Text
[621] Nr. 147
Die Sächsische Regierung an die Reichsregierung. Dresden, 17. Oktober 1923
R 43 I/2309, Bl. 171–1751
[Betrifft: Verhalten des General Müller während des militärischen Ausnahmezustandes.]
Die sächsische Regierung sieht sich veranlaßt, gegen das Verhalten des Befehlshabers im Wehrkreise IV, des General Müller, die schärfste Verwahrung einzulegen. Sie stützt sich dabei auf ein ausgiebiges und eingehend geprüftes Material, und bittet die Reichsregierung, die Unterlagen zu prüfen und baldmöglichst eine Entschließung zu fassen.
Die Reichsregierung hat den Ausnahmezustand in der Absicht verhängt, die deutsche Republik zu schützen, Ordnung und Sicherheit aufrechtzuerhalten und schweren Erschütterungen vorzubeugen. Die Art der Handhabung des Ausnahmezustandes durch den General Müller ist jedoch geeignet, die Gegensätze zu verschärfen und politische Verwicklungen herbeizuführen. Die Tragweite seines Verhaltens liegt nicht allein darin, daß sich die Bevölkerung und Regierung Sachsens und der übrigen republikanisch gesinnten Länder aufs Schwerste in ihren Rechten beeinträchtigt fühlen, es werden vielmehr die gesamte zur Republik stehende Bevölkerung des Deutschen Reiches und die Parteien gegen das Verhalten des Befehlshabers Stellung nehmen müssen.
I.
Der Herr Reichswehrminister nimmt in seiner Verordnung Nr. 711.9 23 T.1.III vom 29. September folgendermaßen zu dem Zusammenwirken der militärischen Befehlshaber mit den Regierungen der Länder Stellung:
„Die Interessen der Länder werden dadurch am besten bewahrt, daß die Militärbefehlshaber und die Landesregierungen im engen, unmittelbaren Einvernehmen arbeiten. Die Militärbefehlshaber haben entsprechende Anweisung und es wäre erwünscht, wenn auch die Landesregierungen ihrerseits engste Fühlungnahme mit den Militärbehörden anstreben würden.“
Die sächsische Regierung war von vornherein bestrebt, ein Zusammenarbeiten mit den Befehlshabern herbeizuführen, um den Interessen des Reiches und der Länder zu dienen. Diese Bestrebungen wurden jedoch nach und nach erheblich beeinträchtigt durch das Verhalten des General Müller. Von vornherein ist er, ohne sich mit der sächsischen Regierung ins Einvernehmen zu setzen, mit den Behörden des Landes unmittelbar in Verbindung getreten. Die Regierung war deshalb in Unkenntnis über die getroffenen Maßnahmen. Erst auf nachdrückliche[622] Vorstellungen wurde dieser Zustand abgeschwächt. Die Behörden waren u. a. angewiesen worden, alle Nachrichten, insbesondere auch ungeprüfte, dem Befehlshaber zu übermitteln. Die Folgen dieser Anordnung sind auch nicht ausgeblieben. Der Reichswehrgeneral hat, wie unten näher ausgeführt wird, auf Grund solcher ungeprüfter und nachgewiesenermaßen falscher Meldungen schwerwiegendste Maßnahmen getroffen. So wurde über unschuldige Leute die Schutzhaft verhängt, ohne daß ein Grund hierfür auch nur annähernd gegeben war.
Der Schriftverkehr des Generals mit der sächsischen Regierung trägt nur noch ultimativen Charakter. Die Reichswehr befiehlt im militärischen Tone, ohne darauf Rücksicht zu nehmen, daß sie mit einer Landesregierung verhandelt. Wiederholt sind der sächsischen Regierung Termine von 1 Tag zum anderen gestellt worden, so daß der General Müller tatsächlich seine Absicht verwirklicht hat, die Regierung völlig auszuschalten.
Die Art und Weise, wie Müller mit den sächsischen Behörden verkehrt, beleuchtet das als Anlage II beigefügte Schreiben an das Polizeipräsidium Dresden […]. In diesem Schreiben antwortet der General Müller in zynischer Weise auf einen Bericht des Polizeipräsidiums2.
