1.46 (str2p): Nr. 160 Der Reichskanzler an Hugo Stinnes, 21. Oktober 1923

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Nr. 160
Der Reichskanzler an Hugo Stinnes, 21. Oktober 1923

R 43 I /453 , Bl. 99 Entwurf1

[Betrifft: Micum-Verhandlungen]

Ich bestätige Ihren Brief vom 20. d. M., in dem eine vielleicht gegebene Möglichkeit zur Wiederaufnahme der Arbeit im Kohlenbergbau des besetzten Gebietes dargelegt ist2. Ich halte die Aufnahme eines solchen Versuchs für sachgemäß unter der Bedingung, daß aus dieser Stellungnahme keinerlei Präjudiz geschaffen wird nach der Seite der allgemeinen Reparationsfrage und der Reparationsleistungen. Bedingung ist insbesondere, daß die Hoheitsrechte des Reiches gewahrt und keine Zollinie und keine Zollerhebung von und nach dem unbesetzten Gebiet eingeführt wird. Der Verkehr mit dem Ausland muß sich nach den deutschen Gesetzen vollziehen, eine über die deutschen Bestimmungen hinausgehende Beschränkung der Ausfuhr ist nicht zulässig3.

Die Anrechenbarkeit der Steuern würde umfassen4: Reichskörperschaftssteuer, Reichsvermögenssteuer, Umsatzsteuer, soweit diese Steuern von den liefernden Unternehmen als Steuerpflichtigen aus der Kohlenproduktion geschuldet[683] und nach Beginn der Lieferung fällig werden und soweit sie nicht auf Grundbesitz oder Gewerbebetrieb im unbesetzten Gebiet entfallen. Ausgeschlossen von der Anrechnung bleiben die für die Verzinsung der Goldanleihe erforderlichen Mittel. Bei der Umsatzsteuer soll im Falle eines Eigenverbrauchs von Kohle in Verarbeitungsgetrieben desselben Unternehmens eine entsprechende Anrechnung auf die Umsatzsteuer erfolgen, die bei Absatz der Produkte aus den Verarbeitungsbetrieben entsteht. Nähere Festlegung dieser Richtlinien bleibt vorbehalten.

Sonderunterstützungen der Erwerbslosen im besetzten Gebiet über das normale Maß hinaus müssen bis zum Ende dieses Monats unbedingt aufhören. Sogar die normale Erwerbslosenunterstützung wird durch den ungeheuren Umfang der Erwerbslosigkeit im besetzten Gebiet, der nur eine Folge mangelnder Verständigung über die Wiederaufnahme der Arbeit ist, infolge der Finanzlage des Reiches baldigst in Frage gestellt sein5.

Ich gehe von der Voraussetzung aus, daß hinter der erörterten Verhandlungsmöglichkeit der bergbauliche Verein steht, und daß etwa Außenstehende die Möglichkeit des Beitritts haben und bin im Einverständnis mit dem Kabinett damit einverstanden, daß die von dem Bergbau gewählte Kommission in diesem Sinne die Verhandlungen mit den für sie in Betracht kommenden französischen Instanzen führt6.

gez. Stresemann

Fußnoten

1

Das Schreiben ist abgedruckt bei Spethmann, 12 Jahre Ruhrbergbau III, S. 205 f.; Ursachen und Folgen V, Dok. Nr. 1094 a.

2

S. Dok. Nr. 155.

3

Der RK dürfte sich hier auf die Merkblätter bezogen haben, die der Kommandant des Brückenkopfes Düsseldorf Simon für den Verkehr der besetzten Gebiete mit dem Ausland und dem unbesetzten Deutschland herausgegeben hatte, s. Anm. 7 zu Dok. Nr. 146. Dort war u. a. über Zollsätze ausgesagt: „Bei Einfuhr aus dem unbesetzten Deutschland wird ein Zoll in Höhe von 25% des deutschen Einfuhrzolles erhoben zuzügl. des von dem Ablaufsbewilligungsamte jeweils festgesetzten Goldaufgeldes. – Bei Ausfuhr nach dem unbesetzten Deutschland wird eine Gebühr in Höhe von 100% des interalliierten Ausfuhrabgabentarifs erhoben (d. h. dieselbe Gebühr wie für die Ausfuhr ins Ausland, […]). – Sonstige Gebühren werden nicht erhoben. – Die Zahlung der Abgabe hat, soweit es sich um Abgaben über 100 Goldmark handelt, in hochwertiger Währung zu erfolgen“ (R 43 I /453 , Bl. 77). Als hochwertig galt u. a. die Währung Englands, der skandinavischen Staaten, der Schweiz, Frankreichs, Belgiens, Italiens, der USA, Japans sowie ihrer Kolonien und Schutzgebiete (ebda., Bl. 73).

4

Vgl. hierzu Dok. Nr. 149, 155 und 156.

5

Vgl. hierzu die Ausführungen des RFM und des RArbM in Dok. Nr. 156.

6

S. zum Fortgang Dok. Nr. 162.

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