen, so ist das kein ‚taktisches Spiel‘, kein ‚Kulissenspiel in der Not des deutschen Volkes‘, sondern das pflichtgemäße Handeln einer Partei, für die die Wahrung verfassungsmäßiger Zustände Volkswohl bedeutet und politischer Lebensinhalt ist. In der klaren Erkenntnis, daß jede Regierung, die, ohne Mehrheit und Vertrauen in der Volksvertretung zu besitzen, notwendigerweise auf eine abschüssige Bahn kommen muß, arbeitet die Zentrumspartei, unbekümmert um Drohungen und Einschüchterungen, ihrerseits mit an der Schaffung einer Regierung, die sich auf eine klare Mehrheit des Parlaments stützen kann und gewillt ist, mit ihm zusammenzuarbeiten. Denn dieses ist der eindeutige Sinn der Reichsverfassung. Dabei leitet sie der Gedanke, daß es verfassungsmäßig unmöglich und für das Reich verderblich ist, eine Reichstagsauflösung nur deswegen zu befürworten und vorzubereiten, weil der gegebenen Regierung die Mehrheit versagt bleibt.“
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Vgl. Anm. 8 zu Dok. Nr. 99.
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In diesem Zusammenhang Papen in seiner Rede in Münster am 28. 8. (vgl. Anm. 16 zu Dok. Nr. 117): „Große Aufgaben im Dienst der Nation können nur von dem gelöst werden, der sich dem ganzen Volk und nicht nur einer Partei oder Klasse dienstbar glaubt. Der Grundsatz der Reichsverfassung, ‚die Staatsgewalt geht vom Volke aus‘, kann nicht bedeuten, daß diese Staatsgewalt dem taktischen Spiel der Parteien im Parlament ausgeliefert werden soll.[…] Und wenn heute von einer Koalition zwischen Zentrum und NSDAP gesprochen wird, an die ich nicht glauben kann, weil sie dem ganzen antiparlamentarischen Bekenntnis der Nationalsozialisten widerspricht, so wäre der geheime Grundgedanke solcher Koalition doch nur der, daß die eine Partei die andere zu vernichten wünscht. Ich frage, ob die Not des deutschen Volkes in dieser Stunde wirklich noch ein solches Kulissenspiel erträgt?“ (WTB-Bericht vom 28.8.32, Ausschnitt in R 43 I/1141, Bl. 274, 277).
Reichswehrminister Schleicher führt aus: Der Reichstag werde sich nach Erledigung der Präsidentenwahl auf etwa 10 Tage vertagen, um Zeit für weitere Verhandlungen über eine Mehrheitsbildung zu gewinnen12. Die Bildung einer solchen Mehrheit werde wohl nicht gelingen, und dann wäre es der rechtzeitige psychologische Moment für eine Auflösung. Anschließend an dieses Versagen des Reichstags müsse man dann die starken Kräfte, die unser Vorgehen billigen, heranziehen und als eine Präsidial-Partei, ähnlich dem früheren Deutschen National-Verein, organisieren13. Man dürfe Hitler und Brüning nicht die Möglichkeit geben, den Herrn Reichspräsidenten ins Unrecht zu setzen.
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Der neugewählte RT trat am Nachmittag des 30. 8. unter Vorsitz der Alterspräsidentin Zetkin (KPD) zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen. Er wählte Göring (NSDAP) zum Präsidenten sowie Esser (Zentrum), Graef (DNVP) und Rauch (BVP) zu Vizepräsidenten. Danach vertagte er sich auf unbestimmte Zeit und erteilte dem Präs. die Vollmacht, den Termin der nächsten Sitzung und deren Tagesordnung zu bestimmen (RT-Bd. 454, S. 1–11). Am 7. 9. berief Göring den RT auf den 12. 9. ein (Schultheß 1932, S. 156).
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Vgl. dazu Dok. Nr. 121, P. 1, dort auch Anm. 5.
