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Nr. 176
Verhandlungen der Bezirksleitung Essen des Deutschen Metallarbeiter-Verbandes mit General Degoutte im Stahlhof zu Düsseldorf am 24. Oktober 1923, 18.30 Uhr
R 43 I/453, Bl. 147–150 Abschrift1
Werte Kollegen!
Die in vielen Geschäftsführerkonferenzen wiederholt angeregte Verhandlung mit der franz. Besatzungsbehörde hat gestern nachmittag um 6½ Uhr in Düsseldorf stattgefunden. Anwesend waren von franz. Seite der General Degoutte, ein Offizier und ein Ingenieur, von unserer Seite der Kollege Ingenhofen (H.D.)2 Kronshagen, Düsseldorf und Wolf, Essen (D.M.V.)3 General Degoutte verlangte vor der Verhandlung, daß wir die ihm zu stellenden Fragen schriftlich übermitteln sollen4. Ich bin dieser Aufforderung nachgekommen und habe folgende Fragen gestellt:
I. Allgemeine Arbeitsaufnahme.
a) | Beseitigung der Hindernisse zur Betriebsaufnahme der Eisenbahn. |
b) | Freigabe der noch besetzten Hafen- und Werksbahnen zwecks Heranschaffung von Rohmaterial. |
c) | [753]Freigabe der besetzten Betriebe oder Betriebsabteilungen, um die Hochofenanlagen als Grundlage der Eisen- und Stahlindustrie in Betrieb setzen zu können. |
d) | Kreditbeschaffung. |
II. Fragen der Besteuerung der Industrieprodukte.
a) | Auswirkung der Kohlensteuer auf die Produktion im Verhältnis zum Auslandkohlenpreis. |
b) | Wie ist die Ausfuhrabgabe gedacht? |
III. Wirtschaftsausschüsse.
a) | In welchem Rahmen sind dieselben vorgesehen, ihre Zusammenfassung? Örtlich oder bezirklich? |
IV. Ausweisungen.
V. Einführung der Frankenwährung bei der Regiebahn.
Zu I a machte die Kommission ihre Ausführung und betonte hauptsächlich, daß wir die Verpflichtung hätten, die Arbeiterschaft des Ruhrgebietes so schnell wie möglich wieder in Arbeit und Brot zu bringen. Als Haupthindernis sei die bisherige Brachlegung der Eisenbahn zu betrachten und es müsse alles versucht werden, dieselbe so schnell wie eben möglich wieder in Betrieb zu bringen.
Antwort Degouttes: Wir gehen mit Ihnen einig, daß die Arbeiterschaft schnell wieder in Arbeit kommen muß, sehen auch ein, daß das Brachliegen der Eisenbahn ein Haupthindernis ist. Aber Sie müssen bedenken, daß die Betriebsaufnahme so schnell wie es wünschenswert wäre, nicht erfolgen kann, weil nach dem 11. Januar 1923 seitens der deutschen Behörde etwa 30 000 Wagen hinausgeschoben sind ins unbesetzte Gebiet. Desgleichen muß natürlich eine Reihe von Reparaturen vorgenommen werden an Weichen, Oberbaumaterial und Stellwerken, die erst allmählich erfolgen kann. Wir haben bereits 8000 Mann eingestellt, die Neueinstellungen erfolgen täglich weiter, um die Betriebsaufnahme zu beschleunigen5.
Zu I b, erklärte die Kommission: Wir wünschen, daß die noch besetzten Hafen- und Werksbahnen, sowie die zerstörten Seilbahnen soweit sie noch besetzt sind, sofort freigegeben werden, damit die Heranschaffung des Rohmaterials und der Brennstoffe baldmöglichst erfolgen kann.
Antwort Degoutte: Wenn Sie in dieser Angelegenheit Einzelheiten und Wünsche haben, dann verhandeln Sie bitte örtlich mit unseren Ingenieuren unter Hinzuziehung der Werksleitungen. Wir werden selbstverständlich alles tun, um die Hafen und Werksbahnen, soweit sie zur Betriebsaufnahme der Werke notwendig sind, sofort freizugeben. Wir haben gar kein Interesse, in dieser Angelegenheit ihnen Schwierigkeiten zu machen. Wir betonen noch einmal, auch wir wünschen, so schnell wie möglich die Wirtschaft ingang zu bringen.
