Text
[142] Nr. 57
Abgeordneter Sollmann an den Reichskanzler. 20. April 1920
[Betrifft: Schaffung einer rheinischen Republik.]
Persönlich!
Eine hervorragende rheinische Persönlichkeit, die ausgezeichnet unterrichtet und in ihrem Urteil sehr vorsichtig ist, schreibt mir:
Aus einer ganzen Reihe von Anzeichen habe ich die Überzeugung gewonnen, daß die britische Besatzungsarmee, Frankreich und die Unabhängigen im Ruhrgebiet beabsichtigt haben, gemeinsam eine von Deutschland losgelöste Republik zu beiden Seiten des Rheines zu errichten1. Das linke Rheinufer war schon besetzt, das Ruhrgebiet sollte der eine Teil der Zange sein, das von den Franzosen besetzte Maingebiet der andere, das dazwischen liegende rechtsrheinische Land fiel dann mit. Ich glaube, daß auch Oberst … (hier stand der Name eines dem Briefschreiber und mir gut bekannten britischen politischen Offiziers), dem ich in letzter Zeit mehr vertraut hatte als früher, den Plan gefördert hat. Die Regierung muß sehen, möglichst dahinter zu kommen. Da der Plan im Ruhrgebiet schief gegangen ist, läßt London Frankreich im Stich, und Millerand und die französische Presse hatten Recht, wenn sie England vorwarfen, sie seien von der beabsichtigten Besetzung des Maingebietes ja unterrichtet gewesen. Ich nehme auf Grund bestimmter Anhaltspunkte an, daß der Essener Vollzugsrat im Besitze kompromittierender Schriftstücke ist.
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Erkundigungen, die der Vertreter des StKom. für öffentliche Ordnung, GehR Kalle, in Wiesbaden und Köln eingezogen hatte, ergaben, daß der Separatismus durch den Kapp-Putsch nicht gefördert worden sei. Dagegen war frz. Aktivität zur Unterstützung separatistischer Strömungen festgestellt worden: „Über ihre Ansichten lassen die Franzosen nicht den geringsten Zweifel; sie erklären bei jeder Gelegenheit ohne jede Zurückhaltung, daß sie die Bildung einer selbständigen Republik der Rheinlande mit allen Mitteln fördern und sie auch unter allen Umständen erreichen werden. Eine Gegenarbeit gegen die frz. Bestrebungen wird den amtlichen Organen, vor allem dem Polizeipräsidium außerordentlich erschwert durch den vorzüglich ausgebauten frz. Agentenapparat, der bis in die Reihen der Beamtenschaft hineinragt.“ Besonderen Umfang habe die separatistische Bewegung in der Rheinprovinz angenommen, wo etwa 40% der Bevölkerung mit ihr sympathisieren würden; dabei differierten aber die Vorstellungen über die staatsrechtliche Form der rheinischen Republik. Gemeinsam sei allen die „Abneigung gegen die Zentrale Berlin“. Über die Engländer wurde gesagt, sie würden sich ziemlich neutral verhalten; „doch haben die zuständigen Stellen in Köln den Eindruck, daß die Engländer sich in der Loslösungsfrage freie Hand halten wollen, um sie gegebenenfalls in einer Ausgleichspolitik mit Frankreich ausspielen zu können. Zur Zeit legen sie aber jedenfalls der vom Polizeipräsidenten in Köln eingerichteten amtlichen Arbeitsstelle zur Beobachtung der Loslösungsbewegung keine nennenswerten Schwierigkeiten in den Weg“ (4.5.20; R 43 I/1828, gefunden in R 43 I/1838, Bl. 115-121).
Indem ich Ihnen diese Mitteilung weiter gebe, betone ich noch einmal, daß Sie wegen der Persönlichkeit meines Gewährsmanns und wegen seiner Beziehungen Beachtung verdient.
[143] Den gleichen Brief richte ich an den Herrn Minister des Auswärtigen2.
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Auf Veranlassung des RK wurde das Schreiben dem StKom. für öffentliche Ordnung abschriftlich zur Kenntnis gegeben (24.4.20; R 43 I/1828, gefunden in R 43 I/1838, Bl. 109).
W. Sollmann
M.d.N.
<Auch Dittmann hat wiederholt mit den Briten verhandelt.>3
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Handschriftlich hinzugefügt.