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[126] Nr. 50
Unterstaatssekretär Bergmann an Unterstaatssekretär Schroeder. Paris, 17. April 1920
R 43 I/14, Bl. 37 f. Abschrift1
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Von UStS Schroeder an UStS Albert „zur persönlichen Kenntnisnahme“ übersandt (20.4.20; R 43 I/14, Bl. 36).
[Betrifft: Reparationsdenkschrift.]
Lieber Herr Schroeder
Von meiner kurzen Erholungsreise nach Nizza zurückgekommen, finde ich Ihr freundliches Schreiben vom 10. d. Mts. über die zur Vorlage bei der Entente bestimmte Denkschrift über die Festsetzung der Kriegsentschädigung vor2. Aus meinem Briefwechsel mit Herrn von Simson wird ihnen bekannt sein, daß ich der Sache sehr zweifelnd gegenüberstehe3. Offen gestanden, habe ich das dumpfe Gefühl, als wenn wir im Begriff wären, aus übertriebener Gewissenhaftigkeit uns in eine Sackgasse festzurennen, aus der wir nicht mehr herauskommen. Wie die Dinge gelaufen sind, wird niemand von uns ernsthaft erwarten können, daß wir bis zum 10. Mai ds. Js. einen Vorschlag machen, mit dem praktisch etwas anzufangen ist4. Nach Ihren Mitteilungen[127] scheinen ja auch Warburg und Melchior in ihrer Denkschrift zu diesem Ergebnis gelangt zu sein. Ich möchte dringend davor warnen, in diesem Zeitpunkt größter politischer Spannung und allgemeiner Zerfahrenheit in Bezug auf sämtliche Wirtschaftsprobleme uns den Anschein zu geben, als wüßten wir mehr über die Zukunft Deutschlands und der ganzen Welt als die Entente, indem wir etwa einen ziffermäßig festen Vorschlag zur Abgeltung der deutschen Kriegsentschädigungsverpflichtung machen. Geradezu verhängnisvoll wäre es mit dem Angebot von 10–12 Milliarden Mark zu kommen, wo die Franzosen allein für sich noch mit hunderten von Milliarden Entschädigung rechnen. Die Folgen eines solchen Schrittes wären gar nicht abzusehen. Bestenfalls würde die Entente annehmen, daß wir uns über sie lustig machen.
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In diesem Schreiben hatte Schröder über die Tendenzen der von Warburg und Melchior vorbereiteten Denkschrift berichtet: Danach werde das frühere deutsche Angebot einer Entschädigung in Höhe von 100 Mrd. GM nicht aufrecht erhalten, da „gewisse Voraussetzungen“ durch den Friedensvertrag hinfällig geworden seien, „z. B. das unbedingte Verbleiben Oberschlesiens beim Reich, das Verbleiben eines großen Teils der Handelsflotte beim Reich, der Verzicht auf weitere Liquidationen deutschen Eigentums, Gleichstellung mit allen alliierten und assoziierten Mächten in handelspolitischer Beziehung und dergleichen mehr“. In Anlehnung an Keynes wurden diese nunmehr hinfälligen Voraussetzungen mit 60 Mrd. GM bewertet. „Aber auch die dann verbleibenden 40 oder weniger Mrd. GM. glaubt Warburg nicht zur Grundlage eines Angebots an die Entente empfehlen zu können. Er ist vielmehr der Ansicht, daß ein festes Angebot nach der gesamten politischen und wirtschaftlichen Lage Deutschlands zur Zeit überhaupt nicht abgegeben werden könne, daß aber, wenn ein solches Angebot gemacht werden solle, dieses Angebot unbedingt an gewisse Voraussetzungen, die von Seiten der Entente erfüllt werden müßten, zu knüpfen sei, z. B. Verminderung der Naturalablieferungen, Gewährung von Rohstoff und Lebensmittelkrediten und dergleichen mehr. Die Denkschrift wird also voraussichtlich zu dem Ergebnis kommen, daß ein festes Angebot zur Zeit nicht bzw. nur unter bestimmt formulierten Voraussetzungen gemacht werden kann. Jedoch wird die Frage erwogen, ob nicht die deutsche Regierung von sich aus in der Note, mit der sie die Denkschrift der Entente überreichen wird, ein bestimmtes Angebot machen soll. Die Höhe dieses Angebotes und die Voraussetzungen müssen noch der weiteren Beratung vorbehalten bleiben. Herr Albert hält es politisch für möglich, mit einem Angebot von etwa 10–12 Mrd. M zu kommen, abgesehen von den bisherigen Ablieferungen, die anzurechnen sind. Auch der RK scheint es bloß aus innerpolitischen Gründen für notwendig zu halten, innerhalb der Frist ein beschränktes Angebot nach unserer Leistungsfähigkeit zu machen.“ Die Denkschrift und die Begleitnote der RReg. sollten bis zum 10. 5. vorgelegt werden können. Nach Fertigstellung der Denkschrift solle sie mit Sachverständigen (s. Anm. 3 zu Dok. Nr. 19) in Berlin beraten werden (Entwurf des Schreibens von Schroeder an Bergmann in R 2/2724, Bl. 2 f.).