Nicht nur der Form nach, sondern auch inhaltlich sind die Anordnungen Müllers nicht einwandfrei. Die Rede des Herrn Ministerpräsidenten Dr. Zeigner, gehalten in der Landtagssitzung vom 12. Oktober, war öffentlich durch Anschlag bekanntgemacht worden. Dies nahm der General zum Anlaß, die sächsische Regierung mit Nachdruck darauf hinzuweisen, daß solche Veröffentlichungen seiner Genehmigung bedürfen (s. Anlage III, Schreiben vom 15.10.23)3. Der Befehlshaber verkennt also ganz und gar die Vorschrift des Art. 30 der Reichsverfassung, wonach die wahrheitsgetreuen Berichte über die Verhandlungen der Volksvertretung von der Verhängung des Belagerungszustandes nicht betroffen werden. Auch wenn die Pressefreiheit aufgehoben worden ist, so unterliegen wahrheitsgetreue Berichterstattungen über Landtagsverhandlungen nicht der militärischen Zensur.
Derartig unhaltbare, rechtlich anfechtbare Maßnahmen machen ein Zusammenarbeiten unmöglich. Es geht nicht an, daß sich die sächsische Regierung in fortwährenden Vorstellungen beim Reichswehrkommando verlieren muß, weil dem Befehlshaber die grundlegenden rechtlichen Begriffe nicht bekannt sind.
Die Einstellungen des Generals Müller gegen die sächsischen Beamten ist aus dem als Anlage I beigefügten Schreiben vom 5. Oktober 1923 an den Polizeioberst Dr. Schützinger ersichtlich. Die Vorschrift, daß die Offiziere der Wehrmacht mit den uniformierten Polizeibeamten im Offiziersrange den Gruß zu wechseln haben, wird in Sachsen völlig außer Acht gelassen. Auf ein Schreiben[623] des Dresdner Polizeioberst Dr. Schützinger erging die eben erwähnte Antwort des militärischen Befehlshabers. Die hier zum Ausdruck gekommene Art und Weise und schroffste Brüskierung erübrigt wohl ein näheres Eingehen darauf4.
Für die Vertreter der sächsischen Regierung ist der Reichswehrgeneral in letzter Zeit grundsätzlich nicht mehr zu sprechen, sie werden vielmehr von jungen Offzieren kurzer Hand abgefertigt. Die eingangs erwähnte Anweisung des Herrn Reichswehrministers über das Zusammenarbeiten der Regierungen mit der Reichswehr wird durch den General Müller einfach außer Acht gelassen. Sein Verhalten geht darauf hinaus, die sächsische Regierung auszuschalten. Die daraus entstehenden Folgen bestehen in einer Verwirrung, die immer mehr und mehr um sich greift und den Verwaltungsapparat bereits merklich erschüttert hat.
II.
Die Maßnahmen des Befehlshabers richten sich lediglich gegen die politisch links gerichteten Bevölkerungskreise. Ohne weiteres werden Personen, die für die Republik eintreten, in Schutzhaft genommen und in die Gefängnisse geworfen. Es ist der Regierung bekannt, daß der Befehlshaber auf die falsche Anzeige eines durchaus rechtsradikal gesinnten Mannes, der Mitglied der National-sozialistischen Deutschen Arbeiterpartei ist, und sich dessen gerühmt hat, am Deutschen Tag in Hof teilgenommen zu haben, einen Schutzhaftbefehl erlassen hat5. Auf die Schutzhaftfälle wird in der Anlage IV des Näheren eingegangen. Besonders schwerwiegend sind die Bischofswerdaer Fälle. Die sächsische Regierung ist der Ansicht, daß hier ein disziplinelles Einschreiten gegen den General Müller geboten erscheint, da der Tatbestand einer fahrlässigen Freiheitsberaubung feststeht. Der General Müller hat hier Festgenommene nicht aus dem Gefängnis entlassen, obwohl ihm die Vertreter der sächsischen Regierung die Unhaltbarkeit seiner Maßnahme klar dargelegt hatten6.
[624] Auf der anderen Seite bleiben bekannte Nationalsozialisten und Anhänger der republikfeindlichen Bestrebungen unbehelligt, obwohl der Befehlshaber davon Kenntnis hat, daß diese Leute offen gegen die Republik arbeiten.
Es ist allgemein aufgefallen, daß die kommunistischen Zeitungen zunächst „bis auf weiteres“ verboten werden. Wenn dann das Verbot zeitlich beschränkt worden ist, erfolgt unmittelbar darauf ein erneutes Verbot. Zur Zeit hält der General Müller wiederum sämtliche kommunistische Zeitungen nieder und schaltet auf diese Weise die kommunistische Bevölkerung vollkommen aus.
III.
