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Nr. 42
Das Reichsbank-Direktorium an den Reichskanzler. 5. September 1923
[Betrifft: Versorgung des besetzten Gebiets mit Zahlungsmitteln.]
Eigenhändig.
In der Besprechung vom 28. v. Mts.1 wurde von Ihnen, Herr Reichskanzler, erwähnt, daß Beschwerden über unzulängliche Versorgung der besetzten Gebiete mit Zahlungsmitteln laut geworden seien2, daß Sie selbst aber die Beschwerden als unbegründet zurückgewiesen hätten.
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Diese Besprechung fand im Anschluß an die Reise des RK nach München statt. Bei dieser Gelegenheit hatte Stresemann auch den Vorwurf des bayer. MinPräs. v. Knilling zur Sprache gebracht, daß Bayern ungenügend mit Zahlungsmitteln durch die Rbk versorgt werde. Havenstein wies diese Vorwürfe als unbegründet zurück (Rbk-Direktorium an den RK, 1.9.23; R 43 I/666, Bl. 77).
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Zu den Zahlungsmittelschwierigkeiten im besetzten Gebiet s. Dok. Nr. 3, P. 2 mit Anm. 11.
Indem wir für diese Zurückweisung unseren wärmsten Dank aussprechen, möchten wir die Gelegenheit benutzen, um unsere der Befriedigung des Zahlungsmittelverkehrs[194] in den bezeichneten Gebieten gewidmete Tätigkeit im Zusammenhang kurz klarzustellen.
Die außerordentlichen Schwierigkeiten, denen die Versorgung des Verkehrs mit Zahlungsmitteln infolge der plötzlichen sprungweisen Markentwertung und der dadurch bedingten enormen Steigerung des Zahlungsmittelverkehrs allgemein begegnete, habe ich, der mitunterzeichnete Präsident, in der Sitzung des Zentralausschusses vom 25. August eingehend beleuchtet3. Auf die besonderen Verhältnisse in den besetzten Gebieten glaubte ich hierbei nicht eingehen zu sollen, da die dieserhalb von uns getroffenen Maßnahmen aus naheliegenden Gründen streng geheim zu halten sind.
Trotz Fehlens jeglichen regulären Verkehrsmittels und trotz der an Schärfe von Tag zu Tag zunehmenden Grenzkontrolle der Besatzungsbehörden hat die Reichsbank seit Beginn der Aktion bis zum 31. August d. Js. 222,3 Billionen Mark in die genannten Gebiete geschafft. Die gewaltige Summe ist lediglich durch Beamte der Reichsbank auf mehr oder minder gefährlichen Schleichwegen übergeführt worden. Wir haben einen ständigen Autotransport mit gefälschten Passierscheinen eingerichtet, der von Reichsbankbeamten geleitet wird. Teilweise sind unsere Beamten als Bergleute verkleidet durch die im unbesetzten Gebiet zu Tale gehenden und im besetzten Gebiet zu Tage kommenden Schächte mit Geldsummen gewandert, teilweise sind die Transporte von weiblichem Personal ausgeführt und in allerletzter Zeit sogar in Fußwanderungen durch die überaus gefährdeten Zonen vorgenommen worden. Wir haben Verkehrsmittel laufen, die mit falschen Böden versehen und eigens für den Schleichhandel konstruiert sind. Mit diesen Fahrzeugen befördern wir auf Grund eines Abkommens mit dortigen Firmen Lebensmittel in das Ruhrgebiet; in den falschen Böden transportieren wir das Geld.
Die Belieferung von Aachen und Umgegend, sowie der Städte M.-Gladbach, Krefeld und Neuß geschieht dadurch, daß wir nach Holland mehrere, Billionen betragende Transporte zur Weiterleitung gelegt haben. Der Transport von Holland nach Aachen wird unter erheblichen Kosten durch unsere eigenen Beamten oder durch beauftragte Personen ausgeführt4. Die Stadt Köln versorgen wir seit Mitte Juli über London durch einen Luftverkehr, der sehr gut funktioniert und mit dessen Hilfe wir fast täglich große Beträge, in letzter Zeit mehrere Billionen M. hinüberbefördern5.
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Zur offiziösen Schmuggeltätigkeit an der dt.-niederl. Grenze s. Dok. Nr. 41.
