Text
Nr. 63
Das Hessische Staatsministerium an den Reichskanzler. Darmstadt, 24. April 1920
[Betrifft: Sitz des Hessischen Staatsministeriums während der französischen Intervention im Maingau.]
Der Gang der Verhandlungen in San Remo1 läßt es nicht ausgeschlossen erscheinen, daß Darmstadt auf längere Zeit besetzt bleibt2. Das würde vermutlich zur Folge haben, daß daselbst ein Zustand eintritt, wie er zur Zeit im besetzten Rheinland schon besteht. Es würde also bei der Hessischen Regierung ein Delegierter der Rheinlandkommission bestellt werden. Die Hessische Regierung müßte diesen Zustand als mit ihrer Stellung unvereinbar ansehen3. Zugleich wäre er wegen des damit verbundenen Einblicks in ihre Tätigkeit aber auch für die Reichsregierung im höchsten Grade bedenklich. Die Hessische Regierung erwägt daher, bei einem solchen Ergebnis der Verhandlungen ihren Sitz in das unbesetzte Gebiet, etwa nach Gießen zu verlegen, und zwar derart, daß im wesentlichen der unterzeichnete Staatspräsident und die Leiter der Ministerien und selbständigen Landesämter sich dahin begäben, während die Behörden im übrigen naturgemäß in Darmstadt verblieben. Ebenso würde der Landtag außerhalb des besetzten Gebiets zusammentreten. Wegen der grundsätzlichen[154] Tragweite möchte die Hessische Regierung diesen Schritt nicht ohne das enge Einvernehmen mit der Reichsregierung tun.
Den Herrn Reichskanzler beehrt sich daher das unterzeichnete Ministerium um die baldgefällige Vermittelung der Ansicht der Reichsregierung ergebenst zu ersuchen4.
Hessisches Staatsministerium.
Ulrich