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In R 43 und R 2 nicht ermittelt.
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Zum Termin „10.5.20“ s. Anm. 1 zu Dok. Nr. 19.
Es bleibt wirklich nichts übrig, als abzuwarten und die Zeit wirken zu lassen. Was die berühmte Frist von 4 Monaten anlangt, so soll man doch nicht vergessen, daß unser Angebot, Vorschläge für den Wiederaufbau usw. zu machen, von der ausdrücklichen Voraussetzung ausging, daß die wirtschaftlichen Bestimmungen der uns vorgelegten Friedensbedingungen umgestaltet werden müßten. Diese Voraussetzung hat die Entente abgelehnt, sie hat aber unser Angebot aufgegriffen und sich bereit erklärt, innerhalb von 4 Monaten unsere Vorschläge entgegenzunehmen. Daran sind wir doch keinesfalls gebunden. Wenn wir erkennen, und wir müssen es erkennen, daß wir bis jetzt Vorschläge nur ins Blaue hinein machen können, so müssen eben solche Vorschläge unterbleiben. Wir werden von der Bereitwilligkeit der Alliierten, unsere Vorschläge entgegenzunehmen, eben nur Gebrauch machen, wenn wir in der Lage sind, vernünftige Vorschläge zu unterbreiten. Das sind wir nicht. Die Beteiligung Deutschlands bei den Wiederaufbauarbeiten ist teils durch die Stellungnahme der Franzosen, teils durch die Entwicklung der Verhältnisse augenblicklich so gut wie unmöglich5. In dieser Beziehung erwarten nach meiner Ansicht die Franzosen von uns auch gar keine Vorschläge. Was die Festsetzung der Kriegsentschädigung anlangt, so haben wir jetzt keinerlei Aussicht, mit irgendeinem der Leistungsfähigkeit Deutschlands entsprechendem Vorschlage durchzudringen. Also müssen wir auch da auf Vorschläge verzichten.
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S. hierzu auch C. Bergmann, Der Weg der Reparation, S. 33 f.
Es wird allerdings zweckmäßig sein, formell die Frist des 10. Mai zu wahren. In einer Note oder Denkschrift, die bis zum 10. Mai zu überreichen ist, wird eben die Sachlage auseinandergesetzt werden müssen, sowohl was die Frage des Wiederaufbaus wie was die Frage der Kriegsentschädigung betrifft. In letzterer Hinsicht muß erklärt werden, daß wir zu bestimmten Vorschlägen aus den und den Gründen bisher nicht haben gelangen können. Ich halte es auch nicht für richtig, um eine Verlängerung dieser Frist zu bitten, denn dann wird aus unserem Recht, Vorschläge zu machen, eine Verpflichtung, und ich möchte nicht raten, uns darauf festzulegen, daß wir solche Vorschläge zu einer Zeit machen müssen, die uns vielleicht ganz und gar nicht paßt.
Ich habe Ihnen diese meine Eindrücke in aller Eile mitgeteilt, damit keine Zeit versäumt wird. Es läßt sich natürlich noch sehr viel darüber reden. Der[128] Minister Mayer6, mit dem ich heute die Frage flüchtig besprochen habe, scheint ganz mit mir übereinzustimmen und wird bei seiner Anwesenheit in Berlin Ende nächster Woche diesen Standpunkt im Kabinett vertreten. Ich selbst bin bereit, zur Besprechung der Sache mit Ihnen, Herrn von Simson und evtl. anderen Herren, sobald Sie es wünschen, nach Berlin zu kommen. Ich möchte mir nur den Vorschlag erlauben, die Besprechung in Köln oder vielleicht in Bonn stattfinden zu lassen, wo ich weniger Zeit verliere und wo wir alle mehr Ruhe haben, als dies in Berlin möglich sein wird. Herr Göppert würde gern an der Besprechung teilnehmen. Teilen Sie mir bitte über Zeit und Art der Besprechung das Nötige telegraphisch mit7.
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Wilhelm Mayer hatte der RReg. vom Juni 1919 bis zum Januar 1920 als RSchM angehört. Vom Januar 1920 an war er in Paris außerordentlicher Gesandter und Geschäftsträger; im August des gleichen Jahres wurde er zum Botschafter ernannt.
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In seinem Begleitschreiben an UStS Albert teilte UStS Schroeder mit: „Ich möchte es für dringend notwendig halten, daß Herr Bergmann in der nächsten Woche hierher kommt. Von einer Besprechung in Köln oder Bonn kann ich mir nicht den gleichen Erfolg versprechen, da doch nicht alle Berliner Herren dorthin fahren können, durch die eine Unterredung mit Herrn Bergmann von Wert ist. Ich werde Herrn Bergmann entsprechend benachrichtigen“ (20. 4.; R 43 I/14, Bl. 36).
Mit den besten Grüßen
Ihr
gez. Bergmann