2.129 (vpa1p): Nr. 128 Graf Garnier-Turawa an den Reichskanzler. Turawa, 5. September 1932

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Nr. 128
Graf Garnier-Turawa an den Reichskanzler. Turawa, 5. September 1932

R 43 I /663 , Bl. 133–135

[Zinssenkung im Interesse der Landwirtschaft]

Mein hochverehrter Freund!

Wie ich vor 14 Tagen mir erlaubte, Ihnen mitzuteilen, war ich vom 27. 8. bis 1. 9. incl. tatsächlich in Berlin und habe außerordentlich intensiv innerhalb der einzelnen Ministerien usw. an der Lösung der für uns Oberschlesier in Sonderheit so schweren Fragen mitzuarbeiten mir erlaubt. Ich habe darauf verzichtet, Sie persönlich aufzusuchen, so sehr es mich dazu gedrängt hat, denn ich kannte das Programm ganz genau, das Sie zu bewältigen hatten und es erschien mir taktlos, mich Ihnen mit Sonderfragen und allerhand Wünschen in einer Zeit aufzudrängen, in der Sie innerlich auch garnicht die Ruhe haben können, um mit Ihren alten Freunden mehr als einen Händedruck und einige freundliche Worte zu tauschen.

Lassen Sie mich Ihnen heute unter Übergehung aller Betrachtungen zu unserer innerpolitischen Lage nur ein Wort zu dem vordringlichsten wirtschaftlichen Problem sagen, das seiner Lösung durch Ihr Kabinett harrt: dem Zinsproblem1. Die gesamte Gläubigerseite wird bei Ihnen aufmarschieren und Ihnen[522] die Versicherung geben, daß eine generelle Zinssenkung, wie sie allein durchführbar ist, praktisch unmöglich sei. Man wird Sie vor dem Ausland warnen, vor der Schrumpfung der beleihbaren Substanzwerte auf den Kassen, die alle großen Pfandbriefbestände im Tresor haben. Man wird Ihnen klar zu machen suchen, daß die innere Kaufkraft erneut erschüttert würde, wenn die Pfandbriefrentner 30–40% ihrer Einnahmen verlören. Das allergrößte Wehgeschrei werden naturgemäß die Großbanken erheben.

1

Zu den Zinssenkungsforderungen der Landwirtschaft vgl. Dok. Nr. 125, dort auch Anm. 2. – Am 12. 9. schrieb der Bevollmächtigte zum RR für die Prov. Ostpreußen Graf zu Eulenburg-Prassen an den RK u. a.: „Über eins aber muß sich die Regierung vollkommen klar sein, daß ein Erfolg ihrer Maßnahmen ohne eine generelle Zinssenkung ausgeschlossen ist, die Landwirtschaft jedenfalls unmöglich das wird leisten können, was von ihr verlangt werden muß. Die Osthilfe ist ohne die generelle Zinssenkung erledigt, eine Tatsache, die die Regierung schwer wird tragen können. […] Wenn Ihre Regierung keine Episode sein soll, sondern das Vaterland retten will, so machen Sie unter allen Umständen sofort die generelle Zinssenkung, die einen Jubelschrei der gesamten Wirtschaft auch aus der kleinsten Ecke des Vaterlandes bringen wird, die aber Allen auch wieder den Mut geben wird, hoffnungsvoll nach Ihren Richtlinien weiterzuarbeiten.“ (R 43 I /663 , Bl. 115). Hierauf antwortete Papen unter dem 19. 9.: Die RReg. könne „Fragen dieser Art nicht nur vom Standpunkt derer sehen, die es unmittelbar angeht“, sondern müsse auf die Gesamtlage und ihre Entwicklungstendenzen Rücksicht nehmen. „Mit noch so wohlüberlegten Maßnahmen zentraler Obrigkeit allein läßt sich der Geld- und Kapitalmarkt nicht regeln. Ohne Vertrauen in feste Rechtsformen und eine bessere Zukunftsentwicklung kommt das Geld nicht aus dem Strumpf in produktive Arbeit. Das ist die Schwierigkeit, vor der die Reichsregierung auf dem Zinsgebiet steht. Sie weiß, wie unerträglich gerade für die Landwirtschaft die überhöhten Zinsen sind. Sie wird ihr durch Senkung des Diskontsatzes [vgl. Dok. Nr. 107, P. 1, dort auch Anm. 5] und durch Maßnahmen auf dem Gebiete des Personal- und Realkredites fühlbare Erleichterung schaffen.“ (Ebd., Bl. 116).

