1.138 (str2p): Nr. 252 Der Reichsfinanzminister an den Reichskanzler. 13. November 1923

Zum Text. Zur Fußnote (erste von 3). Zu den Funktionen. Zum Navigationsmenü. Zum Navigationsbaum

 

Bandbilder:

Die Kabinette Stresemann I und II. Band 2Gustav Stresemann und Werner Freiherr von Rheinhaben Bild 102-00171Bild 146-1972-062-11Reichsexekution gegen Sachsen. Bild 102-00189Odeonsplatz in München am 9.11.1923 Bild 119-1426

Extras:

 

Text

RTF

[1064] Nr. 252
Der Reichsfinanzminister an den Reichskanzler. 13. November 1923

R 43 I /2439 , Bl. 192–193

Betrifft: Schädigung des Reichs durch verspätete Ablieferung von Goldanleihe von Seiten der Reichsbank1.

Der Verlauf der laut Gesetz vom 14. August 1923 ausgegebenen wertbeständigen Anleihe des Deutschen Reiches (Goldanleihe) ist wie in fast allen früheren Fällen, in denen das Reich Anleihen ausgegeben hat, durch die Reichsbank bewirkt worden. Es hat zunächst eine Zeichnung auf die Anleihe stattgefunden, die am 18. September geschlossen wurde. Weitere Stücke der Anleihe sind und werden noch an die Einlieferer von ausländischen Vermögensgegenständen (Verordnung vom 25. August 1923) als Gegenwert für die abgelieferten Devisen und Wertpapiere gegeben, während neuerdings in der Hauptsache, um dem immer fühlbarer werdenden Mangel an wertbeständigen Zahlungsmitteln bis zum Inkrafttreten der Rentenbank zu begegnen, der noch verfügbare Rest der Anleihe in kleinen Stücken begeben wird. Die Nachfrage nach kleinen Stücken der Goldanleihe ist, hervorgerufen größtenteils durch die rapide zunehmende Markentwertung in der letzten Oktoberdekade, so plötzlich und in einem solchen Umfange aufgetreten, daß sich für die Reichsdruckerei und die Reichsbank die technische Unmöglichkeit ergab, in der Herstellung der Stücke bezw. der Abfertigung der Käufer mit dem überstürzten Tempo Schritt zu halten. Die starke Überlastung der Reichsbank, insbesondere der mit dem Verkauf der Stücke betrauten Abteilung, machte es weiterhin unmöglich, dem Reichsfinanzministerium laufend Abrechnung über die getätigten Verkäufe zu geben. Das Reichsfinanzministerium konnte sich vielmehr über den Fortgang des Absatzes der Stücke nur ein notdürftiges Bild einerseits aus der Höhe der der Reichsbank von Zeit zu Zeit bei der Reichsdruckerei bezw. der Reichsschuldenverwaltung zum Verkauf zur Verfügung gestellten Stückebeträge und andererseits aus den[1065] Eingängen für verkaufte Stücke bei der Reichshauptkasse machen. Diese Ziffern boten aber um so weniger eine geeignete Grundlage für die Überwachung des Verkaufs, als ein nicht geringer Teil der Stücke dem von der Reichsregierung gemachten Versprechen gemäß als Kommissionslager an die Reichsbankanstalten in die Provinz gesandt wurde, um dort an die Banken und an das Publikum direkt verkauft zu werden, und mangels Aufgabe der Reichsbank jeder Anhalt dafür fehlte, wieviel von den der Reichsbank zur Verfügung gestellten Stücken tatsächlich verkauft wurden. Für das Reichsfinanzministerium bestand auch keine Veranlassung, die einzelnen technischen Akte der Reichsbank zu überwachen, da das banktechnische Verhalten füglich als Angelegenheit der Reichsbank betrachtet werden mußte.