Während die rechtsradikalen Verbände und Organisationen Bayerns, die offen die Republik bekämpfen und zu beseitigen versuchen, unter dem Schutze der bayerischen Regierung und der Reichswehr zur Zeit stärker sind denn je, hat General Müller den proletarischen Selbstschutz in Sachsen verboten. Der Standpunkt, den die sächsische Regierung dem proletarischen Selbstschutz gegenüber einnimmt, ist der Reichsregierung bekannt. Der proletarische Selbstschutz bildet lediglich eine Abwehrorganisation gegenüber den republikfeindlichen Elementen. Er ist unbewaffnet und stellt keinerlei militärische Organisation dar, wie es die bayerischen Kampfverbände sind. Veranlaßt durch übertriebene Nachrichten, die überall dort, wo sich Ausschreitungen ereignet haben, den proletarischen Selbstschutz vorschieben, hat General Müller das Verbot ausgesprochen. Diese Maßnahme stellt eine Brüskierung der sächsischen Regierung insofern dar, als diese unmittelbar vorher im Landtag erklärt hatte, daß der proletarische Selbstschutz eine Stütze der Republik darstelle und von der sächsischen Regierung nicht verboten würde.
Zu gleicher Zeit ist die Bildung von Aktionsausschüssen der wirtschaftlichen und politischen Verbände untersagt worden mit der Begründung, daß sich erfahrungsgemäß diese Ausschüsse behördliche Maßnahmen aneignen. Die Reichswehr verkennt ganz und gar, daß die Aktionsausschüsse einen ganz anderen Zweck verfolgen und lediglich wirtschaftliche Maßnahmen im Auge haben. Für die Bildung dieser Ausschüsse war das Bewußtsein der betreffenden Bevölkerungskreise maßgebend, daß zur Zeit alle Kräfte angespannt werden müssen, um in freiwilliger Mitarbeit die Maßnahmen der verfassungsmäßigen Regierung zu unterstützen.
Diese Verbote erfolgten, obwohl die Ernennung eines Zivilkommissars für Sachsen unmittelbar bevorstand. Die sächsische Regierung kann nicht annehmen, daß dies dem Reichswehrgeneral unbekannt war.
Das Verbot der proletarischen Hundertschaften ist eine Kampfansage schärfster Art an die Regierungen der republikanisch gesinnten Länder und an die betr. Bevölkerungskreise des Deutschen Reiches. Die sächsische Regierung hat ein Recht darauf, zu erfahren, ob der militärische Befehlshaber diese Maßnahme von sich aus, getroffen, oder ob er sie im Einvernehmen mit der Reichsregierung, insbesondere mit dem Herrn Reichswehrminister getroffen hat. Bereits in der ersten Besprechung beim Reichswehrkommando brachte der Chef des Stabes, Oberst v. Seutter, zum Ausdruck, daß das Verbot des proletarischen[625] Selbstschutzes beabsichtigt sei; er hatte es bereits im Entwurfe zu der ersten Verordnung aufgenommen.
IV.
In letzter Zeit sind in Leipzig Anhänger der republikfeindlichen Verbände und Mitglieder der verbotenen Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei in die Reichswehr eingestellt worden, Die Personalien dieser Leute sind der sächsischen Regierung zum Teil bekannt. Das Polizeipräsidium Leipzig hat sich deshalb sofort mit der Reichswehr in Verbindung gesetzt. Dabei ist tatsächlich festgesetzt worden, daß die Einstellung den Tatsachen entsprach. Obwohl sich das Polizeipräsidium Leipzig zur Verfügung stellte, an Hand einer Liste der Neueingestellten deren politische Einstellung klarzulegen, lehnten die Offiziere des Regiments Nr. 11 dies Anerbieten ab. Es besteht demnach zum mindesten bei der Reichswehr nicht der ernstliche Wille, sich von rechtsradikalen Elementen freizuhalten. Es kann und darf nicht geduldet werden, daß die Feinde der Republik in der Reichswehr die Oberhand und auf die Gestaltung der politischen Maßnahmen Einfluß gewinnen. Die sächsische Regierung hält sich zu der Forderung verpflichtet, daß auf schnellstem Wege die Sache untersucht, die maßgebenden Offiziere zur Verantwortung gezogen und die Nationalsozialisten aus der Reichswehr entfernt werden7.
V.
