Text
Nr. 26
Reichskanzler Stresemann an den Abgeordneten Wels. 27. August 1923
R 43 I/2308, Bl. 235–238 Durchschrift
[Betrifft: Unterredung des RK mit dem Sächs. MinPräs. am 22.8.23.]
Sehr geehrter Herr Kollege!
Auf Grund der Unterredung, die ich heute mit Ihnen hatte, darf ich Ihnen in der Angelegenheit der mit dem Ministerpräsidenten Zeigner geführten Unterhandlung folgendes mitteilen:
Mit dem Herrn Ministerpräsidenten Zeigner hatte ich zwei Unterhaltungen. Die erste bezog sich auf die Zustände in Sachsen, veranlaßt durch die vielen Telegramme aus sächsischen industriellen Kreisen, die um Abhilfe angesichts der damaligen Verhältnisse baten. Die Sächsische Gesandtschaft, an die ich mich zunächst in dieser Angelegenheit wandte, teilte mir mit, daß der Herr Ministerpräsident Zeigner nach Berlin käme und mich Freitag, den 17. August um 1 Uhr zu sprechen wünsche. Ich habe dem zugestimmt und Herrn Reichsminister Sollmann zu dieser Unterredung hinzugezogen, die etwa 1½ Stunden dauerte, und in der wir auch zu einer Einigung gekommen sind, die in einem Kommuniqué zum Ausdruck kam, das wir gemeinschaftlich festgelegt haben1.
Unabhängig von dieser Unterredung kam eine zweite Mitteilung an mich, daß der Herr Ministerpräsident wenige Tage später mich erneut zu sprechen wünsche, wozu ich mich ebenfalls sofort bereit erklärte. Es war dies an dem Tage, an dem wir mit den Herren des Reichsverbandes der Deutschen Industrie zusammenkamen, nämlich am Mittwoch, den 22. August. Ich traf den Herrn Ministerpräsidenten im Reichsfinanzministerium, wo er mit Herrn Minister[131] Dr. Hilferding eine Besprechung hatte. Ich sagte ihm, daß ich ihm sofort im Reichsfinanzministerium zur Verfügung stünde2. In dieser Unterredung erklärte mir der Herr Ministerpräsident, daß am nächsten Tage in Dresden eine Zwischentagung des Landtages stattfände. Es lägen Anträge vor auf Einberufung des Landtages, u. a. auch von der Deutschen Volkspartei. Wenn der Landtag zusammenträte, müsse er auch auf die Interpellation wegen der Reichswehr eingehen. Er wünsche jetzt nicht, diese Debatte zu führen, und er hielte es deshalb für richtig, wenn der Landtag nicht zusammenträte. Wenn er aber auf die Auseinandersetzung über die Reichswehr verzichten solle, dann sei es notwendig, daß der Passus aus dem Geßlerschen Briefe, durch den der Reichswehr der Verkehr mit der Sächsischen Regierung untersagt wäre, aufgehoben würde3. Ich habe dem Herrn Ministerpräsidenten versprochen, auf meine Freunde in Sachsen dahin einzuwirken, daß sie ihre Anträge wegen Einberufung des Landtages nicht weiter verfolgen und habe dies am gleichen Tage durch den Landtagsabgeordneten Dr. Schneider und am nächsten Morgen durch den Landtagsabgeordneten Anders der Fraktion übermitteln lassen4. Ich habe weiterhin dem Verband Sächsischer Industrieller empfohlen, doch von einer Weiterführung des Kampfes gegen das Ministerium Zeigner Abstand zu nehmen5. Den Herrn Reichswehrminister konnte ich, da ich an dem Tage dauernd durch Konferenzen in Anspruch genommen war, erst am Abend gegen 8 Uhr sprechen. Der Herr Reichswehrminister war durchaus mit mir darin einer Meinung, daß eine Untersagung des dienstlichen Verkehrs mit der Sächsischen Regierung nicht stattfinden könne, und er erklärte, daß er niemals eine solche Anordnung gegeben habe. Wir vereinbarten den Wortlaut einer diesbezüglichen Erklärung, und ich beauftragte die Reichskanzlei, dem Herrn Ministerpräsidenten davon Mitteilung zu machen. Der Herr Ministerpräsident Zeigner hatte Wert darauf gelegt, diese Mitteilung bis zum nächsten Vormittage zu erhalten, und er hatte mitgeteilt, daß er bis Mitternacht in seiner Wohnung in Loschwitz zu erreichen wäre. 11,30 Uhr spät abends hat Herr Staatssekretär[132] von Rheinbaben persönlich dem Herrn Ministerpräsidenten Zeigner die Erklärung des Reichswehrministers durch die Telefonzentrale der Reichskanzlei übermitteln lassen6 und Herr Ministerpräsident Zeigner hat sich Wort für Wort diese Erklärung wiederholen lassen und sie wohl auch schriftlich aufgenommen, und die Unterhaltung mit den Worten geschlossen, „nun, dann ist es gut“.
