2.90 (mu11p): Nr. 90 Die Landesabteilung Bayern der Reichszentrale für Heimatdienst an das Reichswehrministerium. München, 10. Mai 1920

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Nr. 90
Die Landesabteilung Bayern der Reichszentrale für Heimatdienst an das Reichswehrministerium. München, 10. Mai 1920

R 43 I /2504 , Bl. 229-233 Abschrift1

1

Die Abschrift wurde der Rkei vom Leiter der Reichszentrale zugeleitet (R 43 I /2504 , Bl. 228).

[Betrifft: Tätigkeit der Landesabteilung.]

Die unterzeichneten Leiter der Reichszentrale für Heimatdienst, Landesabteilung Bayern, lesen aus den Tageszeitungen, daß Herr General von Möhl dem Reichswehrministerium unter dem 14. April folgende Zuschrift zugeleitet haben soll:

Reichswehrgruppenkommando 4

[…]

Die Reichszentrale für Heimatdienst betätigt sich neuerdings mit einer Propaganda in Bayern, die als stark parteipolitisch anzusprechen ist. Da diese Behörde von Berlin aus auch die unterstellten Brigaden mit „Aufklärungsmaterial“ versieht, habe ich mit der beiliegenden Verfügung die Annahme von Drucksachen verboten. Das Verbot werde ich so lange aufrechterhalten bis Garantien gegeben sind, daß diese nun schon über Jahresfrist beobachtete rein parteipolitische Tätigkeit abgestellt wird.

Der Oberbefehlshaber: gez. v. Möhl, Generalmajor

Für die Richtigkeit: gez. Mayr, Hptmann im Generalstab.

Für den Fall, daß tatsächlich eine solche Eingabe vom Gruppenkommando 4 dem Reichswehrministerium zugegangen sein sollte, sehen wir uns veranlaßt, dagegen folgendermaßen begründete Verwahrung einzulegen.

Die Landesabteilung Bayern betreibt keinerlei Propaganda die als parteipolitisch anzusprechen ist. Selbst aber, wenn in Wirklichkeit eine solche Propaganda[218] betrieben worden sein sollte, was unsererseits mit aller Entschiedenheit bestritten werden muß, so dürfte das Gruppenkommando 4 als eine Behörde, die nur rein militärische Aufgaben zu erfüllen hat, nicht als die geeignete Stelle erscheinen, die hierüber irgendwie ein Urteil zu fällen hat.

Um aber dem Reichswehrministerium einen objektiven Einblick in die Tätigkeit unserer Landesabteilung zu geben, die vom Gruppenkommando 4 als stark parteipolitisch angesprochen wird, gestatten wir uns folgende Darstellung des zu Grunde liegenden Sachverhaltes:

Am 30. März 1920 prangte an allen Münchener Anschlagsäulen ein großes, in die Augen springendes Plakat, das sich an Arbeiter, Bauern und Bürger wendete. In diesem wurde mitgeteilt, daß sich ein bayerischer Ordnungsblock gebildet habe. Unter anderem wurde in dem Plakat mitgeteilt, der rote Terror stehe vor der Tür, es gehe zum letzten Endkampfe zwischen Ordnung und Zerstörung.

Gegen die Reichsregierung wurde in dem Plakat folgender Vorwurf erhoben:

„Die Reichsregierung hat euch nicht geschützt! Die Reichsregierung verhandelt mit den Kommunisten! Die Reichsregierung unterdrückt den Putsch von rechts, aber sie unterdrückt den Putsch von links nicht energisch genug. Die Reichsregierung belobigt die Zerstörer der Verfassung! Die Reichsregierung verletzt dadurch selbst die Verfassung! Die Reichsregierung duldet und provoziert die willkürlichen Streiks, die uns gänzlich verelenden. Neue Streiks erwarten uns täglich. Die Reichsregierung verhandelt mit den Gewerkschaften! Reichswehr- und Einwohnerwehr sollen entwaffnet – die Spartakisten sollen bewaffnet werden!“

Am 9. April prangte neuerdings – mit Genehmigung des Herrn Polizeipräsidenten Pöhner in München – ein Plakat des Ordnungsblocks an den Plakatsäulen Münchens mit folgendem Inhalt:

„Einwohnerwehren! Im Bielefelder Abkommen hat Euch die Reichsregierung an die Kommunisten verraten. Es heißt in § 5: Zur Unterstützung der Sicherheitsorgane ist vom Ordnungsausschuß eine Ortswehr aus der republikanischen Bevölkerung, insbesondere den organisierten Arbeitern, Angestellten und Beamten zu bilden. Sämtliche Einwohnerwehren sind aufzulösen.