Am 17. Oktober hat der militärische Befehlshaber die unmittelbare Unterstellung aller staatlichen und kommunalen Polizeiorgane verfügt, und dabei besonders darauf verwiesen, daß gegen sich widersetzende Polizeibeamte die Amtsentsetzung verhängt werde. Der Anlaß dazu war, daß an einigen Orten Flugblätter verteilt worden sind. Es darf wohl als bekannt vorausgesetzt werden, daß es gegen solche Vorkommnisse keine Präventivmaßnahmen gibt. Die sächsische Regierung erklärt, daß es für sie vollkommen untragbar ist, daß ihr der letzte Rest von Souveränität aus der Hand genommen wird. Es geht nicht an, daß ein mit den politischen Verhältnissen nicht vertrauter Reichswehrgeneral die letzten Machtmittel der Regierung sich in seine Hände spielt. Der Einsatz der Polizei erfordert eine eingehende Kenntnis der staatlichen[626] Organisation und ein enges Zusammenarbeiten mit sämtlichen Ministerien und allen Behörden, und setzt insbesondere die Kenntnis aller wirtschaftlichen und politischen Ereignisse voraus. Die Polizei ist zur Zeit als Flur-, Wald- und Grenzschutz tätig, ihr Einsatz richtet sich je nach den zeitweiligen Verhältnissen des Landes. Die sächsischen Polizeibeamten haben es verstanden, in der Behandlung der Bevölkerung den rechten Ton zu finden und sich das Vertrauen zu erwerben. Es ist ihnen stets gelungen, in schwierigen Lagen durchzugreifen. Infolge der Maßnahme des Reichswehrgenerals werden sie nun als dessen militärisches Werkzeug angesehen werden.
Die völlige Ausschaltung der Landesregierung widerspricht der Verordnung des Herrn Reichspräsidenten über die Verhängung des Ausnahmezustandes, worin zum Ausdruck gebracht wird, daß die Verwaltung nach wie vor in den Händen der Landesregierung liegt.
Die sächsische Regierung ersucht mit allem Nachdruck, den nunmehr eingetretenen unhaltbaren Zustand sofort aufzuheben und die Anordnung des Generals Müller unverzüglich rückgängig zu machen.
Der Ausnahmezustand, wie General Müller ihn handhabt, ist geeignet, schwere politische Verwicklungen herbeizuführen. Sein Verhalten der sächsischen Regierung und Bevölkerung gegenüber hat die Gegensätze außerordentlich verschärft und die Absicht der Reichsregierung, die für die Verhängung des Ausnahmezustandes maßgebend war, vereitelt und in das Gegenteil umgekehrt. Durch immer schärfer werdende Anordnungen, die überdies völlig unbegründet und zwecklos sind, hämmert er der Bevölkerung das Bewußtsein ein, daß seine Maßnahmen dazu angetan sind, der Reaktion Vorschub zu leisten, Sachsen und Thüringen wehrlos zu machen und den Gegnern der Republik auszuliefern. Der General Müller gilt bereits als Schrittmacher der Feinde der Republik.
Der Hinweis auf Bayern ist wiederholt zum Ausdruck gekommen; insbesondere ist allgemein bekannt, daß sich Bayern im Gegensatz zur Reichsregierung befindet und daß der Ausnahmezustand für Bayern tatsächlich nicht besteht. Die Nachgiebigkeit der Reichsregierung Bayern gegenüber wird ihr bereits als Schwäche ausgelegt. Die Bevölkerung Sachsens steht im Gegensatz zur bayrischen uneingeschränkt zum Deutschen Reiche. Es muß aber auch den sächsischen Verhältnissen Rechnung getragen werden. Der Reichswehrgeneral Müller tritt die sächsische Bevölkerung mit Füßen. Die weitere Verschärfung des Ausnahmezustandes, insbesondere die Verstärkung der Reichswehr in der oben beschriebenen Weise, muß zu der Überzeugung führen, daß sich die Maßnahmen der Reichsregierung in erster Linie gegen Sachsen und die anderen Länder mit sozialistischer Regierung richten, während Bayern gegenüber die größte Zurückhaltung geübt wird. Die Regierungen Sachsens und Thüringens wollen sich nicht ohne zwingenden Grund in eine Opposition gegen das Reich drängen lassen. Die Handhabung des Ausnahmezustandes durch den General Müller betrifft aber die gesamte politisch links eingestellte Bevölkerung des Deutschen Reiches. Auch innerhalb der republikanischen Parteien muß sich die Überzeugung durchsetzen, daß das Verhalten des Generals Müller für nicht mehr politisch tragbar anzusehen ist.
[627] Die sächsische Regierung ersucht nach alledem, den militärischen Ausnahmezustand sofort aufzuheben.