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Mitte September 1923 mußte ein Flugzeug des Aerolloyds in Belgien mit 5,5 Billionen M notlanden. Da die Besatzung Aussage über Herkunft und Bestimmung des Geldes verweigerte, ergaben sich Schwierigkeiten bei dem Versuch der dt. Gesandtschaft Brüssel ihre Freilassung zu erreichen. Die „Feststellung, daß Geldtransport nicht unter belgische Jurisdiktion falle, ergab, daß in diesem Falle neben belgischer Devisenverordnung auch politisches Moment des Ruhrkampfes stark mitspielt“. Erst im Oktober, nachdem die Rbk-Ausweise der Besatzung hatten beseitigt und das Geld als Eigentum des Aerolloyds hatte ausgegeben werden können, kam es zur Entlassung (Telegrammwechsel AA–Gesandtschaft Brüssel, 18., 27. 9., 10.10.23; Pol. Arch.: Büro RM 54, Bd. 1).
Trotz den dem Transport entgegenstehenden außerordentlichen Schwierigkeiten, die sich infolge der verschärften Sperrmaßnahmen6 neuerdings aufs[195] äußerste steigerten, ist es uns doch gelungen, in den letzten Tagen Beträge von 1 bis 5 Billionen Mark täglich in das besetzte und Einbruchsgebiet überzuführen. Aber diese Beträge genügen zur Versorgung des Verkehrs nicht entfernt. Wir haben uns deshalb entschließen müssen, Privatdruckereien mit dem Notendruck zu beauftragen. Zurzeit sind in den besetzten Gebieten nicht weniger als 11 große Druckereien mit Tag- und Nachtschicht trotz den damit verbundenen erheblichen Gefahren für uns tätig. Sie stellen gegenwärtig sogar die hochwertigsten zurzeit im Verkehr befindlichen Abschnitte her. Die Gesamtsumme der von ihnen gedruckten Noten belief sich bis zum 31. August auf ungefähr 100 Billionen Mark.
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Dazu hatte „Die Zeit“, Nr. 178 vom 3.8.23, gemeldet: „Nach einem Bericht […] aus Essen, wird die Lage im Ruhrgebiet von Tag zu Tag, ja fast von Stunde zu Stunde ernster. Infolge der französischen Grenzvorrichtungen und -bestimmungen wird der Grenzverkehr immer mehr beschränkt. Neue Stempel auf Pässe werden nur in seltenen Fällen bewilligt und sollen in Kürze überhaupt nicht mehr ausgegeben werden, so daß nur noch die Personen über die Grenze können, die bereits im Besitz des französischen Stempels sind.“ Wegen eines Attentats auf eine frz. Einheit in Düsseldorf war dann am 15.8.23 im Düsseldorfer Brückenkopf der gesamte Verkehr auf unbestimmte Zeit gesperrt worden („Die Zeit“, Nr. 187 vom 16.8.23). Am 3.9.23 hatte die Besatzung eine achttägige Postsperre über das gesamte Ruhrgebiet „aus unbekannten Gründen“ verhängt („Die Zeit“, Nr. 204 vom 5.9.23).
Wie bekannt, haben sich Gemeinden, Städte und industrielle Werke durch die Schaffung von Notgeld geholfen7, aber auch für dieses Notgeld ist die Reichsbank die hauptsächlichste Lastträgerin. Sie muß für den Umlauf und die Wiedereinlösung sorgen und hat sich trotz der damit verbundenen gewaltigen Arbeitsmasse bereit erklärt, an jeder Reichsbankanstalt der besetzten Gebiete die Notgeldscheine sämtlicher Emissionsstellen einzulösen. Sie hat sich weiter bereit erklärt, an den Reichsbankanstalten der Randgebiete die Umwechselung vorzunehmen.
Daß die gesamte Kassentätigkeit der Reichsbank in den besetzten Gebieten sich unter schwerster Gefährdung unserer Beamten vollzieht, bedarf kaum der Erwähnung. Unsere Beamtenschaft ist fort und fort den qualvollsten Drangsalierungen ausgesetzt, sie hat Verhaftungen in großer Zahl und Geldstrafen in hohen Beträgen erleiden müssen; sie steht unter schärfster Kontrolle und hat ihre Bewegungsfreiheit vollkommen eingebüßt.
