1.50 (str2p): Nr. 164 Vermerk über eine telefonische Mitteilung Ministerialdirektor Brachts an Ministerialrat Weigert vom 22. Oktober 1923, 16.45 Uhr

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Nr. 164
Vermerk über eine telefonische Mitteilung Ministerialdirektor Brachts an Ministerialrat Weigert vom 22. Oktober 1923, 16.45 Uhr

R 43 I /1838 , Bl. 397 Durchschrift1

Heute Vormittag fand Besprechung der rheinischen Koalitionsparteien in Köln unter Vorsitz des Justizrats Mönnig, Köln statt. Anwesend neben Bracht, Ministerialdirektor Löhrs (Preuß. Innenministerium), Regierungs-Präs. Graf Adelmann. Vertreter von Aachen und Düren verlangten sofortige Trennung vom Reich ohne Verständigung mit Reichsregierung2. Auffassung, daß Reich[694] schon jetzt Trennung anstrebe durch Beschränkung der Zahlungen, wurde von Bracht erfolgreich bekämpft, der erklärte, falls Reich genötigt sei, Hilfe für Rheinland einzustellen, werde es nicht wie „fraudulöser Schuldner bei Nacht und Nebel verschwinden“, sondern sich in offener Aussprache mit Rheinland verständigen. Ergebnis der Besprechung war Beschluß, Reichskanzler und Reichsminister für Mittwoch [24. 10.] zu einer Aussprache nach Barmen einzuladen. Justizrat Mönnig wird Einladung übermitteln3.

Nach Auffassung Min.-Dir. Bracht, die, wie er andeutet, auch anderwärts geteilt wird, würde bei Besprechung in Barmen folgende Erklärung der Reichsregierung der Lage am Besten entsprechen4: Das Reich ist entschlossen dem Rheinland Treue bis zum letzten zu halten. Es wird ihm helfen, solange seine Kraft irgend reicht, diese Kraft geht jedoch zu Ende. Wenn das Rheinland glaubt, daß die schwere Hand des Feindes leichter auf ihm lasten werde, wenn es sich vom Reich trennt, so ist das Reich bereit5, ihm auch hierfür nach seinen Kräften behilflich zu sein.

Über die Lage im Rheinland bemerkt Dir. Bracht noch: Aachen ist in den Händen der Separatisten. Bürgermeister und Beigeordnete verhandeln mit ihnen6. Trier, Koblenz7 und Bonn8 sind gefährdet. Der Reg.-Bezirk Köln ist völlig ruhig, mit Ausnahme von Euskirchen9, wo die Lage zweifelhaft erscheint10.

Fußnoten

1

Der Vermerk trägt weder eine Unterschrift noch einen Eingangsvermerk.

2

Das Kölner Polizeipräsidium hatte bereits am Vormittag des 21. 10. dem PrIMin. mitgeteilt, daß es vom Aachener Landratsamt unterrichtet worden sei, in der folgenden Nacht solle die Rheinische Republik in Aachen ausgerufen werden. „Die öffentlichen Ämter sollen besetzt werden. Die Aachener Polizeibehörde hat den Befehl erhalten, ihren Dienst weiter fortzusetzen“ (RMbesGeb. dem RK zur Kenntnisnahme, 21.10.23; R 43 I /1838 , Bl. 393). RKom. Mehlich teilte am 22.10.23 telefonisch mit daß Düren „Sitz der sonderbündlerischen Bewegung“ sei (R 43 I /1838 , Bl. 405). Vgl. auch Dok. Nr. 145.

3

S. Dok. Nr. 167, P. 1.

4

Das folgende mit Rotstift angestrichen.

5

Das folgende mit Rotstift unterstrichen, am Rand ein Fragezeichen.

6

Vgl. hierzu das Schreiben des PrIM an das AA vom 29.10.23 (Dok. Nr. 202).