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Die „Sitzung der Industrie“ fand mit RFM Hilferding und StS Fischer um 10 Uhr im RFMin. statt (BA: NL von Stockhausen 15); zum Zeitpunkt der Unterredung Stresemanns mit Zeigner s. Dok. Nr. 53.
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Vgl. hierzu Dok. Nr. 17.
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S. Dok. Nr. 23.
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Die sächsischen Handelskammern hatten mit Telegramm vom 24.8.23 trotz einer beruhigenden Erklärung Zeigners um Rücksprache mit dem RK gebeten (R 43 I/2308, Bl. 230). Dem Kommerzienrat Claß teilte Stresemanns Referent Ehlers am 5.9.23 mit, der RK habe seine besondere Aufmerksamkeit den sächsischen Verhältnissen zugewandt und Gespräche mit dem Verband sächsischer Industrieller und der sächsischen Handelskammer geführt. Der RPräs. habe mit Zeigner eine Besprechung gehabt, „und es ist bei diesen Unterredungen daraus kein Hehl gemacht worden, daß die Reichsregierung fest entschlossen sei, für die Herstellung der Ruhe und Ordnung in Sachsen zu sorgen, wenn nicht die Sächs. Regierung es vorziehen sollte, ihrerseits die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen. Herr Ministerpräsident Dr. Zeigner hat dies auch zugesagt, und ich glaube feststellen zu können, daß in der allerletzten Zeit sich die Dinge etwas ruhiger entwickelt haben und daß die Sächsische Regierung versucht, selbst Ordnung zu schaffen. Bei der Behandlung dieser Frage geht Herr Dr. Stresemann durchaus konform mit dem gesamten Kabinett, und gerade die sozialdemokratischen Minister sind bemüht, ihrerseits durch Einwirkung auf ihre sächsischen Parteigenossen mit dazu beizutragen, daß in Sachsen möglichst bald vollkommen Ruhe und Ordnung gewährleistet ist“ (Pol. Arch.: NL Stresemann 261).
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S. Anm. 16 zu Dok. Nr. 17.
Ich verstehe deshalb nicht, wieso der Herr Ministerpräsident davon sprechen kann, daß ich für ihn keine Zeit gehabt hätte. Es wäre mir erwünscht gewesen, ihm diese Mitteilung noch vor seiner Abreise nach Dresden geben zu können. Das ließ sich aber nicht ermöglichen, und sachlich trat keine Verschiebung der Situation ein, da es sich ja nur darum handelte, daß bis zu der am nächsten Morgen in Dresden stattfindenden Sitzung die Erklärung in den Händen des Ministerpräsidenten wäre.
Bemerken möchte ich noch, daß der Herr Ministerpräsident Zeigner in der Unterredung betonte, er lege deshalb Wert auf die Bereinigung dieser Angelegenheit, weil es doch sicher eine Entspannung der Situation wäre, wenn sich etwa in Sachsen eine ähnliche politische Konstellation bilden würde, wie im Reich und in Preußen, eine Idee, der ich selbstverständlich sehr zustimmte, und die mich insbesondere veranlaßte, alles zu tun, um eine Einigung mit dem Herrn Ministerpräsidenten zu erzielen.
Ich wollte nicht verfehlen, im Anschluß an unser heutiges telefonisches Gespräch Ihnen diese Darstellung auch brieflich zu bestätigen.
In kollegialer Hochachtung
Ihr sehr ergebener
gez. Dr. Stresemann