Zu I c. Zur vollen Instandsetzung und Inbetriebnahme der einzelnen Werke der Eisen- und Stahlindustrie ist vor allen Dingen notwendig, daß die Grundlage derselben, die Hochofenanlage und Stahlwerke, die Arbeit aufnehmen können.[754] Hierbei ist zu beachten, daß in einer Reihe von Werken, die eigene Schachtanlagen haben, und die für die Koksversorgung der Hochöfen in Frage kommen, entweder die ganze Kokerei oder aber Betriebsabteilungen besetzt sind, so daß die Arbeitsaufnahme direkt verhindert ist. Des weiteren kommt als besonders schwieriger Punkt hinzu, daß die Arbeitgeber uns erklären, daß sie den Betrieb nicht aufnehmen könnten, weil sie kein Geld hätten und die Kreditbeschaffung für sie z. Zt. eine Unmöglichkeit sei. Die Reichsregierung lehne es ab, die Lohnsicherung weiter zu zahlen und sie selbst hätten keine Mittel, um die Arbeiter auszulöhnen6.
Antwort Degouttes: Soweit Besetzungen von Kokereien oder Betriebsabteilungen, die als Koksversorgung für die Hochöfenanlagen in Frage kommen, bitte ich ebenfalls, denselben Weg zu schreiten, wie oben schon angegeben. Wir sind sofort bereit, die Besatzung dieser Abteilungen zurückzuziehen, jedoch bitten wir, die zuständige Ingenieurkommission davon in Kenntnis zu setzen.
Zur Kreditbeschaffung erklären wir ihnen folgendes: Wenn einzelne Arbeitgeber erklären, sie hätten keine Gelder, oder es sei ihnen durch die Beschlagnahme von Rohmaterialien oder Erzeugnissen nicht möglich, durch den Verkauf derselben Mittel zu verschaffen, so sagen sie bitte ihren Arbeitgebern, sie sollen sich mit ihnen und unserer Ingenieurkommission in Verbindung setzen. Wir werden dann die Beschlagnahme von Erzeugnissen sofort zurücknehmen und evtl. auch Kredite gewähren, damit sie die Arbeit aufnehmen und die Arbeiterschaft auslöhnen können. Also, sie bekommen einen gewissen Zahlungsschub. Wenn aber die Arbeitgeber, wie in der letzten Zeit, sich weigern mit uns zu verhandeln, so z. B. Fr. Thyssen, Mülheim7, und andere, dann tragen wir keine Schuld an der Arbeitslosigkeit. Auch evtl. beschlagnahmte Kohlenvorräte werden wir, wenn die Notwendigkeit sich erweist, zurückgeben, damit die Betriebsaufnahme ermöglich wird.
Zu II a. Kommission: Die Besatzungsbehörde hat, wie die Arbeitgeber uns erklären, von der Industrie verlangt, daß sie die rückständige Kohlensteuer ab 11. Januar 23, die mit 16–18% anzuschlagen ist, berechnet auf die Verteilungsziffer beim Kohlensyndikat, nachzahlen soll, des weiteren auch für die Zukunft, die vom April 23 festgelegte Kohlensteuer von 40%. Damit ist die Konkurrenzunfähigkeit für die deutsche Industrie da. Die deutsche Kohle kostet pro Tonne 24 Goldmark, die englische Kohle pro Tonne 23 Schilling, 23 Goldmark. Mit den 40% Kohlensteuern und den 16% nachzuzahlender Kohlensteuer stellt sich der deutsche Kohlenpreis auf 40 Goldmark pro Tonne. Also damit wäre die Möglichkeit, Reparationsleistungen zu zahlen, nicht gegeben und wir nehmen doch an, daß das Ruhrgebiet wenn es Reparationszahlungen leisten soll, von einem Zuschußgebiet zu einem Überschußgebiet werden muß. Es muß zunächst selbst lebensfähig sein, um erzeugen zu können.
