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[347]2. Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit.
Der Reichsminister des Innern führte aus, daß die Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit dringend geboten sei. Zur Erreichung dieses Zieles beständen folgende Möglichkeiten, die sofort verwirklicht werden müßten:
a) | Die Strafverfolgung werde durch die Einführung von Sondergerichten beschleunigt; Sondergerichte könnten auf Grund der Verordnung vom 6. Oktober 193111 eingeführt werden. |
b) | Die Strafen für unbefugtes Waffentragen12 müßten verschärft werden. |
c) | Für diejenigen, welche ihre politischen Gegner mit der Waffe verletzten oder gar töteten, müsse die Todesstrafe eingeführt werden. Das Gnadenrecht müsse in diesen Fällen dem Reich übertragen werden. |
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Es handelt sich um die VO des RPräs. „zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen und zur Bekämpfung politischer Ausschreitungen“ vom 6.10.31 (RGBl. I, S. 537, 565), wodurch die RReg. ermächtigt war, „zur Aburteilung bestimmter strafbarer Handlungen in Bezirken, in denen ein Bedürfnis dafür hervortritt, Sondergerichte zu bilden“. Diese sollten „Gerichte der Länder“ sein, deren „Bezirke und Sitz“ von der RReg. nur „im Benehmen mit den Landesregierungen“ bestimmt werden konnten. Die RReg. war durch die VO außerdem ermächtigt, Vorschriften über die Zusammensetzung der Sondergerichte, ihre Zuständigkeit und das Verfahren zu erlassen.
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Unbefugter Waffenbesitz konnte bestraft werden auf Grund 1) des „Gesetzes über Schußwaffen- und Munition“ vom 12.4.28 (RGBl. I, S. 143) mit Gefängnis bis zu drei Jahren und/oder Geldstrafe; 2) des „Gesetzes gegen Waffenmißbrauch“ (betr. vornehmlich Hieb- und Stoßwaffen) vom 28.3.31 (RGBl. I, S. 77) mit Gefängnis bis zu einem Jahr und/oder Geldstrafe; 3) der VO des RPräs. „zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen und zur Bekämpfung politischer Ausschreitungen“ vom 6.10.31 (RGBl. I, S. 537, 567), welche bestimmte: „Wer auf frischer Tat bei einem Verbrechen oder Vergehen betroffen wird, das mittels einer Waffe begangen ist oder dessen Strafbarkeit durch unbefugtes Führen einer Waffe oder unbefugtes Erscheinen mit einer Waffe begründet wird, ist in polizeiliche Haft zu nehmen, wenn dies im Interesse der öffentlichen Sicherheit erforderlich ist, und so lange festzuhalten, als diese Voraussetzung vorliegt.“; 4) der VO des RPräs. „zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen und zum Schutze des inneren Friedens“ vom 9.12.31 (RGBl. I, S. 699, 742) mit Gefängnis nicht unter drei Monaten im Falle des unbefugten Erwerbs und Verkaufs, der unbefugten Vermittlung und Überlassung von Schuß- bezw. Hieb- und Stoßwaffen.
Reichskommissar Dr. Bracht führte aus, daß die Polizei noch nicht restlos in objektivem Sinne arbeite. Das sei nicht zu verwundern, wenn man bedenke, daß die Polizei über 10 Jahre im Dienste der Weimarer Koalition, man könne wohl sagen, einseitig in erster Linie gegen Rechts vorgegangen sei. Sowohl an leitenden Posten im Preußischen Ministerium des Innern wie auch anderswo würden noch Revirements notwendig sein. Den Nationalsozialisten müsse er zum Ruhme nachsagen, daß sie bisher so gut wie keine Personalwünsche geäußert hätten.
Was die letzten Zwischenfälle in Oberschlesien und Kassel anlange, so habe er den Eindruck, daß sie von der Polizei stark übertrieben worden seien13.
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Zahlreiche Berichte über politische Gewaltakte (NSDAP und KPD) in der Zeit vom 1. bis 10.8.32 bei Horkenbach, S. 279 ff. Zu den Ereignissen in Nieder- und Oberschlesien vgl. Bessel, Political Violence and the Rise of Nazism, S. 85 ff., 90 ff.; einige Materialien hierzu auch in NL Luetgebrune 116–118. Zu den Vorgängen in Königsberg/Ostpr. (Bomben- und Revolverattentate, NS-Übergriffe gegen jüdische Geschäfte, Ermordung des kommun. Stadtverordneten Sauff) vgl. Gause, Geschichte der Stadt Königsberg, Bd. III, S. 114 ff.; Bessel, a.a.O., S. 87 ff.
Zu der von dem Reichsminister des Innern erwähnten Notverordnung wolle er sich noch Ergänzungsvorschläge vorbehalten. Vor allem halte er es für das beste, jetzt die Verordnung noch nicht zu erlassen. Wir befänden uns, wie er schon ausgeführt habe, in einer Übergangszeit, da die Exekutive noch nicht restlos objektiv im Sinne der Allgemeinheit arbeite.
