1.114 (str2p): Nr. 228 Abgeordneter Carl Petersen an den Reichskanzler. Hamburg, 7. November 1923

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Nr. 228
Abgeordneter Carl Petersen an den Reichskanzler. Hamburg, 7. November 1923

Pol. Arch.: NL Stresemann 4 eigenhändig

[Betrifft: Stellung der DDP-Fraktion zum Rumpfkabinett Stresemann.]

Vertraulich!

Sehr geehrter Herr Reichskanzler!

Bei der Besprechung, die die Vertreter unserer Fraktion mit den Kabinettsministern mit [!] Ihnen hatten1, stellte ich Ihnen in Aussicht, die endgültige Stellungnahme unserer Fraktion mitzuteilen.

Unsere Fraktion hat gestern getagt und beschlossen, einstweilen ihre Stellung zum Rumpfkabinett nicht zu ändern.

Ich habe der Fraktion Bericht erstattet über Dasjenige, was Sie zu den einzelnen, Ihnen vorgetragenen Punkten erklärt haben, woraufhin dann der mitgeteilte Beschluß gefaßt ist.

Da von der Einberufung des Reichstages einstweilen abgesehen werden soll, möchte ich nicht verfehlen, diese Punkte noch einmal schriftlich festzulegen. Über folgende Punkte wurde mit Ihnen im großen und ganzen Einverständnis erzielt:

1.

Bei allen wichtigen Gründen, die für eine alsbaldige Einigung mit Bayern sprechen, ist doch daran festzuhalten, daß es über die Personalfrage von Lossow und mit Herrn von Kahr keine Diskussion geben kann; selbstverständlich auch nicht mit den vaterländischen Verbänden, und daß für etwaige Wünsche der Bayerischen Regierung der verfassungsmäßige Weg vorzubehalten ist; daß die Auswahl der Mittel wie die Zeit ihrer Anwendung ausschließlich Sache der verantwortlichen Regierung ist, daß aber [991] dabei die klare Richtlinie aufrecht erhalten werden muß, daß Bayern zur Anerkennung der Reichsverfassung gezwungen wird und die gegen diese Verfassung vorgenommenen Schritte zurücknimmt2.

2.

Die jetzige Regierung wird in keiner Weise die Derelinquierung des Rheinlandes auch nur tolerieren; sie wird soweit das irgendwie mit den finanziellen Belangen vertretbar ist, die Mittel zur Verfügung stellen, um die Wiederinbetriebnahme der Wirtschaft zu fördern3.

3.

Das Kabinett sieht mit uns in der alsbald herbeizuführenden Regelung der Währungsfrage die Hauptfrage auf wirtschaftlichem und finanziellem Gebiet; die endgültige Regelung wird, wie die Dinge heute liegen, nur durch eine Notenbank herbeigeführt werden können, welche eine Goldunterlage für die auszugebenden Noten besitzt. Sie teilten uns Ihre Absicht mit, die Regelung aller Fragen, die damit untrennbar zusammenhängen, einem besonderen Kommissariat zu übertragen, das beim Finanzministerium errichtet wird, und nehmen als Kommissar – selbstverständlich unter völliger Freiheit Ihrer diesbezüglichen Entschließung – Herrn Direktor Schacht in Aussicht4.

4.

Sie waren mit uns darin einig, daß unter allen Umständen vermieden werden müsse eine Umlegung des Steuers nach rechts, sowohl materiell wie formell, daß daher eine Verbindung mit den Deutschnationalen auf der einen Seite abzulehnen, auf der anderen Seite alles zu tun sei, um für die bevorstehenden schweren Monate die Sozialdemokraten in möglichst neutraler Stellung zum Kabinett zu halten. Sie sagten uns zu, daß Sie zu diesem Zwecke sich sowohl für die Erhaltung der großen Koalition in Preußen wie für die einstweilige Erhaltung der Regierung in Sachsen bei Ihrer Partei einsetzen würden5. Diese Gedanken müssen auch leitend [992] sein bei einer etwaigen Ergänzung des Kabinetts. Was die in der Presse für das Ministerium des Innern genannte Persönlichkeit betrifft, so wurden in unserer Fraktion starke Bedenken erhoben, weil nach Äußerungen, welche– wie Ihnen bekannt sein wird – Herr J[arres] vor den Vertretern des besetzten Gebietes getan hat, seine Wahl gerade dort starken Widerspruch und Mißstimmung hervorrufen würde6.

Angesichts der Gefahren, welche einer ruhigen Entwicklung auf dem Wege der Verfassung drohen, legt unsere Fraktion aus den ausgeführten Gründen entscheidenden Wert darauf, daß auch bei den Personen, welche für die Ergänzung vorgesehen werden, ihre Verfassungstreue außer Zweifel steht.

Verzeihen Sie, sehr geehrter Herr Reichskanzler, daß ich nicht noch Gelegenheit nahm, persönlich bei Ihnen vorzusprechen, da ich unmittelbar im Anschluß an die Fraktionssitzung nach Hamburg zurückkehren mußte. Sie werden gewiß damit einverstanden sein, daß ich diese Mitteilung schriftlich mache, weil ich weiß, wie sehr Ihre Zeit bis an die Grenze des Möglichen besetzt ist.

