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[66] Nr. 26
Der kommissarische Oberpräsident der Provinz Sachsen Hörsing an den Reichswehrminister. Magdeburg, 8. April 1920
R 43 I/2729, Bl. 102 Abschrift1
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Hörsing sandte dem RK die Abschrift mit der Bitte, sein Gesuch zu unterstützen.
[Betrifft: Kündigungsschutz und Lohnsicherung für Angehörige der Zeitfreiwilligenverbände.]
Der Oberbefehlshaber, Generalmajor von Seeckt, hat unter dem 22. März d. Js. auf Grund der Verordnung des Herrn Reichspräsidenten vom 13. Januar 1920 Folgendes verfügt2:
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Ein Umdruck der Verfügung befindet sich in R 43 I/2729, Bl. 70.
„Den Arbeitnehmern, die sich zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Sicherheit und Ordnung in den Dienst der Einwohnerwehr, der Zeitfreiwilligen oder der technischen Nothilfe gestellt haben, kann von den Arbeitgebern aus diesem Anlaß nicht gekündigt werden. Die Arbeitnehmer gelten für die Zeit ihres Dienstes in der Einwohnerwehr, in Zeitfreiwilligenformationen oder in technischer Nothilfe als von ihrer jetzigen Dienststelle beurlaubt. Lohnkürzungen dürfen nicht eintreten. Ihr Wiedereintritt in die frühere Berufsstelle bleibt ihnen rechtlich gesichert. Der Nachweis des geleisteten Dienstes ist von der leitenden Stelle der Einwohnerwehr, der Zeitfreiwilligenformation (mil. Kommandostelle) oder technische Nothilfe täglich zu bescheinigen. Unbeschadet dieser Regelung sind begründete Reklamationen der Arbeitgeber weitgehend zu berücksichtigen. Zuwiderhandlungen werden gemäß § 4 der Verordnung des Reichspräsidenten vom 13.1.20 bestraft.
Der Oberbefehlshaber
von Seeckt,
Generalmajor.“
Gegen die zu allgemeine Fassung dieser Verordnung stehen schwerwiegende Bedenken. Ein Teil der Zeitfreiwilligenverbände, Einwohnerwehren und technischen Nothilfe der Provinz Sachsen hat sich schon in den ersten Tagen des Putsches der neuen Regierung zur Verfügung gestellt3. Sie haben zwar[67] auch die öffentliche Ruhe, Sicherheit und Ordnung aufrecht erhalten, aber mit der ausgesprochenen und vielfach öffentlich zum Ausdruck gebrachten Absicht, die neue Regierung zu stützen. So ist es vorgekommen, daß die Führer dieser Verbände über regierungstreue Landräte die Zensur verhängt, einen Beigeordneten zur Überwachung zur Seite gestellt und in sonstiger Weise in die Befugnisse der verfassungsmäßigen Organe eingegriffen haben. Es würde die öffentliche Meinung geradezu vor den Kopf stoßen, wenn in Anwendung der vorstehend wiedergegebenen Verordnung des Oberbefehlshabers nunmehr auch diese Leute gegen Lohnausfälle behördlich geschützt werden sollten.
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Schon am 1.4.20 hatte der OPräs. das PrStMin. um Weitergabe der Nachricht an die Rkei gebeten, daß die Zeitfreiwilligenverbände in der Provinz Sachsen den Aufruhr mit ausgelöst hätten. Deshalb habe er am 21. 3. ihre Auflösung verfügt. Die daraufhin eingetretene Beruhigung der Bevölkerung solle nicht durch gegenteilige Befehle gestört werden (R 43 I/2729, gefunden in R 43 I/683, Bl. 44). Im gleichen Sinne sandte Hörsing an den RK am folgenden Tag ein Telegramm: „Habe Zeitfreiwillige für Sachsen und Anhalt, da sie Kappleute unterstützt und Sicherheitspolizei in Magdeburg entwaffnen wollten, aufgelöst. Bitte dringend, nicht die Wiedereinführung der Zeitfreiwilligen verfügen zu wollen, da sonst ernste Unruhen drohen“ (R 43 I/2729, gefunden in R 43 I/683, Bl. 45). Das RWeM nahm von den Entlassungen der Zeitfreiwilligen Kenntnis und war einverstanden, „da dieses Vorgehen eine beruhigende Wirkung ausgeübt hat, die Zeitfreiw. ohnedies aufgelöst werden sollen und da endlich angenommen wird, daß die Auflösung von Herrn Hörsing in seiner Eigenschaft als RKom. angeordnet worden ist.“ Allerdings wurde einschränkend bemerkt: „Grundsätzlich muß das RWeMin. […] den Standpunkt vertreten, daß eine Beseitigung von Reichseinrichtungen, also auch der Rw. Zeitfreiw. durch Zivilbehörden der Länder ohne vorheriges Einvernehmen mit der RReg. nicht zulässig ist“ (April 1920; R 43 I/405, Bl. 16).
Es erscheint mir dringend geboten, die Verordnung dahin zu erläutern, daß Mitglieder der Zeitfreiwilligen, der technischen Nothilfe und der Einwohnerwehren, die sich offen auf Seite der Kappregierung gestellt haben, von den Wohltaten der Verordnung ausgenommen bleiben. Ich habe angeordnet, daß die Veröffentlichung der Verordnung in der Provinz Sachsen bis zur Entscheidung dieser Frage einstweilen auszusetzen ist4.
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Durch ein Votum des RJMin. vom 7. 4., das der Rkei erst am 11. 6. von dem RWeMin. zugeleitet worden ist, wurde die Verfügung des RWeM als rechtens erklärt. Dabei stützte sich das Votum auf § 4 der VO vom 13.1.20, wonach Zuwiderhandlungen gegen Anordnungen des Militärbefehlshabers, die im Interesse der öffentlichen Sicherheit ergangen seien, mit Strafe bedroht wurden. Nach der Rechtssprechung des RG erhalte der Militärbefehlshaber hiermit die Ermächtigung, „auch über den Rahmen der vollziehenden Gewalt hinaus Verbote im Interesse der öffentlichen Sicherheit zu erlassen, Verbote, die nach der Ansicht des RG auch praeter, ja contra legem ergehen konnten.“ Eine Beanstandung gegen die Verfügung wäre nur bei einem Verstoß gegen nichtsuspendierte Verfassungsartikel möglich gewesen. Das sei jedoch nicht der Fall. (R 43 I/2729, Bl. 150-152, hier: Bl. 150).