Erst am 2. November wurde ich von dritter Seite davon unterrichtet, daß die Reichsbank bei einer großen Anzahl von Verkäufen von Goldanleihe den Gegenwert, und zwar zum Kurse des Tages des Geschäftsabschlusses mehrere Tage, manchmal sogar Wochen später erhielt, weil sie mit der Lieferung von Stücken im Rückstand war und hiesiger Börsenusance gemäß die Bezahlung der getätigten Käufe erst bei Lieferung der Stücke erfolgt. Daraufhin wurde die Reichsbank sofort aufgefordert, für alle noch nicht durch Zahlung geregelten Börsenverkäufe Kassenquittungen vorzubereiten und diese anstelle von Lieferungen effektiver Stücke den Käufern gegen Zahlung auszufolgen; gleichzeitig wurden bei dem Börsenvorstand Schritte unternommen, um diese Kassenquittungen an der Börse für lieferbar zu erklären. Der Börsenvorstand hat am 5. November mittags einen entsprechenden Beschluß gefaßt, und die Lieferung der von der Reichsbank inzwischen vorbereiteten Kassenquittungen konnte daher am Dienstag, den 6. November, erfolgen.

Es wäre meines Erachtens Aufgabe der Reichsbank gewesen, in dem Augenblick, in welchem die Reichsdruckerei mit den Lieferungen von Stücken so weit im Rückstand war, daß die Reichsbank ihren Käufern gegenüber erheblich in Verzug blieb, mich auf diese Tatsache aufmerksam zu machen und direkt oder durch meine Vermittlung eine Lieferbarkeitserklärung von Kassenquittungen bei dem Börsenvorstand zu erwirken. Daß eine solche, an sich ungewöhnliche, Maßnahme ohne weiteres durchzuführen gewesen wäre, ergibt sich daraus, daß kurz nach der Zeichnung der Goldanleihe der Börsenvorstand den Beschluß gefaßt hatte, mangels genügenden Materials an definitiven Stücken die Zeichnungsscheine der Zeichenstellen für lieferbar zu erklären. Dieser Beschluß wurde erst am 30. Oktober wieder aufgehoben, da zu diesem Zeitpunkt nach Ansicht des Börsenvorstandes eine hinreichende Menge von Stücken im Verkehr war.

Aus der Tatsache, daß Verkäufe der Reichsbank in großem Umfange zu Kursen von etwa 65 Milliarden für den Dollar erfolgt sind, die seitens der Käufer zu diesen Preisen bezahlt wurden, als der Dollar bereits einen weit höheren Stand hatte, ist dem Reich ein sehr großer finanzieller Schaden entstanden. Ich habe die Reichsbank mit Schreiben vom 6. November – V c D 4819 – (von welchem Abschrift beigefügt wird)2 auf diesen Schaden hingewiesen[1066] und sie aufgefordert, sich mit den Käufern wegen einer freiwilligen Valorisierung des verspätet gezahlten Kaufpreises in Verbindung zu setzen. Eine Antwort habe ich bisher nicht erhalten. Eine Verordnung, welche die Valorisierung des Kaufpreises zwangsweise vorschreibt, ist im Reichswirtschaftsministerium bereits entworfen. Der Herr Reichswirtschaftsminister hält mich für den Erlaß für zuständig, da es sich dabei um die Verfolgung fiskalischer Interessen handelt. Ich möchte mir die Entschließung über den Erlaß einer solchen Verordnung bis nach Eintreffen des Bescheides der Reichsbank vorbehalten, darf aber schon jetzt bemerken, daß nach dem Urteil unparteiischer Sachverständiger dem Erlaß einer Nachverordnung, die nach Lage der Dinge rückwirkende Kraft haben müßte, erhebliche Bedenken entgegenstehen.