Antwort Degouttes: Über die Frage der nachzuzahlenden Kohlensteuer und der für die Zukunft zu zahlenden Kohlensteuer haben wir mit den Arbeitgebern verhandelt. Aus der Presse ist ihnen bereits bekannt, daß eine Reihe von Konzernen:[755] Phönix, Wolff8 und viele andere, schon unterschrieben haben. Sie haben uns auch erklärt, daß die von uns auferlegten Steuern auch tragfähig seien. Es wäre möglich, die Industrie unter diesen Bedingungen wieder aufzubauen. Allerdings möchte ich hinzufügen, daß vielleicht die Absicht besteht, die Lasten auf sie abzuwälzen, indem man ihnen niedrige Löhne zahlt. Das müssen wir aber ihnen überlassen und müssen sie sich wehren. Das, was wir wollen, ist eine Kapitalsteuer und die Arbeitgeber, die früher sehr viel verdient haben, müssen mit einer geringeren Profitrate für die Zukunft zufrieden sein.
Zu II b. gab Degoutte dieselbe Erklärung ab wie zu A. Also auch hier ist von den Arbeitgebern zugestanden worden, daß dieselbe tragfähig sei. Außerdem würde die ganze Angelegenheit von Fall zu Fall behandelt. Wenn Zahlungsunmöglichkeit nachgewiesen sei, soll dadurch die Weiterführung des Betriebes nicht leiden.
Zu III. Kommission: Nach unseren Informationen sollen Wirtschaftsausschüsse gebildet werden. Sind dieselben bezirklich oder örtlich vorgesehen, oder beides? Welche Befugnisse haben sie? Wie ist ihre Zusammenstellung?
Antwort Degouttes: Diese Wirtschaftsräte sollen mit uns gemeinsam alle einschlägigen Fragen prüfen, um die Wiederherstellung der Wirtschaft zu beschleunigen. Es sollen z. B. Ausschüsse gebildet werden für die Kreditbeschaffung, für die Lebensmittelfrage, für den Transport und Verkehr, für Arbeiterfragen usw. In diesen Kommissionen, deren Kreis wir nicht begrenzen, wünschen wir alle Vertreter der Wirtschaft, also auch sie müssen dazu beitragen, das Wirtschaftsleben in Gang zu bringen. Diese Ausschüsse haben Vorschläge zu machen, die von der Ingenieurkommission geprüft werden. Sie sind zunächst nur örtlich vorgesehen; es liegt aber nichts im Wege, wenn dieselben das Bedürfnis haben, sich bezirklich über die einzelnen Fragen auszusprechen.
Zu IV. Kommission: In den letzten Wochen sind eine Reihe Gewerkschaftskollegen aller Richtungen ausgewiesen worden. Es liegen ganz krasse Fälle vor. Die Gewerkschaftsangestellten oder Funktionäre haben in dieser Zeit wirtschaftlicher Not manchen Sturm auszuhalten und wir können nicht glauben, daß, wenn einmal ein Wort gesprochen wird, dieses als Bedrohung der Besatzung anzusehen [!]. (Ich führte hier auch den Fall Demtröder-Witten9 an.)
Antwort Degouttes: Teilen sie mir bitte diese Vorkommnisse schriftlich mit. Ich werde in weitgehendstem Maße ihren Wünschen Rechnung tragen und jeden einzelnen Fall prüfen.
Zu V. Kommission: Laut Verfügung der Besatzungsbehörde wird ab 24. d. Ms. nur französisches Geld an den Bahnhöfen in Zahlung genommen. Die Reisenden, besonders auch die Arbeiter, die Arbeiterzüge benutzen, sind nun gezwungen, sich erst Franken zu beschaffen, die sie mangels genügender Wechselstuben bei den vor den Bahnhöfen stehenden Schiebern einkaufen können. Das ist ein großer Mißstand, daß zur Zeit der Not auch noch diese Gesellschaft die Massen auswuchert.
