1.10.1 (bru3p): 1. Wirtschaftsprogramm.

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1. Wirtschaftsprogramm.

Der Reichskanzler schlug vor, daß in der ersten Sitzung des Wirtschaftsbeirats nach der Rede des Reichspräsidenten von ihm die Wirtschaftslage dargestellt werde, und daß dann in Erwägung seiner Ausführungen der Reichswirtschaftsminister und der Reichsbankpräsident das Wort ergriffen. Eine allgemeine Diskussion werde sich anschließen, die nicht zu lange dauern möchte1. Es müsse versucht werden, über einige leitende Gesichtspunkte eine Einigung zustande zu bringen, Ergebnisse sollten möglichst bald sichtbar sein, Kommissionen könnten am zweiten Tage eingesetzt werden2. Es werde notwendig sein, die Mitglieder zu restlosem Stillschweigen zu verpflichten, dann werde es auch möglich sein, die Lage der Reichsbank klarzulegen.

1

Vgl. die erste Sitzung des Wirtschaftsbeirats Dok. Nr. 526.

2

Vgl. Dok. Nr. 531.

Die Aufgabe des Beirats sei einfach, die Durchführung schwierig. Die Regierung habe bereits im Juni erklärt, sei sei mit den Opfern, die der Allgemeinheit auferlegt würden, bis an die Grenze des Möglichen gegangen3. Die Schrumpfung sei inzwischen so weit vorgeschritten, daß auch bei der Landwirtschaft und dem städtischen Grundbesitz weitere schwere Rückwirkungen festzustellen seien. Es sei notwendig, die Produktionskosten weiter herabzusetzen, aber nicht allein durch Lohnsenkungen. Die Tarife müßten elastisch gemacht werden, eine weitere Schrumpfung der Kaufkraft sei bedenklich. Von der Lösung des Wirtschaftsproblems hänge auch die Herabsetzung der Staatsausgaben und der Löhne ab. Alle übrigen Fragen, insbesondere die der öffentlichen Finanzgebarung, müßten aus den Beratungen ausgeschaltet werden. Es müsse genügen, die Etatslage anzudeuten und auf das Hauszinssteuerproblem, die Mietsenkung und die Arbeitsbeschaffung hinzuweisen. Die Frage der ersten Hypotheken müsse geklärt werden. In der Zinsfrage sei eine bestimmte Linie anzugeben. Die Unterausschüsse würden sich mit den Preisen und Löhnen, mit Zins- und Bankpolitik und wohl auch mit der Auftragserteilung der öffentlichen Hand befassen müssen.

3

Siehe den Aufruf der RReg. vom 5.6.31, Schultheß 1931, S. 120–121.

Staatssekretär Dr. Meissner führte aus, der Reichspräsident werde das Kabinett und den Beirat im großen Saal empfangen; dort werde er seine Ansprache halten. Dann werde die Beratung im Sitzungssaal stattfinden. Die nächste Sitzung könne dann im Ländersitzungssaal der Reichskanzlei stattfinden. Bei wichtigen Verhandlungen[1852] werde der Reichspräsident dorthin kommen. Die Berichte über die Beratungen dürften ausschließlich durch die Presseabteilung gegeben werden. Auch müßte erreicht werden, daß Berichte an die Organisationen unterblieben.

Der Reichswirtschaftsminister hielt das Zinsproblem für den Hauptgegenstand der Beratungen, daneben Fragen der Reichsbank und des Funktionierens der Bankenorganisationen. Die Notenausgabe der Reichsbank sei im Verhältnis zu den Deckungsmitteln sehr erheblich. Banken und Sparkassen schrumpften zusammen. Die Kreditoren würden abgezogen, die Debitoren seien nicht hineinzuholen. Schließlich würde das zu einer allgemeinen Illiquidität führen. Es sei notwendig, die Notenbanken und den Bankenapparat wieder stärker funktionsfähig zu machen. Dieses Wirtschaftsproblem könne in den Ausschüssen zweckmäßig erst später beraten werden; vorläufig sei es noch nicht genügend vorbereitet.

Der Reichsbankpräsident schloß sich dieser Auffassung an. Ein natürlicher Einfluß auf die Zinshöhe könne nur vom Geldzins aus oder durch gesteigerte Kapitalbildung genommen werden. Letztere sei nur schrittweise möglich und wäre nicht ausreichend zu beschleunigen. Der Geldzins und der Diskont der Reichsbank seien durch das Ausland gebunden. Rückschläge seien möglich. Die Sparkassen suchten liquide Mittel anzusammeln. So habe eine süddeutsche Sparkasse 15 Millionen auf dem Girokonto der Reichsbank stehen und trotzdem über die Akzept- und Garantiebank weitere Mittel angefordert.

Mit den Höchstzinssätzen habe Ungarn ungünstige Erfahrungen gemacht. Für alte Verträge hätten Zinsen bis zu 8%, für neue bis zu 12% zugelassen werden müssen. Die Zinsen hätten stets die Tendenz, sich in der umgekehrten Richtung der Preise zu bewegen.