Die Reichsregierung hat sich mit dem § 5 auf den Boden der russischen Sowjetregierung gestellt.

Eine Minderheit des Lumpenproletariats, das mit dem zum Aufbau bereiten Arbeiter alten Schlages nichts gemein hat, soll das Recht haben, Euch hohnlächelnd mit Füßen zu treten, wenn Ihr waffenlos seid. Darum schließt Euch zusammen, bekräftigt durch die Tat Eure Gesinnung, tretet ein in den bayrischen Ordnungsblock, ehe es wieder zu spät ist, ehe Ihr wieder, wie in den Schandwochen des Vorjahres, die Narren von landfremden Hetzern und Volksbetrügern machen müßt!

Der Bayerische Ordnungsblock!“

Dann folgte ein drittes Plakat des Ordnungsblockes mit der Überschrift: „Deutsche!“ In der Einleitung wurde gesagt: „Politische Schwäche und moralische[219] Feigheit der Reichsregierung ließen die Kräfte der Zerstörung erstarken“. Weiter hieß es: „Fort mit einer Reichsregierung, die ihre Anhänger in dem vom Ausland durchseuchten Teil der Bevölkerung sucht!“

Ein 4. Plakat des bayrischen Ordnungsblocks enthält folgende Sätze:

„Die unsoziale Politik einer geld- und machtgierigen Berliner Gesellschaft scheut die Wiederherstellung staatlicher Gewalt, weil sie sich weiter auf Kosten des deutschen Volkes mästen will. Die Reichsregierung, die heute nur Vertretung einer Minderheit des deutschen Volkes ist, läßt sich von diesen Schiebern der Politik und des Geschäfts nasführen und kommandieren.“

In dieser und ähnlicher Art wurde die bayrische Bevölkerung gegen die Reichsregierung zu verhetzen gesucht. Die Nachwirkungen dieser Hetze waren derart, daß sie zu ernsten Besorgnissen führen mußten. Den unterzeichneten Leitern wurde bekannt, daß als Gegenwehr gegen diese Hetze neuerdings der Generalstreik in Bayern als Abwehrmittel erwogen wurde.

Nirgendwo rührte sich etwas, um dieser wüsten Hetze entgegenzutreten. Über die Maßnahmen des Reichswehrministeriums in der Einwohnerwehrfrage wurden die wildesten Gerüchte kolportiert, ohne daß auch diesen Gerüchten entgegengetreten wurde2. In unsrer ungeheuren Verantwortung sahen wir unser deutsches Vaterland und speziell unser engeres Bayernland neuen gewaltigen Erschütterungen preisgegeben. In dieser Stunde höchster Gefahr hielten wir uns für verpflichtet, zur Beruhigung der Gemüter und zur Vermeidung drohender Erschütterungen das anliegende Plakat zu verfassen, drucken zu lassen und in ganz Bayern zum Anschlag zu bringen. Was in dem Plakat über die Einwohnerwehren gesagt ist, beruht auf authentischen Mitteilungen unserer Zentralleitung in Berlin. Wir glaubten aber auch verpflichtet zu sein, in dem Plakat hervorheben zu sollen: „Das Gebot der Stunde heißt: Zuversicht und Vertrauen zur Reichsregierung zu fassen! Sie steht in dieser schweren Krisis ihrer vollen und schweren Verantwortlichkeit voll bewußt auf ihrem Posten. Nur ein einiges, geschlossenes Deutschland verbürgt unseren Wiederaufstieg.“ Ehe wir das Plakat in Druck gaben, haben wir unsere sämtlichen Referenten zur Beratung über die Fassung des Plakates herbeigezogen. Wir bemerken dabei, daß unsere Referenten sich aus allen politischen Parteien zusammensetzen – Bayerische Volkspartei, Deutsche Demokratische Partei, Mehrheitssozialdemokraten und Bauernbund – und alle 10 Teilnehmer der Konferenz waren einstimmig der Anschauung, daß etwas zur Abwehr der wüsten Hetze des bayerischen Ordnungsblockes gegen die Reichsregierung geschehen müsse, und sie hießen einstimmig den Inhalt des anliegenden Plakates gut. Zu unserer Genugtuung können wir auch erfreulicherweise konstatieren, daß der Inhalt unseres Plakates, der zugleich als Inserat in verschiedenen großen Münchener Tageszeitungen veröffentlicht wurde, nicht ohne beruhigende Wirkung auf die Bevölkerung geblieben ist3.

2

Zur Auflösung der Einwohnerwehren und zur Reaktion der Länder s. Dok. Nr. 41.

