1.164 (str2p): Nr. 277 Der Vertreter der Reichsregierung in München an die Reichskanzlei. München, 21. November 1923

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[1159] Nr. 277
Der Vertreter der Reichsregierung in München an die Reichskanzlei. München, 21. November 1923

R 43 I /2264 , Bl. 340–342

Inhalt: Besprechung mit dem bayerischen Justizminister Gürtner über die Verhandlung des Hitler-Putsches1.

Justizminister Dr. Gürtner suchte mich heute in Begleitung des Staatsrats Schmitt vom Justizministerium auf, um die Angelegenheit des Hitler-Prozesses mit mir zu besprechen.

Staatsrat Schmidt trug den Verlauf der Besprechungen vor, die er in Berlin mit Staatssekretär Joël dieserhalb gehabt hat. Er habe Herrn Joël vorgeschlagen, daß der Ober-Reichsanwalt das Verfahren an das bayerische Volksgericht devolvieren möchte, wozu er gesetzlich berechtigt sei. Herr Joël hätte juristische Bedenken gegen diesen Weg geäußert, aber zugesagt, daß er diese Frage in Gemeinschaft mit dem Ober-Reichsanwalt prüfen werde. Ergebe die Prüfung die juristische Gangbarkeit dieses Weges, so bleibe allerdings immer noch die Notwendigkeit, die Genehmigung des Reichskabinetts zu einem derartigen Schritte des Ober-Reichsanwalts einzuholen. Nach seiner, Staatsrat Schmidts, Ansicht gehe aus der Tatsache, daß Staatssekretär Joël die Angelegenheit vor das Kabinett gebracht habe, hervor, daß auch letzterer die juristische Frage im Sinne des hiesigen Justizministeriums entschieden habe, daß also auch das Reichs-Justizministerium eine Devolvierung für zulässig halte.

Herr Dr. Gürtner führte aus, daß der Zweck seines Besuches sei, einem neuen schweren Konflikt mit dem Reiche, der aus dieser Frage entspringen könne, vorzubeugen. Er sei tatsächlich außerstande zuzulassen, daß der Hitler-Prozeß vor einem anderen wie vor einem bayerischen Gericht stattfinde. Einmal sei ein Transport Hitlers, Ludendorffs oder sonstiger Persönlichkeiten, die in dem Putsch verwickelt seien, nach Leipzig schon deswegen ausgeschlossen, weil der Generalstaatskommissar Vollstreckungs-Handlungen in Verfolg des Republikschutzgesetzes verboten habe2. Der Generalstaatskommissar würde daher einen solchen Transport verhindern. Dr. Gürtner sei aber auch politisch außerstande, einem derartigen Ersuchen Folge zu geben; denn mit Ausnahme der Linken seien sämtliche Parteien, und zwar nicht etwa bloß die Anhänger Hitlers, der Auffassung, daß der Prozeß nicht vor dem Staatsgerichtshofe stattfinden dürfe, sondern einem bayerischen Gericht vorbehalten bleiben müsse. Keine bayerische Regierung würde sich dieser Stimmung widersetzen können. Übrigens weise er darauf hin, daß der Fuchs-Machhaus-Prozeß3, der ebenfalls einen Hochverrat gegen das Reich behandelt habe, auch vor dem bayerischen Volksgericht stattgefunden habe.

[1160] Trotz des Drängens der Presse und der Veröffentlichung über die Angelegenheit in sozialistischen Blättern, vor allem im „Vorwärts“, habe er bisher zu verhindern gewußt, daß sich die bayerischen Blätter mit der Frage beschäftigten, er würde auch weiter, soweit irgend tunlich, verhindern, daß die Angelegenheit von politischem oder juristischem Standpunkt aus in der Presse erörtert würde. Nicht umgehen könne er allerdings, daß in den nächsten Tagen eine Notiz gebracht würde des Inhalts, daß der Hitler-Prozeß vor einem bayerischen Volksgericht verhandelt werden würde. Er bemerke dazu, daß die bayerische Regierung und er insbesondere keineswegs die Absicht hätten, etwa den Prozeß lässig zu betreiben und eine Bestrafung der Schuldigen zu verhindern. Im Gegenteil, die Staatsanwaltschaft habe sich bereits sehr eingehend mit der Angelegenheit befaßt und zahlreiche Verhaftungen und Vernehmungen vorgenommen. Ludendorff sei vorläufig nur in Schutzhaft genommen worden, doch werde man ihm Veröffentlichungen in der Presse, die er letzthin noch veranlaßt habe, untersagen. Als Beweis dafür, wie scharf die Staatsanwaltschaft vorgehe, führte Dr. Gürtner an, daß Hitler den Antrag gestellt habe, sich mit seinem Verteidiger ohne Zeugen besprechen zu dürfen. Obwohl solche zeugenlosen Unterredungen regelmäßig Angeschuldigten zugestanden würden, habe man, um Verdunkelungen zu vermeiden, das Hitlersche Ersuchen abgeschlagen. Hitler sei infolgedessen in den Hungerstreik getreten.

Von den Kabinettsbeschlüssen, betreffend die Behandlung des Hitler-Putsches, hatte anscheinend Herr Dr. Gürtner noch keine Kenntnis. Mangels besonderen Auftrags und genauer Kenntnis des Inhalts dieser Beschlüsse habe ich ihm hierüber auch keinerlei Mitteilung gemacht, sondern mich darauf beschränkt, eingehend darzulegen, daß die Reichsregierung vermutlich schon aus innerpolitischen Rücksichten Bedenken tragen würde, die Angelegenheit dem Staatsgerichtshof zu entziehen4.

Haniel

Fußnoten

1

S. hierzu Dok. Nr. 268, P. 2.

2

Vgl. E. R. Huber, Dokumente III, Dok. Nr. 279 mit Anm. 4.

3

S. Anm. 19 zu Dok. Nr. 8.

4

Der Prozeß gegen Hitler, Ludendorff u. a. wurde in München vor dem Volksgerichtshof Ende Februar 1924 eröffnet; s. Der Hitlerprozeß vor dem Volksgericht in München (1924).

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