Text
[867] Nr. 190
Der Reichswirtschaftsminister an den Reichsarbeitsminister. 27. Oktober 1923
R 43 I/2440, Bl. 190–192 Abschrift in Durchschrift
[Betrifft: Wertbeständige Lohnzahlung.]
Von verschiedenen Kreisen der Wirtschaft sind für den Zeitpunkt der Einführung des wertbeständigen Zahlungsmittels Befürchtungen darüber geäußert worden, daß wirtschaftliche und soziale Unzuträglichkeiten bedenklichster Art eintreten müßten, wenn bei der Lohnauszahlung derjenige Bruchteil des Lohnes, der in wertbeständiger Form zur Ausgabe kommt, von den einzelnen Gewerbsgruppen oder Betrieben verschieden hoch bemessen würde. Es erscheint mir daher dringend erforderlich, alsbald, wenn irgend möglich noch vor Ausgabe der ersten wertbeständigen Zahlungsmittel, in einer Besprechung mit den Spitzenorganisationen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer Übereinstimmung darüber herbeizuführen, daß sämtliche Gewerbsgruppen in der gleichen Weise vorgehen müssen. Die Spitzenverbände sollten m. E. dazu veranlaßt werden, ihrerseits durch übereinstimmende Richtlinien ihre Mitglieder auf ein gemeinsames Vorgehen zu verpflichten und insbesondere dafür Sorge zu tragen, daß der jeweilige Anteil, zu welchem die Löhne wertbeständig ausgezahlt werden können, durch zentrale Bekanntmachung mit der notwendigen Beschleunigung den einzelnen Betrieben mitgeteilt wird.
Wenn die im Verkehr umlaufende Menge an wertbeständigen Zahlungsmitteln eine gewisse Höhe erreicht und damit die Papiermark einen wachsenden Teil ihres Umlaufsgebiets einbüßt, so entsteht bei dem überaus dringlichen Bedürfnis des Verkehrs nach dem wertbeständigen Zahlungsmittel die Gefahr einer völligen Zurückweisung des noch umlaufenden Teils der Papiermark. Eine solche Zurückweisung müßte, solange der Bedarf an Umlaufmitteln durch wertbeständige Zahlungsmittel noch nicht voll gedeckt ist, die innere Ruhe aufs äußerste gefährden. Ich werde mich mit dem Herrn Reichsminister der Finanzen daher in Verbindung setzen und ihm nahe legen, entgegen den bisherigen Plänen, die Papiermark zu einem festen Kurse gegenüber dem wertbeständigen Zahlungsmittel einlösbar zu machen, um ihr damit die Eigenschaft der Scheidemünze zu verleihen1.
Die sicherste Gewähr für eine Stabilität der Papiermark gegenüber dem wertbeständigen Zahlungsmittel und damit für die Bereitwilligkeit des Verkehrs, die Papiermark auch fernerhin aufzunehmen, wäre gegeben, wenn sofort bekannt gemacht werden könnte, zu welchem Umrechnungskurs der Eintausch vorgenommen werden soll. Da dies erst in dem Zeitpunkt möglich ist, in dem die weitere inflationistische Ausgabe der Papiermark endgültig eingestellt wird, muß auf die sofortige Bekanntgabe des Umwandlungskurses verzichtet werden. Dagegen halte ich es für dringend erforderlich, alsbald bekannt zu[868] geben, daß überhaupt in kürzester Frist ein solcher Umwandlungskurs festgelegt wird2.
Ich glaube annehmen zu dürfen, daß die Belange Ihres Ressorts ganz wesentlich durch eine solche Regelung berührt werden, da ja nur auf diese Weise die Lohnpolitik ohne soziale Erschütterungen der neuen Auszahlungsform angepaßt werden kann. Ich glaube daher darauf rechnen zu können, daß Sie vom Standpunkt Ihres Ressorts aus diesen meinen Vorschlag bei dem Herrn Reichsminister der Finanzen auch Ihrerseits befürworten. Jedenfalls wäre ich für eine umgehende Antwort zu besonderem Danke verpflichtet.
Abschrift dieses Schreibens haben der Reichskanzler, der Herr Reichsjustizminister, die Herren Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft und der Finanzen erhalten.
[…]
Koeth
Fußnoten
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Zu diesen Vorstellungen des RWiM bemerkte in einem Referentenvortrag vom 31. 10. ORegR Grävell: „Solange es möglich ist, den Kurs der Goldanleihe stabil zu halten, ist mit der Gefahr, die der Reichswirtschaftsminister angibt, nicht zu rechnen. Es ist auch, falls es gelingt in kürzester Zeit die Rentenmark tatsächlich zur Ausgabe zu bringen, kaum mit einem weiteren Absinken der Mark zu rechnen, falls nicht irgendwelche politischen Einflüsse erneut auf die Kursgestaltung einwirken. Man wird vielleicht sogar, um den Übergang von der Papiermarkwährung zur Goldwährung zu erleichtern, sich jetzt schon Maßnahmen überlegen müssen, die ein Steigen der Mark und damit die Zurückweisung der Goldzahlungsmittel verhindern. Das Steigen der Mark kann in nächster Zeit dadurch veranlaßt werden, daß 1) die Umlaufsgeschwindigkeit infolge stabilerer Verhältnisse außerordentlich abnimmt, wodurch ungeheure Markbeträge im Verkehr festgehalten werden, b) die Spekulation sich der Mark in dem Sinne bemächtigt, daß sie durch Hinaufdrücken des Kurses hohe Goldeinlösungssummen zu erzielen trachtet. Die Durchführung dieser Absicht der Spekulation würde noch dann besonders erleichtert sein, wenn es ihr gelingt, den Verkehr mit Papiermark völlig vom internationalen Markt und der Bezahlung von ausländischen Devisen loszulösen und diesen Verkehr den inländischen Goldzahlungsmitteln zu überlassen“ (R 43 I/2440, Bl. 193). Zur weiteren Entwicklung des Markkurses s. Dok. Nr. 212, P. 3.