Fußnoten
- 1
Das Schriftstück wurde von dem sächs. Gesandten Gradnauer am 19.10.23 der RReg. überreicht, nicht am 18.10.23, wie es Absicht der Sächs. Regierung gewesen war, da sich Gradnauer an diesem Tag auf dem Weg nach Dresden befand (Gradnauer an StSRkei, 19.10.23; R 43 I/2309, Bl. 170). Auf dem Anschreiben Gradnauers vermerkte Kempner den Text für die Übersendung der Abschriften an RIM und RWeM am 21.10.23: „Der Herr Rkzler beabsichtigt, die Eingabe vorläufig nicht zu beantworten.“
- 2
Müller hatte geschrieben: „Im Mittelalter schützten die Raubritter die reisenden Kaufleute, die ihnen freiwillig Zoll zahlten. In China erheben heute noch Räuberbanden Zoll von Schiffen auf dem Kaiserkanal und sorgen dann dafür, daß sie von anderen Räuberbanden geschont werden. In einem Rechtsstaat zahlt jeder Käufer den vollen Preis. Das Auftreten von starken Banden (100 Mann) wie im vorliegenden Fall, gleicht den Verhältnissen des Mittelalters und Chinas und kann als Erpressung bezeichnet werden“ (R 43 I/2309, Bl. 180).
- 4
In diesem Schreiben hatte General Müller ausgeführt: „Diese Vorschrift hat zur Voraussetzung, daß zwischen den Offizieren der Wehrmacht und den Polizeibeamten im Offiziersrange ein vertrauensvolles, kameradschaftliches Verhältnis besteht. Das trifft aus Gründen, die ich Ihnen nicht auseinanderzusetzen brauche, für Ihre Person nicht zu. – Ich verzichte daher darauf, die Angelegenheit weiter zu verfolgen“ (R 43 I/2309, Bl. 180).
- 5
Damit wird auf Rittmeister a. D. Freiherr v. Esebeck Bezug genommen, der am 29.9.23 nach einer Auseinandersetzung seiner Gefolgschaft aus Anhängern rechtsradikaler Gruppen mit Sozialdemokraten von Polizei verhaftet und in das Polizeipräsidium Dresden gebracht worden war. General Müller hatte den Bankangestellten Wilhelm, auf dessen Angaben Esebecks Verhaftung zurückging, ins Gefängnis einliefern lassen. „Der mit der Verhaftung Wilhelms beauftragte Richter hat den Erlaß eines Haftbefehls abgelehnt, da ein Haftgrund nicht vorhanden sei. Trotzdem hat Müller die Schutzhaft verhängt“ (Anlage IV zu der Verwahrung der Sächs. Regierung; R 43 I/2309, Bl. 176–177).
- 6
In Bischofswerda hatte ein Fabrikant gemeldet, daß sich ein Zug von Arbeitern durch die Straßen zu einem Lokal bewege. In diesem Lokal hatte eine Versammlung stattfinden sollen, da aber der Referent nicht eingetroffen war, wurde noch vor Erreichen des Zieles der Zug aufgelöst. Müller hatte die Führer des Zuges, den Arbeiter Mais und den Geschäftsführer Göhler in Haft nehmen lassen. Obwohl der Industrielle dem Zug der Arbeiter keine besondere Bedeutung beigemessen hatte und der Bürgermeister von Bischofswerda für die Verhafteten eingetreten war, da angenommen werden könne, daß sie für die Regierung und den Bestand der Republik eingetreten seien, wurden sie nicht freigelassen (R 43 I/2309, Bl. 177/178).
- 7
Als Ergänzung wurde dem Schreiben der Sächs. Regierung ein Bericht über die „Einstellung von Zivilpersonen in die Reichswehr“ beigefügt, in dem z. T. unter Nennung von Namen mitgeteilt wurde, daß Angehörige von Zeitfreiwilligen-Verbänden, studentischer Verbindungen, deutsch-völkischer Organisationen, der NSDAP und des Jungdo in die Reichswehr aufgenommen worden seien oder sich um die Aufnahme bemühten. „Zusammenfassend ist zu sagen, daß es sich bei den Neueinstellungen in die Reichswehr, die tatsächlich festgestellt worden sind, lediglich um Leute handelt, die rechts gerichtet sind. Zum großen Teil ist nachgewiesen worden, daß die Neueingestellten sogar Mitglieder verbotener rechtsradikaler Organisationen sind. Es ist nicht ein Fall bekannt, daß Personen in die Reichswehr aufgenommen worden sind, die auf dem Boden der Verfassung und der verfassungsmäßigen Regierung stehen. Auffallend ist, daß die Reichswehr ihre Verstärkung im geheimen betreibt und jegliche Auskunft über die Neueinstellung verweigert. Nach Angaben von älteren Reichswehrsoldaten ist wegen dieser Neueinstellungen unter diesen eine große Erregung entstanden, da sie sich in ihrer Existenz bedroht fühlen. Republikanisch gesinnte Reichswehrangehörige nehmen an, daß sie entlassen werden und an ihre Stelle rechtsradikale Leute gesetzt werden“ (R 43 I/2309, Bl. 181–182).