1.129 (str2p): Nr. 243 Der Reichsfinanzminister an den Reichskanzler. 12. November 1923

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Text

RTF

Nr. 243
Der Reichsfinanzminister an den Reichskanzler. 12. November 1923

R 43 I /2702 , Bl. 161

[Betrifft: Finanz- und wirtschaftspolitische Maßnahmen des Chefs der Heeresleitung.]

Sehr geehrter Herr Reichskanzler!

Die Besprechung, die ich heute in Gegenwart des Herrn Reichspräsidenten mit dem Chef der Heeresleitung, Herrn General von Seeckt, hatte, hat unter Vermittlung des Herrn Reichspräsidenten2 folgendes Ergebnis gehabt:

1.

Es ist allseitig festgestellt worden, daß bei nur einigermaßen normalen Umständen es nicht Aufgabe des Inhabers der vollziehenden Gewalt ist, sich um wirtschaftliche oder finanzielle Dinge zu kümmern. [1039]

2.

Sollten wirtschaftliche oder finanzielle Dinge bei drohender Gefahr im Zusammenhang mit Fragen der öffentlichen Ordnung stehen, so wird der Inhaber der vollziehenden Gewalt nur handeln im Einvernehmen mit dem zuständigen Minister. Wird ein Einvernehmen nicht erzielt, so soll eine Verhandlung beim Herrn Reichspräsidenten sofort herbeigeführt werden.

3.

Der Umstand, daß Exzellenz von Seeckt heute in Sachen der Herausgabe des Nachrichtenblattes ohne vorherige Verbindung mit mir praktisch über Reichsmittel verfügt hat, ist von mir in seiner Unmöglichkeit eingehend dargelegt worden. Bei der Schlußzusammenfassung sind wir auf diesen Punkt nicht zurückgekommen. Ich gebe mich aber der Hoffnung hin, daß nicht wieder in dieser Weise verfahren werden wird. Für den vorliegenden Fall habe ich mein Einverständnis zur Zahlung erklärt3.

4.

Was die Verordnung des Herrn Generals von Seeckt über die Herausgabe von wertbeständigem Notgeld anbetrifft4, so finden die Festlegungen zu 1. und 2. grundsätzlich Anwendung. Der Einzelfall soll so erledigt werden, daß das, was in dieser Verordnung unmöglich ist, sofort durch eine erneute Verordnung des Herrn Generals von Seeckt, deren Text ich ihm zur Verfügung stellen werde, ausgeräumt wird5.

Mit vorzüglicher Hochachtung

Ihr sehr ergebener

Dr. Luther.

Fußnoten

1

Das Schreiben trägt das Präsentat vom 24.11.23. MinDir. Kempner vermerkte dazu: „Mir so spät zugegangen, daß nun, nach erfolgtem Rücktritt des Kabinetts, nichts mehr veranlaßt werden kann. Die Frage der Beziehung zw. Inhaber d. vollz. Gewalt u. der Regierung muß alsbald geklärt werden. Ich verfolge die Sache gesondert.“

2

S. dazu auch Anhang Nr. 1.

3

Am gleichen Tag schrieb v. Seeckt an seinen früheren Ausbilder General von Kraewell: „Eine tolle Zeit, in der ich zu allerlei Tätigkeit komme, für die Sie mich seinerzeit nicht ausgebildet haben. Geht die Sache also schief, so ist das Ihre Schuld. Finanzminister habe ich nicht gelernt und ich werde mir auch keine Freunde machen, mit dem mehr als je unrechten Mammon, und von der Landwirtschaft habe ich auch nur das Sprichwort von den dicksten Kartoffeln verstanden. Aber was macht der Soldat nicht alles! Heute drucke ich Geld und eine Zeitung“ (BA-MA: NL von Seeckt  227).

4

Seeckt hatte unter dem Datum des 12.11.23 eine Verordnung erlassen, in der er unter Hinweis auf drohenden Hunger und den eingetretenen Frost vor Eintritt einer durchgreifenden Besserung der Versorgung mit Lebensmitteln auf Grund der Währungssicherung anordnete, zur Beschaffung von Lebensmitteln seien Länder, Provinzen und Kommunen zur Ausgabe wertbeständigen Notgeldes berechtigt. Dies Notgeld dürfe nur insoweit ausgegeben werden, wie es vom RFMin. als gedeckt angesehen werde. Die Nichtannahme des Notgeldes in den Ausgabebezirken war unter Strafe gestellt worden (R 43 I /2702 , Bl. 3).

5

Erst am 23.11.23 erklärte der Chef der Heeresleitung (gez. i. A. Schleicher), der Inhaber der vollziehenden Gewalt habe mit dieser Verordnung selbständiges Notgeld schaffen wollen, damit die Erntezufuhr gesichert werde. Auf Antrag des RFM und im Einvernehmen mit ihm sei eine entsprechende Erklärung in WTB veröffentlicht worden. Wie bisher seien für die Ausgabe von Notgeld Anträge an das RFMin. zu stellen, das in Sonderfällen Ausnahmen hinsichtlich der Deckung gestatten werde. Das Notgeld stelle kein gesetzliches Zahlungsmittel gegenüber den Kassen des Reichs und der Länder oder der Rbk dar; allerdings müßten Länderkassen das vom jeweiligen Land ausgegebene Notgeld annehmen (Pol.Arch.: Sonderreferat Wirtschaft, Finanzwesen 16, Bd. 8) – Zum weiteren Verhalten Seeckts in Finanzfragen s. Dok. Nr. 272.

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