3

Zur Aktion der Landesabteilung hatte der pr. Gesandte in München, Graf Zech, dem AA schon am 14.4.20 berichtet: „Die ‚Reichszentrale für Heimatdienst‘ brachte gestern in den meisten Blättern ein großes vollseitiges Inserat, in welchem sie klarstellte, daß die Auflösung der Einwohnerwehren auf Verlangen der Entente erfolgen müsse. Vor der maßlosen Hetze gegen die RReg. wird gewarnt und die verderblichen Folgen des Treibens der Separatisten werden klargestellt. Es ist bezeichnend, daß die sich immer reaktionärer gebärdende ‚München-Augsburger Abendzeitung‘ die Annahme dieses vernünftigen und zeitgemäßen Inserats mit der Begründung abgelehnt hat, daß der Inhalt sozialistischer Natur sei. Auch die Münchener Zeitung zog gegen den Aufruf zu Felde, da er eine Polemik gegen die Politik der gegenwärtigen Bayerischen Regierung enthalte. Die Verwirrung der Geister ist also schon so weit gediehen, daß ein bayerisches Blatt der eigenen Regierung eine reichsfeindliche Politik zu unterschieben wagt und eine Bekämpfung dieser angeblichen Regierungspolitik für unstatthaft erklärt.“ Am folgenden Tag war von Graf Zech eine Stellungnahme der offiziösen „Bayer. Staatszeitung“ angefügt worden, die sich gleichfalls gegen den Aufruf der Zentrale für Heimatdienst gewandt hatte, da er „unliebsames Aufsehen erregt“ habe und in einer „maßlosen Sprache gehalten“ sei (R 43 I /2213 , Bl. 51).

[220] Zur Entschuldigung des Gruppenkommandos 4 kann wohl gelten, daß es über die Tragweite der politisch demoralisierenden Wirkung der wüsten Hetze des bayerischen Ordnungsblockes keine klare Vorstellung gehabt hat. Es soll darin kein Vorwurf liegen, weil es unseres Erachtens auch nicht die Aufgabe des Gruppenkommandos sein kann, politische Maßnahmen zu beurteilen. Wenn das Gruppenkommando darauf den Anlaß zu einer Verfügung nimmt, von Berlin aus versandtes Aufklärungsmaterial an die unterstellten Brigaden zu verbieten, so erscheint uns diese Maßnahme als sehr einseitig.

Dabei möchten die unterzeichneten Leiter der Landesabteilung Bayern nicht verfehlen, zu bemerken, daß seit ihrer Amtstätigkeit die Landesabteilung Bayern niemals eine Aufklärung unter die Reichswehrtruppen versucht hat. Dagegen sind wiederholt die Verbindungsoffiziere Rittmeister von Redwitz und Oberltn. Zech – früher Gruppenkommando 4, jetzt Polizeiwehr – in unserem Büro erschienen, um sich Material zu erbitten. Es ist den Wünschen dieser Herren, soweit es ging, entgegengekommen worden. Wir selbst aber haben, wie gesagt, uns niemals in eine Aufklärungstätigkeit unter die Reichswehrtruppen eingemischt.

Wie immer aber auch die Auffassung des Gruppenkommandos 4 über unsere Tätigkeit sein mag, so wird das nichts daran ändern, daß wir in der Stunde der Gefahr für den inneren Bestand unseres Vaterlandes aus voller Verantwortung die Maßnahmen gegen eine Verhetzung der Bevölkerung, sei es von rechts oder links, treffen werden, wie es die Verhältnisse jeweilig bedingen.

Wir glaubten uns verpflichtet, dem Reichswehrministerium diese Darstellung des Sachverhalts geben zu sollen4.

4

Das RWeMin. wandte sich daraufhin am 18.5.20 an das Reichswehrgruppenkommando 4 und teilte dorthin mit: „Da die Reichszentrale für Heimatdienst Reichsbehörde ist, können Maßnahmen ihr gegenüber nur einheitlich und von Seiten des RWeMin. nach Vorlage im RKab. verfügt werden. Ich bitte daher, die dortige Verfügung über Verbot der Annahme von Drucksachen der Reichszentrale für Heimatdienst bis zu meiner Entscheidung aufzuheben. Ich habe wegen der dortigen und anderer Beschwerden über die Tätigkeit der Reichszentrale für Heimatdienst Erhebungen eingeleitet und bitte, mir jeden einzelnen Fall, in dem derartige Bedenken bestehen, zur Meldung zu bringen“ (R 43 I /2504 , Bl. 225).

gez. J. Timm

gez. Dr. Wyldeck

Leiter

stellv. Leiter

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