2.135 (bru1p): Nr. 135 Vermerk des Staatssekretärs Pünder über den Empfang des Reichskanzlers beim Reichspräsidenten. 8. Oktober 1930

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Nr. 135
Vermerk des Staatssekretärs Pünder über den Empfang des Reichskanzlers beim Reichspräsidenten. 8. Oktober 1930

R 43 I /678 , Bl. 31–32

Der Herr Reichskanzler hat heute dem Herrn Reichspräsidenten nach Beendigung seiner politischen Besprechungen abschließend Vortrag gehalten. Der kurze Vortrag verlief – nach den Mitteilungen des Herrn Reichskanzlers unmittelbar nach demselben – etwa folgendermaßen:

a)

Besonders eingehend habe er mit den Nationalsozialisten gesprochen1. Eine Einflußnahme auf die Auswahl der Unterhändler habe er nicht gehabt und auch nicht ausgeübt. Bereitwilligkeit zu aktiver Mitarbeit, aber nicht bereit, im Interesse herkömmlicher Koalitionspolitik auf grundsätzliche Forderungen der Nationalsozialistischen Partei zu verzichten, insbesondere Forderung auf sofortige Reparationsrevision unter Erklärung des[511] Moratoriums. Darauf eingehende Aussprache über die deutsche Wirtschaftslage: Devisenlage, Aktien, kurzfristige Kredite bereits in Höhe von beinahe 1 Milliarde durch das Ausland gekündigt; da die kurzfristige Verschuldung mehrere Milliarden betrage, könnten weitere Kündigungen die Folge sein, was einen völligen Zusammenbruch des größten Teils der deutschen Wirtschaft zur Folge haben werde. Daher nach seiner – des Reichskanzlers – Ansicht, Reparationsverhandlungen nur nach Durchführung des Reformprogramms. Nationalsozialisten grundsätzlich auf anderem Standpunkt, und zwar in völliger Erkenntnis der katastrophalen Folge ihres Vorschlages. Daher Zusammenarbeiten vorerst nicht möglich.

Allgemeine Bereitschaftserklärung zur Mitarbeit, aber nicht grundsätzlich und für die Dauer abgelehnt, da man eine solche Mitarbeit keiner Partei, falls Ansichten gemäßigter werden sollten, und legaler Weg zugestanden, ablehnen werden könne. Alles in allem scharfe Oppositionsstellung, wahrscheinlich einschließlich Mißtrauensvotum. Geschieden in Hochachtung.

b)

Besprechung mit den beiden Deutschnationalen Unterhändlern Oberfohren und von Winterfeldt in der Form sehr verbindlich. Klar erkennbar, daß keinerlei engere Beziehungen zu den Nationalsozialisten. Anerkenntnis, daß ein sehr großer Teil des Reformprogramms der Reichsregierung alten Wünschen der Deutschnationalen entspräche.

Offensichtlich gewisses Verständnis für Ablehnung sofortiger Revisionsverhandlungen. Haltung Fraktion im Reichstag demnach noch nicht klar erkennbar. Um so schärfer aber Tonart der Hugenberg-Presse, die an Unverschämtheit von Tag zu Tag zunehme – vergl. „Schlesische Zeitung“. –

c)

Große Schwierigkeiten mit der Landvolk-Partei bevorstehend, wütende Hetze gegen Reichsminister Schiele mit der offensichtlichen Tendenz seiner eigenen alten Freunde, ihn im Kabinett und im Landbund zu stürzen.

Reichskanzler betonte Notwendigkeit Verbleibens Schieles im Reichskabinett2. Reichspräsident bestätigte dies mit Ausdrücken unveränderten Vertrauens unter Hervorheben, daß das Verhalten des Landvolks ein schnöder Undank gegen diesen verdienten Mann sei.

d)

Plan einer Arbeitsgemeinschaft zwischen den bisherigen Regierungsparteien wurde vom Reichspräsidenten sehr begrüßt. Endgültige Verhandlungen stehen für die nächsten Tage bevor.

e)

Eingehende und verhältnismäßig günstige Besprechungen mit Vertretern der Sozialdemokratie. Hinweis auf Fraktionsbeschluß3 und Rede Hilferdings auf dem Bezirkstag4.

1

Die Besprechung mit Hitler, Frick und Strasser fand am 6.10.30 in der Wohnung von Treviranus statt: vgl. Brüning, Memoiren, S. 191–196; Treviranus, Das Ende von Weimar, S. 162.

2

Schiele trat am 11.10.30 als Präs. des RLB wegen der inneren Auseinandersetzungen über die Haltung des Verbandes gegenüber der RReg. zurück (Schultheß 1930, S. 201). Sein Nachfolger wurde Graf Kalckreuth.

3

Der SPD-Fraktionsbeschluß vom 3.10.30 ist in Ursachen und Folgen, Bd. VIII, S. 98 abgedruckt.

4

Es handelt sich um Hilferdings Rede auf der Berliner SPD-Bezirkskonferenz am 5.10.30 (Brüning, Memoiren, S. 191).

[512] Bitten um irgendeine Koalition; aber Hereinnahme weiterer Minister von keiner Seite beabsichtigt oder erbeten. Trotzdem nicht unwahrscheinlich, daß Regierung erste Schwierigkeiten im Reichstag – Anträge auf Mißtrauen und Aufhebung der Notverordnung – überstehen wird, und zwar mit klarer Erkenntnis, daß bei negativem Ausgang illegale Zustände durchaus möglich.

Irgendwelche Entscheidungen des Herrn Reichspräsidenten zu diesem Vortrag des Herrn Reichskanzlers wurden weder getroffen noch erbeten. Im ganzen versicherte aber der Herr Reichspräsident dem Herrn Reichskanzler erneut, daß er mit dem Vorgehen der Reichsregierung in sachlicher und politischer Hinsicht nach wie vor völlig einverstanden sei.

Pünder

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