Text
Nr. 68
Unterredung Ministerialdirektor von Schuberts mit dem amerikanischen Botschafter Houghton. 19. September 1923
Geheim!
Ich habe heute den Amerikanischen Botschafter, bei dem ich mich gestern Abend bereits angemeldet hatte, der mich aber gestern nicht mehr empfangen konnte, aufgesucht und ihm vertraulich ein umfassendes Bild unserer augenblicklichen Situation gegeben. Ich habe ihm von den vertraulichen Besprechungen mit dem Französischen Botschafter und dem Belgischen Gesandten in großen Zügen Kenntnis gegeben, ihm auch erzählt, daß die Botschafter Englands und Italiens informiert worden seien1. Endlich habe ich ihm eine Abschrift des Schriftstückes ausgehändigt, das vorgestern Lord D’Abernon und dem Belgischen Gesandten und gestern Graf Bosdari ausgehändigt worden ist, indem ich ihn auf den Charakter dieses Schriftstückes ausdrücklich hinwies2.
Herr Houghton bedankte sich sehr für meine Mitteilung. Er zeigte sich ein wenig verletzt darüber, daß er als Einziger diese Mitteilung verspätet erhalten habe. Ich ließ in meiner Antwort durchblicken, daß im Gegensatz zu England[313] und Italien, die doch wenigstens ein gewisses Interesse für Deutschland bewiesen hätten, Amerika in den letzten Monaten sich gänzlich interesselos gezeigt habe. Herr Houghton gab dies ohne weiteres zu, betonte, daß die Vereinigten Staaten an dem ganzen Problem ja direkt nicht beteiligt seien, und gab mehr oder weniger zu, daß ich mit meiner Ansicht leider recht habe. Er wies aber darauf hin, daß er sich persönlich stets bemüht habe, mit allen Kräften seine Regierung über die gefährliche und schlimme Lage Deutschlands zu orientieren; er werde in diesen Bestrebungen auch in Zukunft fortfahren. Ich erwiderte dem Botschafter, er könne sicher sein, daß wir uns ihm für seine Bemühungen zu großem Dank verpflichtet fühlten.
Ich versprach dem Botschafter, ihn über die weitere Entwicklung der Lage ständig auf dem Laufenden zu erhalten, was er dankbar begrüßte. Herr Houghton konnte über meine Eröffnungen seine Bestürzung nicht verbergen und fragte mich, ob unter Umständen mit katastrophalen Ereignissen im Reich und in den besetzten Gebieten zu rechnen sei. Ich erwiderte, daß ich dies leider nicht für ausgeschlossen halte, wenn nicht die Franzosen im letzten Augenblick sich vernünftig zeigten, wozu allerdings meiner persönlichen Ansicht nach wenig Hoffnung vorhanden sei.
Schubert