2.107 (mu11p): Nr. 107 Erlaß des Reichswehrministers. 19. Mai 1920

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[266] Nr. 107
Erlaß des Reichswehrministers. 19. Mai 1920

R 43 I /683 , Bl. 147 f.

[Betrifft: Politische Angriffe gegen die Reichswehr.]

Dem Reichswehrministerium gehen aus allen Teilen des Reichs Klagen und Beschwerden darüber zu, daß die Reichswehr und besonders das Offizierkorps der wüstesten Hetze nicht nur linksradikaler, sondern auch den Regierungsparteien nahestehender Kreise ausgesetzt sei und daß eine solche Hetze letzten Endes zum Zerfall der Reichswehr führen müsse. Diese Klagen sind leider nur zu berechtigt, nicht aber die immer wiederkehrende Ansicht, das Reichswehrministerium stehe diesem Treiben tatenlos gegenüber. Ich glaube, die Truppe unterschätzt die großen Schwierigkeiten, unter denen die Zentralstelle gerade in dieser Beziehung arbeitet. Seit dem Kapp-Putsch haben sich die Verhältnisse – mit dieser Tatsache müssen wir uns abfinden – grundlegend geändert. Die Möglichkeit, die Hetzpresse zu verbieten, gegen die Hetzer einzuschreiten und Verordnungen zum Schutz der Reichswehr zu erlassen, ist den militärischen Stellen, seit die vollziehende Gewalt auf die Zivilbehörden übergegangen ist, genommen. Es bleibt mir augenblicklich nur der Weg der Belehrung, der gesetzlichen Klage oder anderer gesetzlicher Maßnahmen. Alle drei Wege sind und werden beschritten. Seit Übernahme meines Amtes habe ich keine Gelegenheit vorübergehen lassen, um in Parlament, Presse und Öffentlichkeit immer wieder auf das Verderbliche der Hetze gegen die Reichswehr hinzuweisen. Ich habe dabei betont, daß Druck, Gegendruck, daß die dauernden Beschimpfungen mit der Zeit eine maßlose Erbitterung auf Seiten der Reichswehr erzeugen müßten und daß dieses sinnlose Bekämpfen eigener Volksgenossen, die nur ihre Pflicht tun, nur zu einer Erweiterung der für das Volksganze so schädlich und beklagenswerten Kluft zwischen Volk und Heer führen würde. Dabei bin ich mir durchaus nicht im Zweifel darüber, daß die linksradikalen Kreise durch derartige Ausführungen nicht zu belehren sind, da sie aus parteipolitischen Erwägungen nicht belehrt sein wollen. Ich vertraue aber darauf, daß der größte Teil unseres Volkes meinen Ausführungen Verständnis entgegenbringen wird. Bei der Beeinflussung der Presse liegen die Verhältnisse ganz ähnlich. Der Einfluß der Regierung wird hier gewöhnlich stark überschätzt. Selbst ausgesprochene Parteiblätter der Regierungsparteien lassen sich von einer gewissen Kampfstellung gegen militärische Einrichtungen nur schwer abbringen. In besonders krassen Fällen bleibt daher nur der Weg der Klage. Ich habe gerade in letzter Zeit diesen Weg beschritten, möchte aber davor warnen, allzu große Hoffnungen auf den Erfolg dieses Vorgehens zu setzen: dieser Weg ist langwierig, dornenreich und führt oft nicht zum gewollten Ziel. Auch dem Erlaß gesetzlicher Verordnungen zum Schutz der Reichswehr stehen erhebliche, wenn auch anders geartete Schwierigkeiten entgegen, die sich aber hoffentlich schon in nächster Zeit werden überwinden lassen. Den Kommandobehörden ist bekannt, daß ich mich dieserhalb mit dem Reichsminister[267] des Innern und dem Reichsjustizminister in Verbindung gesetzt habe […].

Die Reichswehr muß sich aber darüber klar sein, daß ihr durch Aufklärung der Öffentlichkeit und gesetzliche Schutzmaßnahmen allein nicht geholfen werden kann; es gehört dazu vor allen Dingen noch eins: Herausziehen der Reichswehr aus der Politik und dem Brennpunkt der politischen Agitation. Mit anderen Worten: Die Rubrik „Verfehlungen der Reichswehr“ muß aus der Presse und Öffentlichkeit verschwinden. Durch Übertragung der vollziehenden Gewalt von den militärischen auf die Zivil-Behörden habe ich dieses Herausnehmen der Reichswehr aus der politischen Kampffront angebahnt und, wie ich glaube, nicht ohne Erfolg. Ein weiterer Stein des Anstoßes wird verschwinden, wenn endlich die Untersuchungen aus der Kapp-Zeit zum Abschluß kommen. Ich habe deshalb bis zum 20. ds. Mts. abschließende Meldungen verlangt und bin entschlossen, mit diesem Kapitel endgültig Schluß zu machen. Es wird und muß erreicht werden, daß die dauernde Beunruhigung, die Möglichkeit der Gesinnungsschnüffelei und Stellenjägerei auf der einen Seite, die berechtigten Beschwerden auf der anderen Seite aufhören und damit auch der Öffentlichkeit der Anlaß zu weiteren berechtigten und unberechtigten Alarmrufen genommen wird. Vor allen Dingen darf nirgends der Eindruck entstehen, als ob Reichswehrangehörige wegen ihres regierungstreuen Verhaltens während der Märzvorgänge benachteiligt oder gar verfolgt werden. Und hier setzt die eigne Arbeit der Reichswehr an. Sie muß dafür sorgen, daß möglichst bald den ihr übel gesinnten Kreisen jeder Agitationsstoff auch auf anderen Gebieten genommen wird. Vermeidung jeder Kundgebung und Äußerung, die auch nur den Schatten eines Verdachts aufkommen lassen könnte, als nehme es die Reichswehr mit ihrem Eid auf die Verfassung nicht ernst; Entpolitisierung der Truppe, straffste Selbstzucht und stille, pflichttreue Arbeit zum Wohle des Ganzen, das ist der Teil, den die Reichswehr selbst zur Abwehr der von ihr mit Recht so bitter empfundenen Hetze beitragen soll und kann1.

1

Vgl. zu diesen Ausführungen DBFP 1st. ser. vol. IX, p. 518 sq.

Der Reichswehrminister.

gez. Dr. Gessler.

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