7

Aufgrund eines Berichtes aus Köln berichtete der RPM den obersten Reichs- und preuß. Behörden am 23.10.23: „In Trier ist seit dem 22. Oktober 11 Uhr abends die rheinische Republik ausgerufen worden. Die öffentlichen Gebäude sind von Separatisten besetzt, in die Postdiensträume ist der seit langem als verdächtig bekannte Oberpostinspektor Müller mit Bewaffneten eingedrungen und hat von dem stellvertretenden Präsidenten die Erklärung verlangt, daß der Dienst nach separatistischen Weisungen weitergehen solle. Als Ablehnung erfolgte, ist der Betrieb stillgelegt worden. […] In Koblenz und südlich davon ist die Lage noch unverändert“ (R 43 I /1838 , Bl. 416–417).

8

Der Bonner OB teilte am 22. 10., 18 Uhr telefonisch mit, daß entsprechend der Besprechung vom Vortage Maßnahmen zur Verteidigung des Rathauses gegen einen Putschversuch getroffen worden seien. Da nun der frz. Oberdelegierte verboten habe, auch bei einem Vordringen in das Rathaus von der Schußwaffe Gebrauch zu machen, bestehe die Gefahr, von der Masse erdrückt zu werden und sich mit den Verhältnissen abfinden zu müssen. „Wir haben die Weisung des Herrn Reichskanzlers von gestern dahin verstanden, daß wir unter solchen Umständen auf dem Posten verbleiben sollen, auch wenn eine Rheinische Republik ausgerufen wird, und werden dementsprechend handeln. – Schuld an der Lage ist allein das erneute Schießverbot des Oberdelegierten. Zur Zeit herrscht vor dem Rathaus Ruhe, es sind jedoch große Versammlungen für heute Abend einberufen“ (Aufzeichnung Kieps; R 43 I /1838 , Bl. 399). Im Bericht der OPD Köln (s. o. Anm. 7) heißt es: „In der Nacht vom 22. zum 23. Oktober haben die Franzosen in Bonn das Rathaus besetzt. Unter ihrem Schutze sind 200 Sonderbündler in das Rathaus eingezogen und haben dort die Rheinische Republik ausgerufen. Die Stadtverordneten haben das Rathaus verlassen. Post- und Telegraphenamt sind zunächst unbehelligt geblieben“ (R 43 I /1838 , Bl. 415).

9

Über Köln wurde am 24. 10. aus Euskirchen um 18 Uhr gemeldet: „Alles ruhig. Sonderbündler versuchten, auf dem Landratsamt die Flagge zu hissen, wurden aber vertrieben. Der französische Kreisdelegierte läßt den Sonderbündlern freie Hand. Der französische Gendarm hat den deutschen Landjäger angerufen und ihm mitgeteilt, wenn Hilfe nötig (?) sei, wolle er sofort Bescheid haben, sonst würden Unannehmlichkeiten entstehen“ (R 43 I /1338 , Bl. 421).

10

Nach einer Aufzeichnung Maltzans vom 22.10.23 hatte der StS im AA dem Kabinett mitgeteilt, daß MinDir. von Schubert bei Botschafter de Margerie eine Demarche wegen des Vorgehens der Franzosen in Bonn unternommen habe. Weil der dortigen Schupo die Waffen zurückgegeben worden seien, sei kein Protest erhoben worden. Das AA sei bereit, wegen des belg. Verhaltens in Aachen auch in Brüssel vorstellig zu werden. „Der Minister für die besetzten Gebiete erklärte, daß er bis jetzt noch keine Mitteilung über ein unkorrektes Verhalten der belg. Truppen in Aachen erhalten habe.“ Im Falle entsprechender Meldungen werde er sich an das AA wenden. Ein Protest über die Unterstützung der Aachener Separatisten durch belg. Truppen wurde dem belg. Gesandten in Berlin am 25.10.23 übergeben (Pol.Arch.: NL v. Maltzan : Besetzte Gebiete).

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