3) Der Reichskanzler Nach der Auflösung des Reichstags ergibt sich die Frage, ob in der verfassungsmäßigen Frist von 60 Tagen Neuwahl stattfinden solle. Wenn man die Wahlen für später hinausschiebt, so ist dies formell eine Verletzung der diesbezüglichen Verfassungsvorschrift14, aber es liegt ein staatlicher Notstand vor, der den Herrn Reichspräsidenten durchaus dazu berechtigt, die Wahlen hinauszuschieben. Der Herr Reichspräsident habe in seinem Eid auch die Pflicht übernommen, Schaden vom deutschen Volke abzuwenden; eine Neuwahl in dieser politisch erregten Zeit mit all den Terrorakten und Mordtaten wäre aber ein großer Schaden an dem deutschen Volke. Einen abschließenden Entschluß könne man zur Zeit natürlich noch nicht fassen, wir müssen aber dem Fall ins Auge sehen.
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Art. 25 RV.
Reichsminister von Gayl erklärt es durchaus mit dem Sinn der Verfassung für vereinbar, wenn in Fällen eines staatlichen Notstandes, wie er jetzt gegeben ist, und in einer Zeit, wo nach vier hintereinander folgenden Wahlen in einem Jahre und durch die wirtschaftliche Lage die Bevölkerung so erregt ist, Wahlen[478] über die sonst übliche Frist hinausgeschoben werden. Wenn der Reichstag ein Mißtrauensvotum annimmt oder die Aufhebung der Verordnung des Reichspräsidenten verlangt, müsse er aufgelöst werden. Da wir mit dieser Möglichkeit von einem Tag zum anderen rechnen müßten, bäte er um eine Blanko-Vollmacht des Herrn Reichspräsidenten für eine Reichstagsauflösung; die Begründung könnte dann nach telephonischer Verständigung eingesetzt und im gegebenen Moment die Verordnung veröffentlicht werden. Wenn der Reichstag aufgelöst ist, wird es auch dem Volksempfinden entsprechen, wenn eine alsbaldige Neuwahl nicht erfolgt. Das Volk und die Presse rechnen auch nicht mit einer Neuwahl. Für uns stellt sich die Frage so, ob wir das für Deutschland Notwendige tun oder ob wir durch Rücksicht auf den Wortlaut der Verfassung uns daran hindern lassen wollen. Wenn aus der Erkenntnis der Lage heraus festgestellt wird, es liegt ein Notstand vor, dann wird man mit gutem Gewissen die Verfassungsbestimmung (Artikel 25), welche die Wiederwahl des Reichstags spätestens am 60. Tage vorschreibt, außer acht lassen dürfen.
Der Reichskanzler Wenn der Generalfeldmarschall und Reichspräsident von Hindenburg, der die Verfassung stets so peinlich getreu gehalten hat, sich entschließt, aus Gründen eines besonderen Notstandes von der Verfassung einmal abzuweichen, so wird man sich im deutschen Volke durchaus damit zufrieden geben.
Der Herr Reichspräsident spricht sich dahin aus, daß er, um Nachteil vom deutschen Volke abzuwenden, es vor seinem Gewissen verantworten könne, bei dem staatlichen Notstand, der nach Auflösung des Reichstags gegeben sei, die Bestimmungen des Artikel 25 dahin auszulegen, daß bei der besonderen Lage im Lande die Neuwahl auf einen späteren Termin verschoben werde. Auch mit der Unterschrift eines im Datum und in der Begründung noch offenen Erlasses für die Auflösung des Reichstags erklärt sich der Herr Reichspräsident einverstanden. (Diese Verordnung wurde sogleich durch den Herrn Reichspräsidenten vollzogen, durch den Herrn Reichskanzler und den Herrn Reichsminister des Innern gegengezeichnet.)15
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Zum Auflösungserlaß s. weiter Dok. Nr. 134, P. 1, dort auch Anm. 3.