[756] Antwort Degouttes: Ich gebe ihnen hiermit vollständig recht, das muß geändert werden. Die Regie hat auch bereits ein Notgeld vorgesehen, das in den nächsten Tagen zur Ausgabe gelangt, ist also ein wertbeständiges Zahlungsmittel, daß die Regie jederzeit in Zahlung nimmt. Die Regie war gezwungen, zu dieser Maßnahme zu greifen, weil sie infolge der starken, rapiden Geldentwertung und des Verfalles der Mark sehr stark geschädigt wurde10.
Werte Kollegen! Ich habe diese Verhandlung schriftlich niedergelegt und zwar deshalb, weil sie für jeden einzelnen Kollegen am Orte wichtig ist. Verwerten wir dieses Material sofort, dann glaube ich, daß es uns möglich sein wird, die Zahl der Arbeitslosen und Kurzarbeiter zu vermindern. Damit wäre der Höhepunkt überschritten. Die Arbeitgeber haben uns bei den letzten Verhandlungen recht viele Dinge ganz anders dargestellt.
Also die örtlichen Verhandlungen sind sofort aufzunehmen. Ich bin von der franz. Besatzungsbehörde ermächtigt, von diesen Aussagen Gebrauch zu machen. Möchte aber dringend empfehlen, nichts hinzuzufügen und nichts hinwegzulassen.
Mit kollegialem Gruß!
Karl Wolf
Fußnoten
- 2
Hirsch-Dunckerscher-Gewerkverein.
- 3
Deutscher-Metallarbeiter-Verband.
- 4
Vgl. dazu auch den Bericht H. Meyers über die Besprechung mit Degoutte.
- 5
Hierzu wie zum folgenden vgl. die Verhandlungen Degouttes mit dem Bergarbeiter-Verband (Dok. Nr. 177).
- 9
Einzelheiten konnten nicht ermittelt werden.
- 10
Die Ausgabe des „Regie-Franken“ gründete sich auf die Ordonnanz 219 vom 19.10.23. „Sie wurden ausgegeben in Stücken zu 5 Centimes bis 1000 Frcs und trugen den Vermerk: ‚Giltig zur Zahlung aller an die Eisenbahnen geschuldeten Beträge‘“ (O. Jung, Reparation, Währung und frz. Rheinlandpolitik; BA: ZSg 105/1, Bl. 190). Nach Jungs Aktenauszug hatte die belg. Reg. diesem Regie-Franken unter der Bedingung zugestimmt, daß er nicht die Grundlage zu einer neuen Währung bilde: „Le Gouvernement belge subordonne toutefois ce projet à la condition que ces Bons revêtent le simple caractère de Notgeld …C’est, en effet, à cette situation que répond également le Notgeld émis par les villes et certains établissements privés du Pays Occupés“ (Rolin-Jacquemyns an Tirard, 15.10.23; übernommen von O. Jung aus Archiv Nationale Paris, A J 9: Arch. du Secrétariat Général, fas. 3233; zit. ZSg 105/1, Bd. 1, Bl. 192). Im Telegramm Nr. 489 vom 19.10.23 hatte Tirard über die währungspolit. Aussichten des Regiefranken nach Paris gemeldet: „Son succès dépendra tant de l’accueil du public que du sort des réformes monétaires annoncées par M. Stresemann.“ Außerdem hatte Tirard gemeint: „Il leur [!] est évidemment difficile jusqu’ici de se prononcer officiellement tant qu’ils se consideront [!] comme tributaires des crédits de la Reichsbank et qu’ils seront dans l’attente du sort futur du mark-rente annoncé par le Gouvernement de Berlin. Mais les Autorités françaises se sont orientées dans ce sens et se tiennent en liaison avec les intérêts économiques et financiers rhénans, à toute éventualité“ (Arch. Paris, a.a.O., fasc. 3825/26; zit. BA: ZSg 105/1, Bd. 1, Bl. 194–195).