Der Geldumlauf sei im Verhältnis zum Wirtschaftsprozeß keineswegs zu gering. Er sei um einige hundert Millionen höher als im vorigen Jahr zur gleichen Zeit. Wenn die gesamten Mittel tatsächlich umlaufen würden, dann wäre es möglich, den Diskont zu erhöhen. Da dies aber nicht zutreffe, müsse die Reichsbank an liberaler Kreditgewährung festhalten. Eine Hortung von Banknoten in Höhe von einer Milliarde würde immer noch den Zahlungsumlauf ausreichend erscheinen lassen. Es fehle nicht an Zahlungsmitteln, auch nicht an Kredit. Die Reichsbank nehme alle bankfähigen Wechsel hinein. Dagegen fehle es an Aufträgen.

Durch eine Senkung des Bankenzinses könne die Wirtschaft nicht angekurbelt werden. Die Vereinigten Staaten seien bis auf 1½% heruntergegangen, ohne daß diese Wirkung eingetreten wäre. Gleichwohl würde dadurch auf die Unkosten der Betriebe eine günstige Wirkung ausgeübt.

Keine Devisenordnung werde restlos funktionieren. Im Stillhalteabkommen sei der schwierige Punkt die Bestimmung, daß jeder Akzeptkredit zurückgezahlt werden müsse unter Aufrechterhaltung der Kreditlinie4. Es handle sich dabei um sehr hohe Summen. Das sei der Grund dafür, daß der Devisenvorrat immer wieder rasch aufgebraucht sei. Der Diskontsatz müsse so gehalten werden, daß er höher liege als der des Auslandes. Würde das Stillhalteabkommen abgeändert und die Zurückzahlung von Akzepten abgelehnt, dann handle es sich um ein Moratorium.

4

Vgl. auch die Ausführungen des RbkPräs. in Dok. Nr. 454, P. 4, sowie Anm. 14.

[1853] Auf die Banken sei ein Druck ausgeübt worden, daß mit der Rückzahlung von außenstehenden Forderungen vorsichtig verfahren werden solle, um nicht lebensfähige Betriebe zum Erliegen zu bringen. Trotzdem sei es ein natürliches Vorgehen, daß die Banken ihre weitgehenden Kredite kündigten. Im übrigen träfen nicht alle Klagen zu. Bei näherer Prüfung ergebe sich häufig die Berechtigung dieser Maßnahmen.

Der Reichsminister der Finanzen trat für die Bildung eines Ausschusses für Arbeitsbeschaffung ein. In erster Linie müsse die Wirtschaft belebt werden, die Finanzverwaltung sei von sekundärer Bedeutung. Wenn weiterer Lohn- und Gehaltsabbau komme, so würden in den Finanzen weitere Schwierigkeiten entstehen.

Jedes Volk könne so viel verzehren oder investieren, wie es produziere. Verbrauche es mehr als es produziere, dann müsse es Kapital hinzuleihen oder von seinem Vermögen zehren. Letzteres sei nicht mehr möglich. Es sei erforderlich, den Ausschuß über die Ursachen des Schwundes auf dem Binnenmarkt zu hören. Es frage sich, ob diese die gleichen seien wie die für den Rückgang des Außenhandels, oder ob weitere hinzukämen wie etwa die Maßnahmen des Auslandes selbst.

Der Wirtschaftsschwund müsse behoben werden, auch auf dem Weltmarkte. Deswegen müßten die Produktionskosten sinken. Der Ausschuß werde hierüber und über die Folgen des Kapitalmangels zu hören sein. Auch die Zinsen müßten herabgedrückt werden. Wenn die Devisenordnung funktioniere, müsse die Reichsbank hierzu in der Lage sein. Könne die Geldwirtschaft nicht erleichtert werden, so würden durch die Drosselung der Wirtschaft die Schwierigkeiten noch erhöht. Der Geldumlauf sei nur scheinbar vorhanden. Tatsächlich sei er erheblich kleiner als rechnungsmäßig. Wesentliche Beträge befänden sich in den Händen der Besitzer. Dieses Geld müsse ersetzt werden, da es seine wirtschaftlichen Funktionen nicht erfülle. Wenn die Banknoten wieder zum Vorschein kämen, so würden auch die Einzahlungen in den Sparkassen zunehmen, die Wechsel könnten bezahlt werden, der Notenumlauf würde sich steigern.

Es werde nicht möglich sein, alle großen Kredite der Banken, die eingefroren seien, in einem Institut zu vereinigen. Aber ein Teil könne in dieser Weise behandelt werden.

Die Arbeitsbeschaffung sei bisher unzureichend gewesen, die Reichsbahn habe versagt.

Zur Frage, ob eine Kommission für die Arbeitsbeschaffung bestimmt werden solle, erklärte der Reichsarbeitsminister daß es schwierig sein werde, auf die Kommissionen die sechs Arbeitervertreter zu verteilen. Es dürfte sich empfehlen, weitere Sachverständige zuzuziehen und nach einer Diskussion von etwa zwei Tagen endgültig Beschluß zu fassen.

Auch der Reichskanzler hielt es für geboten, daß zunächst die verschiedenen Berufsgruppen zu Worte kommen. Die Finanzlage und das für das nächste Jahr geschätzte Defizit werde zu streifen sein. Die Ausschüsse müßten unter dem Vorsitz einzelner Minister in der kommenden Woche zusammentreten.

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