Bei dem Bestreben der Franzosen und Belgier, sich aller irgend erreichbaren Geldbeträge in den besetzten Gebieten zu bemächtigen8, ist der Transport in diese Gebiete, die Überführung von einem Orte zum anderen innerhalb der Gebiete und die Herstellung der Noten in den Druckereien für unsere Rechnung mit außerordentlichem Risiko verbunden. Tatsächlich haben wir denn auch durch die erfolgten „Beschlagnahmen“ bis zum 31. v. Mts. rund[196] 858 Milliarden Mark eingebüßt. Auf Grund dieser Verluste sind gegen uns vielfach heftige Angriffe wegen angeblich ungenügender Sicherheitsmaßnahmen gerichtet worden. Auch diese Vorwürfe müssen wir als völlig unbegründet zurückweisen. Was an Sicherungsmaßnahmen für die Transporte, für die Kassen und Tresore in den Bankanstalten, sowie für die Druckereien geschehen konnte, ist geschehen. Insbesondere haben wir die Tresorverschlüsse mit einer eigenartigen, erst neuerdings erfundenen Einrichtung versehen, welche es ermöglicht, mit einem besonderen Schlüssel den Tresor im Notfalle so zu verschließen, daß er mit Hilfe dieses Schlüssels nicht mehr geöffnet werden kann; die Öffnung läßt sich vielmehr nur durch einen besonderen Schlüssel, den sogenannten „Ordner“ bewirken, der in einer anderen Bankanstalt des unbesetzten Gebietes aufbewahrt wird.
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Die Besatzungstruppen waren zu umfangreichen Beschlagnahmungen von Bank- und Lohngeldern im gesamten besetzten Gebiet übergegangen; entsprechende Mitteilungen über Besetzungen von Rbk-Stellen in R 43 I/224. Nach derartigen Maßnahmen in Düsseldorf hatte General Degoutte auf die Vorstellungen der Stadtverwaltung erklärt: „Nachdem die Reichsregierung alle ihre Zahlungsverpflichtungen an die alliierte Besatzungsarmee eingestellt hat, sieht sich das Oberkommando, um die Bedürfnisse der Truppe sicherzustellen, gezwungen, auf Requisitionen von Zahlungsmitteln in der ganzen besetzten Zone zurückzugreifen. – Welches auch die Folgen dieser Requisitionen sein mögen, so kann angesichts der Haltung der Bevölkerung der Oberkommandierende der Truppen nur ihre Fortsetzung befehlen, solange nicht die Reichsregierung die regelmäßigen Zahlungen wieder aufgenommen hat, zu denen sie für den Unterhalt der Besatzungstruppen verpflichtet ist“ („Die Zeit“, Nr. 201 vom 1.9.23).
Wenn man übrigens bedenkt, daß die Gesamtsumme der in die besetzten Gebiete transportierten und in den besetzten Gebieten erzeugten Banknoten sich auf rund 322 Billionen Mark beläuft, so kann der uns bis zum 31. v. Mts. verloren gegangene Betrag von 858 Milliarden Mark nicht als übermäßig angesehen werden.
Alles in allem können wir zu unserer Genugtuung feststellen, daß gegenwärtig der Zahlungsmittelbedarf im besetzten Gebiet befriedigt werden kann und tatsächlich voll befriedigt wird.
Daß vorübergehend Stockungen eingetreten sind, versteht sich angesichts der durch die französische und belgische Besatzung bereiteten enormen Schwierigkeiten von selbst. Die Klagen über die Reichsbank, die dann sofort laut werden, sind erklärlich, aber nicht begründet. Sie sind um so weniger begründet, als die Reichsbank zwar verpflichtet ist, für die Bereitstellung der erforderlichen Noten zu sorgen, aber nicht verpflichtet ist, die Zahlungsmittel in die besetzten Gebiete selbst überzuführen, wenn ihr keine Verkehrsmittel und Verkehrswege zur Verfügung stehen. Der reguläre Eisenbahnverkehr ist zur Zeit infolge der französischen Kontrolle nicht verwendbar; die Reichspost, deren wir uns zeitweise mit Nutzen bedienen konnten, nimmt seit Wochen Pakete für die besetzten Gebiete nicht mehr zur Beförderung an. Die örtlichen Behörden der besetzten Gebiete sind zwar oft genug mit großen Anforderungen an uns herangetreten und haben sich, wenn ihre Forderungen nicht erfüllt werden konnten, mehr oder weniger heftig beschwert, kaum jemals aber sind uns von dieser Seite die Wege geebnet worden9.
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Der RK dankte in einem Schreiben vom 18.9.23 für diesen Bericht: „Ich bin den Beamten der Reichsbank, die sich mit aufopfernder Pflichttreue ihrer ungemein schweren Aufgabe unterzogen haben und weiterhin unterziehen, aufrichtig dankbar. Gestatten Sie mir, Ihnen meine vollste Befriedigung darüber zum Ausdruck zu bringen, daß es trotz aller entgegenstehender Hindernisse gelungen ist, das besetzte Gebiet im allgemeinen ausreichend mit Zahlungsmitteln zu versorgen“ (R 43 I/666, Bl. 87).
Eine Abschrift dieses Berichts haben wir dem Herrn Reichspräsidenten vorgelegt.
Reichsbank-Direktorium.
v. Havenstein Fuchs