Ich verbleibe mit bestem Gruß

Ihr ergebener

Carl Petersen

Fußnoten

1

Das Datum dieser Besprechung läßt sich nicht mit Sicherheit ermitteln. Im Terminkalender ist am 3.11.23 für 18.45 Uhr der Name von Petersen angeführt (BA: NL von Stockhausen  15).

2

S. hierzu Geßlers Haltung in Dok. Nr. 222, P. 4.

3

Zur Einstellung des Kabinetts gegenüber finanziellen Leistungen für das Rheinland s. Dok. Nr. 227, P. 79.

4

Zur Ernennung Schachts zum Reichswährungskommissar s. Dok. Nr. 242, P. 4.

5

Über die Fortsetzung der Großen Koalition in Preußen hatte die Fraktion der DVP in den Sitzungen am 5. und 6.11.23 mit gegensätzlichen Aussagen diskutiert. So hatte Gildemeister gemeint: „Was Preußen anbetrifft, so hat doch die Sozialdemokratie die innere Verwaltung verseucht. Wir würden das Ende der großen Koalition in Preußen begrüßen.“ Demgegenüber hatte v. Kardorff gesagt: „Im Vergleich zu Sachsen sind die Verhältnisse in Preußen recht gute. Severing ist doch der kommunistischen Gefahr Herr geworden, […].“ (Pol.Arch.: NL Stresemann  87). Zu den Überlegungen, eine Zusammenarbeit mit der DNVP herbeizuführen s. die Auszüge aus den Protokollen, in: Vermächtnis I, S. 195 ff. u. 198 ff. Der Abg. Morath führte am 6.11.23 nachmittags aus, kein Redner habe „Beweis dafür erbracht, daß die Dtschn. bereit sind, in Stres. Kabinett einzutreten. Alles, was wir über ihre Bedingungen in personeller Hinsicht gehört haben, ist unannehmbar und wenn sie wollten, gingen Zentrum und Demokraten nicht mit, käme also parlamentarische Mehrheit nicht zustande“ (Pol.Arch.: NL Stresemann 87). Der Zentrums-Abg. Wirth hatte StS v. Maltzan am 3. 11. mitteilen lassen, die Lage sei nach dem Austritt der SPD aus dem Kabinett ernst und nicht durch Regierungsumbildung zu meistern. Die demokratisch-republikanischen Kreise würden sich nicht alles bieten lassen. Dies sei nicht nur Ansicht seiner Freunde, sondern auch die von Angehörigen der DDP-Fraktion (Pol.Arch.: NL v. Maltzan, Besetztes Gebiet (Rheinland) ). Vgl. H. Stehkämper, Der Nachlaß des Reichskanzlers Wilhelm Marx I, S. 295. Auf die Erkundigung des brit. Botschafters D’Abernon nach der inneren Lage in Deutschland erwiderte StS v. Maltzan am 7.11.23, „die Lage sei recht delikat. Es handle sich offenbar darum, ob die Deutschnationalen ins Kabinett eintreten sollten und unter welchen Bedingungen. Dabei handle es sich auch um die Persönlichkeit Stresemanns, dessen Lage ebenfalls als recht delikat anzusprechen sei. Jedenfalls sei auch ich der Meinung, daß eine möglichst baldige Lösung der Krise auf diese oder andere Weise allem anderen vorzuziehen sei. – Lord D’Abernon gab mir darin recht und fügte hinzu, er sehe die ganze Sachlage doch als recht bedenklich an“ (Pol. Arch.: Büro StS I, Bd. 1). In der Fraktionssitzung der DVP am 9.11.23, in der erneut über die Zusammenarbeit mit der DNVP beraten wurde, gab der Abg. Beuermann bekannt: „12 Mitglieder der Demokraten haben mich beauftragt, in der Fraktion hier zu sagen, daß sie für den Bürgerblock seien“ (Pol.Arch.: NL Stresemann 87).

6

S. hierzu Anm. 25 zu Dok. Nr. 77; Dok. Nr. 210. Zur Ernennung von Jarres führte Scholz als Fraktionsvorsitzender der DVP in der Sitzung vom 10.11.23 aus: „Angelegenheit Jarres. Gewissenskonflikt, ob er Ministerium des Innern übernehmen solle. Wallraf hat ihm abgeraten. Zentrum und Demokraten haben auch Andeutungen gemacht, daß sie über seine Kandidatur nicht sehr beglückt wären. Ich bin für Jarres, namentlich auch im Hinblick auf Beamtenabbau.“ Der Fraktionsvorsitzende schlug vor, „Jarres zu sagen, Fraktion hat volles Vertrauen, daß er das angebotene Amt ausfüllen werde, darin liegt, daß sie ihm Entscheidung vollkommen überläßt. – Kempkes bittet, weiter zu gehen. Wenn Jarres fragt, ob es die Fraktion für richtig hält, daß er ins Kabinett trete, dann müsse er eine Antwort bekommen. Er beantrage für diesen Fall, Rat des Eintritts zu geben. – Abstimmung. Vorschlag Scholz einstimmig angenommen, Vorschlag Kempkes mit 15 gegen 4 Stimmen angenommen“ (Pol.Arch.: NL Stresemann  87).

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