In jeder dieser Behauptung liegt ein Korn der Wahrheit, und ich würde, gehörte ich zur Gläubigerseite, selbstverständlich mit ähnlichen Vorstellungen mich anmelden. Trotz dessen werden die ehernen Gesetze des Wirtschaftslebens und der Logik Ihnen einen anderen Weg vorschreiben, und diesen Weg müssen Sie sehr bald gehen, wenn das Kabinett wirtschaftlich sich das Vertrauen der Urproduzenten (Land- u. Forstwirtschaft) erhalten will. Lassen Sie mich Ihnen folgende einfachste Formel vor Augen führen und dann urteilen Sie bitte selbst:

Wer vor dem Kriege Tausend Mark Roheinnahmen auf einem landwirtschaftlichen Gute hatte, hat heut etwa 700–750 Mk. an Bruttoeinnahmen.

Wer früher forstliche Einnahmen von Tausend Mark hatte, hat jetzt 600, beide aber haben, abgesehen von den Schuldenzinsen, etwa die doppelten Ausgaben von früher zu tragen, und diese überwiegen weit die Bruttoeinnahmen bei der Forstwirtschaft um etwa 30–50%. Soll also Deutschland überhaupt in seiner Urproduktion wieder zur Rentabilität kommen, so gibt es tatsächlich keine andere Möglichkeit als einen Ausgleich der Einnahmen und Ausgaben. Die landwirtschaftlichen Einnahmen lassen sich nicht ohne weiteres durch eine forcierte Erhöhung der Produktenwerte steigern. Das verträgt die geringe Durchschnittseinnahme der deutschen städtischen und Industrie-Bevölkerung nicht mehr. Da aber eine entsprechende Steigerung der Einnahmen unmöglich ist, so müssen die Lasten der Produktion gesenkt werden. Ich übergehe absichtlich den einen Sektor, nämlich den der sozialen Lasten und beziehe mich nur ganz kurz auf den steuerlichen, der beispielsweise in der Grundvermögenssteuer unmögliche Forderungen an den Produzenten stellt. Ist also das Bild jedes Wirtschaftsjahresabschlusses an sich schon recht trübe, so wandelt es sich zu einem erschütternden Ergebnis in dem Augenblick, wo Sie die Schuldenzinsen in Rücksicht ziehen. Es gibt wohl kaum unverschuldete Besitze im deutschen Ostland. Es gibt nur sehr wenige Besitze, die keine rückständigen Zinsen haben. Es ist eine vollkommene Unmöglichkeit für all diese Betriebe, aus den laufenden Erträgen die rückständigen Zinsen zu bezahlen, ebensowenig, wie sie die laufenden Zinsen bei ihrer derzeitigen Höhe herauswirtschaften können. Nur diese klare Erkenntnis kann und darf die Frage des Zinsproblems entscheiden. Sie spitzt sich absolut auf die Frage zu: Kann man es riskieren, der Urproduktion speziell des deutschen Ostens eine weitere Minuswirtschaft zuzumuten? Überdies ohne ihr die Möglichkeit einer Kreditbeschaffung zu gewähren? Diese[523] Frage stellen, heißt sie verneinen. Die Auswirkungen einer generellen Zinssenkung sind grausam für große Teile der Gläubigerseite. Die Auswirkungen einer sich weiter ins Unermeßliche verschuldenden Land- u. Forstwirtschaft sind grausam zunächst für diese Betriebe, auf weite Sicht gesehen aber geradezu ein Verhängnis auch für die Gläubigerseite, die hierdurch in verhältnismäßig naheliegender Zukunft unübersehbare Verluste erleiden wird und muß. Jedenfalls werden diese – auf weite Sicht gesehen – zu erwartenden Verluste größer sein und schwerer tragbar als ein einmaliger scharfer Schnitt, der die Basis einer Rentabilitätsmöglichkeit und einer positiven Ordnung der wirtschaftlichen Etats wiederherstellt.