In Anbetracht der Höhe des finanziellen Schadens, der dem Reiche entstanden ist, und angesichts des Umstandes, daß der Vorgang Gegenstand der unliebsamsten Erörterungen in der Presse gewesen ist, habe ich mich verpflichtet gehalten, Euer Hochwohlgeboren als Vorsitzenden des Reichsbank-Kuratoriums eine eingehende Darlegung des Sachverhalts zu geben. Ich habe dies insbesondere auch aus dem Grunde für erforderlich gehalten, weil bei den Vorgängen in erster Linie die Reichsbank als Kommissionär des Reichs beteiligt ist und deren Aufsicht, auch nach den einschränkenden Bestimmungen des Autonomiegesetzes, laut §§ 12 und 25 des Bankgesetzes vom Jahre 1875 dem Reiche zusteht. Ich darf es dem Ermessen Euer Hochwohlgeboren anheimstellen, ob und in welcher Weise Sie in Anbetracht der oben geschilderten Vorgänge auf Grund des Aufsichtsrechts Schritte zu tun gedenken3.

Dr. Luther

Fußnoten

1

S. hierzu Dok. Nr. 217, P. b.

2

Hier nicht abgedruckt. Das Schreiben befindet sich in R 43 I /2439 , Bl. 193/194.

3

Mit Schreiben vom 29.11.23 wurde die Rbk vom RK zu einer Stellungnahme aufgefordert (R 43 I /2439 , Bl. 197). Schon am 16.11.23 war eine Erwiderung des Rbk-Direktoriums ergangen, in der die Vorwürfe zurückgewiesen wurden. Bis zum 24.10.23 seien keine Lieferungsrückstände eingetreten. „Auch von da ab war unsere Reichsanleiheabteilung stets bemüht, von der Kontrolle der Staatspapiere die erforderlichen Stücke zu erhalten, begegnete dabei aber erheblichen, teils in Stückemangel, teils in dem Geschäftsgang der Kontrolle und des Reichsfinanzministeriums begründeten Schwierigkeiten. Am 2. November gelang es dann, die nötigen Stücke zu beschaffen, um die an diesem Tage zu hohen Preisen getätigten Verkäufe sowie große Posten aus den vorhergehenden Tagen bereitzustellen und am 3. November vormittags anzuliefern, so daß an letzterem Tage gegen 900 000 Billionen Papiermark bezahlt werden mußten.“ Die Anregung, auf Kassenquittung zu liefern, gehe auf das RFMin. zurück. Bei der Valorisierung des Kaufpreises habe es sich stets nur um eine Verspätung von wenigen Tagen gehandelt. Es sei daher unwahrscheinlich, daß Käufer freiwillig einen Entwertungszuschlag zahlen, und die Rbk sei auch nicht in der Lage, an ihre Käufer mit einer entsprechenden Forderung heranzutreten (R 43 I /2439 , Bl. 207–209). In einem Schreiben an den RK vom 6.12.23 wurde der Vorwurf abgewiesen, das Reich habe bei der verspäteten Lieferung der Goldanleihe einen Geldentwertungsschaden erlitten, und wenn, dann nur einen Zinsverlust von einigen Tage. „Das Reich, das die Inflation herbeigeführt und aus ihr für seine Finanzen den allergrößten Vorteil gezogen hat, kann sich nicht beschweren, wenn in einem Einzelfalle auch einmal die Wirkungen der Geldentwertung sich zu seinen Ungunsten geltend machen“. Die Rbk habe mit geringem Personal und einem dafür nicht vorgesehenen technischen Apparat dem Ansturm auf die Goldanleihe standhalten müssen. Die Rbk habe bisher alle schwierigen Aufgaben, die ihr vom RFMin. zugewiesen worden seien, übernommen, werde aber in Zukunft ihre Arbeitsbedingungen überprüfen, ob sie neue Arbeiten übernehme (R 43 I /2439 , Bl. 203–206). Die Auseinandersetzungen zogen sich noch bis zum Februar 1924 in Schriftwechseln fort und wurden dann auf Antrag Luthers von einer Kabinettssitzung abgesetzt und nicht mehr weiterbehandelt (Die Kabinette Marx I/II, Dok. Nr. 84, P. 3).

Extras (Fußzeile):