[348] Beklagen müsse er vor allem die einseitig parteiische Einstellung der Presse. Besonders die sogenannte Asphaltpresse berichte einseitig stets über angebliche nationalsozialistische Überfälle und Greueltaten, verschweige jedoch kommunistische Übergriffe. Hiergegen vorzuschreiten müsse die gesetzliche Möglichkeit geschaffen werden.
Für zweckmäßig halte er auch die Einführung der polizeilichen Haft durch Notverordnung. Die Bekämpfung der KPD werde dann leichter fallen.
Der Reichsminister des Innern vertrat die Auffassung, daß die Verordnung baldigst erlassen werden müsse. Gleichzeitig mit der Verkündung der Verordnung könnten vielleicht einige kommunistische Organisationen verboten werden.
Staatssekretär Dr. Schlegelberger begrüßte die Absicht, gegen alle politischen Straftaten rücksichtlos vorzugehen. Schon durch einfache gesetzgeberische Verbesserungen könnten den Strafverfolgungsbehörden Erleichterungen verschafft werden. Z. B. seien die Vorschriften über unerlaubten Waffenbesitz sehr zerstreut; sie müßten zusammengefaßt werden.
Er warne vor der Einführung der Todesstrafe für den Fall der Verletzung oder der Tötung eines Gegners im politischen Kampf. Eine Strafandrohung müsse ernst gemeint sein, d. h. die verhängte Strafe müsse stets vollstreckt werden. Er könne sich nicht denken, daß die in derartigen Fällen verhängte Todesstrafe stets vollstreckt werde.
Besser sei es, die Zuchthausstrafe für diese Fälle einzuführen.
Das Gnadenrecht könne unmöglich vom Reich ausgeübt werden. Eine derartige Vorschrift werde zu großen Schwierigkeiten führen.
Einen Vorzug der Sondergerichte erblickte er in der Besetzung durch Berufsrichter. Der Nachteil liege darin, daß Sondergerichte den Wunsch nach Erlaß von Amnestien förderten.
Oberst von Bredow führte aus, daß auch nach Auffassung des Reichswehrministeriums ein energisches Eingreifen gegen die Übergriffe im politischen Kampfe unbedingt geboten sei. Die Stimmung sowohl bei den Nationalsozialisten als auch beim Reichsbanner sei sehr erregt. Vielleicht könnten gewisse Strafvorschriften verschärft und die Aburteilung beschleunigt werden.
Reichskommissar Dr. Bracht teilte mit, es sei festgestellt worden, daß vielfach – namentlich im Ruhrgebiet – erhebliche Mengen von Waffen aus dem Ausland eingeführt worden seien. Es seien auf diesem Wege z. B. Revolver schon für 5 bis 6 Mark zu haben. Er schlage vor, den Waffenschmuggel und Waffenhandel schärfer zu beobachten und gegen Vergehen nachdrücklich einzuschreiten.
Staatssekretär Schlegelberger meinte, man könne bezüglich des Durchgreifens unterscheiden zwischen Maßnahmen der Polizei und der Justiz. Wenn Schwierigkeiten bestünden, daß die Polizei schärfere Anweisungen erhalte, so könnten doch die Justizbehörden z. B. in Preußen durch das Preußische Justizministerium angeregt werden, in den Fällen, in denen die Justizbehörden befaßt würden, mit möglichster Strenge vorzugehen.
Der Reichsminister des Innern stellte als Ergebnis der Aussprache fest, daß eine weitere Verordnung zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung erforderlich[349] erscheine. Über den notwendigen Inhalt bestehe im Kabinett noch nicht völlige Klarheit. Er schlage deswegen vor, daß der Inhalt der Verordnung von einem Ausschuß näher festgelegt werde, dem außer dem Reichsminister des Innern der Reichsminister der Justiz und der Reichswehrminister angehören sollten14. Im übrigen sollte nicht nur eine Verordnung erlassen, sondern gleichzeitig auch ein Programm für die weiteren Maßnahmen aufgestellt werden.
Das Reichskabinett war damit einverstanden.
Es wurde sodann noch die Frage erörtert, ob ein neuer Termin für eine allgemeine Waffenabgabe festgesetzt werden solle.
Staatssekretär Schlegelberger machte einen solchen Vorschlag und meinte, um einen größeren Erfolg zu erzielen, könnten vielleicht neutrale Stellen für die Abgabe bestimmt werden.
Reichskommissar Dr. Bracht und der Reichsminister des Auswärtigen äußerten übereinstimmend Bedenken wegen der Durchführbarkeit einer solchen Anordnung, weil erfahrungsgemäß eine Waffenabgabe kaum erzwungen werden könne. Die jetzige Situation würde auch insofern verschärft werden, als nur die ruhigeren Elemente einer solchen Anordnung folgen würden. Es würden also dann lediglich die Unruhestifter noch im Besitz von Waffen bleiben.