Wollen Sie, mein hochverehrter Freund, den diese Gedankengänge zurzeit sicherlich auch auf das schwerste belasten, sich diese vollkommen unkomplizierte und ganz einfache Formel gütigst vor Augen führen, ehe Sie sich definitiv entscheiden. Von der praktischen Lösung dieser Frage hängt das Vertrauen des ganzen Ostens, soweit es sich um Land- u. Forstwirtschaft handelt, zu Ihrem Kabinett ab.

Ich habe mir erlaubt, dem Freiherrn von Braun diese Gedankengänge in kurzem, präzisem persönlichem Vortrage nahezubringen und habe überdies dem Reichswehrminister Herrn von Schleicher in ähnlichem Sinne geschrieben und ihm einen praktischen Vorschlag unterbreitet, der ganz kurz dahin lautet: Daß, wenn die Liquidität des Reichs dies ertragen sollte, das Reich auf der Gläubigerseite a fonds perdu 2% zu Gunsten der Gläubigerseite der ersten Hypothek und zur Entlastung der Urproduktion übernehmen sollte. Bei einer Verschuldung von 2 Milliarden im deutschen Osten würde dies einen Jahreszuschuß von 40 Millionen bedeuten. Um welche Summe es sich bei einer generellen Übernahme seitens des Reichs im vorgedachten Sinne handeln würde, vermag ich nicht mit absoluter Genauigkeit zu übersehen. Diese Millionen würden ein Geschenk an die Gläubigerseite bedeuten und sind selbstverständlich, rein geschäftlich gedacht, verlorenes Geld. Sie sind es aber in ihrer praktischen Auswirkung nicht, da sie die innere Kaufkraft Deutschlands ganz außerordentlich stärken und von Erschütterungen durch einen generellen Abstrich der Zinsen bewahren würden, und sie sind letzten Endes eine billigere Lösung – im geldlichen Sinne gedacht – dieses an sich für jede Regierung kaum lösbaren Problems als all die Hunderte von Millionen, die in Osthilfe, Umschuldung und Siedlung laufend verankert werden. Alles, was diesbezüglich bisher auf diesem Gebiet geschehen ist, geht an dem Kernproblem vorbei. Dies lautet: Wiederherstellung der Rentabilität, und diese ist nur herzustellen, wenn die Lastenseite des Wirtschaftslebens ebenso auf das Vorkriegsniveau zurückgeschraubt worden ist wie die Einnahmeseite und Verdienstmöglichkeit, bei der dieser Prozeß ohne Rücksicht auf die Produzenten unter dem Druck der Weltmarktpreise bereits vollzogen worden ist.

Ich habe mich für verpflichtet gehalten, Ihnen als alter Freund diese meine bescheidenen Ausführungen in der ehrlichen Überzeugung zu überreichen, daß nur auf diesem Wege eine Gesundung unseres gesamten Wirtschaftslebens durchführbar ist.

Das Programm der Nationalsozialisten schreibt, wie Sie wissen, einen ähnlichen[524] brutalen Eingriff in das Zinsproblem vor2. Es liegt mir durchaus fern, mir eine Kritik an den wirtschaftlichen Absichten der Nationalsozialisten zu gestatten, da mir dieselben nur ungenügend bekannt sind. Aber in diesem Punkt haben die Nationalsozialisten zweifelsfrei den Kern unserer unmöglichen Wirtschaftslage – soweit es sich um die Produktion handelt – erkannt. Mögen die innerpolitischen Verhältnisse sich entwickeln wie sie wollen; um eine prinzipielle und klare Entscheidung zu diesem Problem kommt keine Regierung herum, die ernstlich die Neugeburt unseres Wirtschaftslebens zu fördern entschlossen ist.

2

Gemeint ist offenbar Punkt 11 des NS-Parteiprogramms: „Abschaffung des Arbeits- und mühelosen Einkommens. Brechung der Zinsknechtschaft.“ Vgl. dazu Feder, Das Programm der NSDAP und seine weltanschaulichen Grundlagen, S. 14, 29 ff.

Mit verbindlichen Grüßen bin ich, mein hochverehrter Freund, stets Ihr in dankbarster Anerkennung der ungeheueren Aktivität, die Ihr Kabinett bisher entfaltet hat,

besonders ergebenster

Garnier-Turawa3

3

Auf dieses Schreiben wurde, soweit aus den Akten ersichtlich, eine Antwort nicht erteilt. Zur Kabinettsberatung über das Zinsenproblem s. Dok. Nr. 153, P. 2.

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