Reichsminister des Innern Freiherr von Gayl: Die Zeit, die dann durch die Hinausschiebung der Neuwahl gegeben wird, werde man benutzen müssen, um die Verfassungs- und Verwaltungsreform durchzuführen. In welchem Kreise man diese Reformen vorbereite, wird noch zu bestimmen sein; er denke an einen Kreis von erfahrenen Sachverständigen, bewährten Staatsmännern, auch Vertretern der Länder. Der Entwurf für diese Reform könnte zum Volksentscheid gestellt werden, dessen Zeitpunkt wir nach eingetretener Beruhigung der innerpolitischen Lage und Besserung der Wirtschaft auswählen müßten.
4) Der Reichskanzler legt dar: Die Bemühungen des Zentrums und der Nationalsozialisten gehen dahin, die Verbindung zwischen Reich und Preußen wieder aufzuheben und dem Reich die Exekutive wieder aus der Hand zu schlagen16. Um dem hierdurch erwachsenden großen staatlichen Nachteil zu begegnen[479] und etwaigen Überraschungen von dieser Seite zuvorzukommen, schlage die Reichsregierung eine Verordnung des Reichspräsidenten aufgrund des Artikels 48 vor, welche die Unterstellung der Polizei unter den Reichsminister des Innern vorsieht. Die Reichsregierung bittet den Herrn Reichspräsidenten, diese Verordnung für alle Fälle unter Offenlassung des Datums bereits jetzt zu vollziehen; sie werde nur in Kraft gesetzt werden, wenn sich in Preußen eine Regierung bilde, welche die Verbindung mit dem Reich wieder abbreche.
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Zu den diesbez. Unterhandlungen zwischen Zentrum und NSDAP vgl. Morsey, Der Untergang des politischen Katholizismus, S. 58 ff. Das Zentrum hatte seine ablehnende Haltung gegenüber der VO des RPräs. vom 20.7.32 besonders nachdrücklich in seinen dem RK am 11. 8. vorgelegten Grundgedanken einer verfassungsmäßigen Politik (Anm. 8 zu Dok. Nr. 99) zum Ausdruck gebracht. Vgl. hierzu auch das Schreiben Kerrls an Papen vom 26. 8. (Dok. Nr. 114).
Reichsminister des Innern Freiherr von Gayl liest dann den Wortlaut einer solchen Verordnung vor17.
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Text der VO nicht ermittelt.
Der Herr Reichspräsident erklärt sich mit der Verordnung einverstanden. Die Verordnung wird unmittelbar hierauf vollzogen, vom Herrn Reichskanzler und dem Reichsminister des Innern gegengezeichnet18.
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Die VO wurde nicht in Kraft gesetzt.
5) Es wird alsdann beschlossen, das nachstehende Kommuniqué über die Besprechung herauszugeben:
„Neudeck, 30. 8. Reichspräsident von Hindenburg empfing heute den Reichskanzler von Papen, Reichsminister des Innern Freiherr von Gayl und Reichswehrminister von Schleicher zu gemeinsamem Vortrag über die schwebenden Fragen der Innenpolitik und insbesondere das Wirtschaftsprogramm der Reichsregierung. Der Herr Reichspräsident erteilte seine Zustimmung zu den von der Reichsregierung geplanten, vom Reichskanzler in seiner Rede in Münster in den Grundszügen bekanntgegebenen wirtschaftlichen und finanziellen Maßnahmen; er ersuchte den Reichskanzler, bei der Ausarbeitung der einzelnen Bestimmungen insbesondere darauf zu achten, daß die Lebenshaltung der Arbeiterschaft gesichert und der soziale Gedanke gewahrt bleibe. Die eingehende Besprechung der innerpolitischen Lage ergab völlige Übereinstimmung zwischen dem Herrn Reichspräsidenten und der Reichsregierung.“19.
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Mit diesem Wortlaut verbreitet durch WTB am 30. 8. (WTB-Bericht Nr. 1839 in R 43 I/678, Bl. 257).
Für die Niederschrift
Dr. Meissner
Staatssekretär