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Nr. 188
Die Abgeordneten v. Hammerstein-Loxten und Meyer (Hannover) an den Reichskanzler. 6. Dezember 1930
[Haltung der Deutsch-Hannoverschen Partei zur Notverordnung vom 1. Dezember 1930]
Hochzuverehrender Herr Reichskanzler!
Euere Hochwohlgeboren haben in Ihrer gestrigen Reichstagsrede die schwere Verantwortung betont, die im Augenblick auf allen Reichstagsmitgliedern ruht1. Auch wir fühlen diese Verantwortung bitterschwer in Ansehung unserer Stimmgabe zu der Notverordnung wie zu den Mißtrauensanträgen.
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Der RK hatte im Schlußwort seiner RT-Rede vom 5.12.30 die Parteien auf die „furchtbare Verantwortung gegenüber Staat und Volk“ hingewiesen und sie zum Widerstand gegen agitatorischen Druck aufgefordert (RT-Bd. 444, S. 311).
Die Notverordnung enthält zahlreiche Vorschriften, die für verschiedene, vornehmlich gewerbliche, Volksschichten und Berufe drückendste, beinahe erdrückende Belastungen nach sich ziehen. Trotzdem ist leider keine Sicherheit dafür gegeben, daß die geforderten Opfer eine Sanierung der Reichsfinanzen und der Wirtschaft mit sich bringen werden. Andererseits verkennen wir nicht, daß die Verordnung eine bessere Regelung der Erwerbslosenfürsorge anbahnt, steuerliche Erleichterungen, namentlich für die kleineren und mittleren Bauernwirtschaften bringt und auch gewisse, immerhin noch lange nicht hinreichende Schutzmaßnahmen für die Landwirtschaft.
Hier fehlt besonders die Fürsorge für den bäuerlichen Veredelungsbetrieb.
Bei der Abwägung der Vor- und Nachteile des Inhalts der Verordnung darf aber nicht übersehen werden, daß Euerer Hochwohlgeboren Regierung auf dem Gebiete der sozialen Gesetzgebung bestehende heilsame Vorschriften marxistischen Wünschen geopfert hat. Als ganz besonders bedenklich muß[687] hier die Wiederaufnahme der 16–17jährigen in die Erwerbslosenfürsorge erscheinen2. Wer Führer sein und das Volk zur Gefolgschaft erziehen will, hatte hier Gelegenheit, die Jugend wieder mehr in die natürliche Abhängigkeit von den Eltern zu bringen.
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S. die NotVO vom 1.12.30, 1. Teil Kap. 2 § 1 Abs. 1, RGBl. I, S. 520.
Wir mögen nicht glauben, daß der politische Weg wieder verlassen werden soll, den Euerer Hochwohlgeboren Regierung bei Beginn ihrer Arbeit zu gehen in Aussicht stellte. Damals haben Euere Hochwohlgeboren dem Sinne nach unter anderem geäußert: „Vielerorts sei noch nicht erkannt, daß mit dem Antritt der Regierung Brüning ein neuer Zeitabschnitt heraufziehe“. Den ersehnen wir heute noch heiß.
Wenn wir uns diese Ausführungen gestatten, so liegt es uns völlig fern, die Bedeutung unserer Gruppe im Reichstag zu überschätzen. Unsere Stimmen mögen in vorliegendem Fall nicht von entscheidender Bedeutung sein. Gewesen sind sie das aber im laufenden Jahre schon einmal bei der wichtigen Abstimmung über die Biersteuererhöhung und über die durch das Junktim mit der Biersteuer verbundenen Sanierungsgesetze3. Sie fanden nur mit 4 Stimmen Mehrheit Annahme, und unsere Gruppe zählte derzeit 4 Mitglieder.
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Das Biersteueränderungsges. war nach dem vorläufigen Ergebnis am 14.4.30 mit 228 gegen 224 Stimmen angenommen worden (RT-Bd. 427, S. 4997). Nach dem endgültigen Ergebnis hatten 228 Abg. für das Gesetz und 223 Abg. gegen das Gesetz gestimmt (a.a.O., S. 5011).
Nicht diese Tatsache aber veranlaßt unser Schreiben, sondern unsere Zugehörigkeit als Gäste zu einer Fraktionsgemeinschaft, in der ein aktiver, von unserem Vertrauen getragener Staatsminister sitzt4, und unser Wunsch, Euerer Hochwohlgeboren gegenüber unbedingt aufrichtig zu sein. Er gebietet uns, Euerer Hochwohlgeboren schon jetzt davon in Kenntnis zu setzen, daß
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Der ChrSVD, die KVP und die Dt.-Hann. Partei bildeten eine Fraktionsgemeinschaft. Der hier angeführte Staatsminister war Treviranus.
1. | nach Abwägung aller Vor- und Nachteile der Bestimmungen der Notverordnung, in Würdigung der schweren Notlage unseres Vaterlandes, die sofortiges Handeln erheischt, – z. T. mit innerem Widerstreben – die Anträge auf Aufhebung der Notverordnung ablehnen, |
2. | aber den Mißtrauensanträgen, mit Ausnahme des kommunistischen, zustimmen werden5. |
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Die dt.-hann. Abg. v. Hammerstein-Loxten, Meyer (Hannover) und Nolte lehnten in der Abstimmung vom 6. 12. die Mißtrauensanträge ab und stimmten den Aufhebungsanträgen zu (RT-Bd. 444, S. 432, 445).
Diese Einstellung gründet sich darauf, daß wir der politischen Tätigkeit der Herren Reichsminister Curtius und Wirth das größte Mißtrauen entgegenbringen. Ihren unheilvollen Einfluß in der Reichsregierung müssen wir aber im Augenblick als noch dadurch gestärkt ansehen, daß zwei andere Reichsministerien zurzeit unbesetzt sind6.
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Das RWiMin. und das RJMin. waren unbesetzt.
Wir benutzen diese Gelegenheit gern, Euerer Hochwohlgeboren selbst die Versicherung unseres Vertrauens zu geben. Dieses Vertrauen wurzelt mit in der zuversichtlichen Hoffnung, daß Euere Hochwohlgeboren den Kampf[688] gegen die Schuldlüge und die Tributversklavung rücksichtslos führen, eine eindeutige Einstellung gegen den Marxismus einnehmen, durch alsbaldige Vorlegung eines Reichsschulgesetzes eine christlich-deutsche Erziehung unserer Jugend sichern und durch schleunige Durchführung der jetzt allgemein geforderten Reichsreform die Grundlage für einen Wiederaufstieg Deutschlands auf dem Boden des Rechts und des Friedens schaffen werden.
In verehrungsvoller Hochachtung zeichnen wir als Euerer Hochwohlgeboren
aufrichtig ergebene
Frhr. v. Hammerstein-Loxten
Meyer (Hannover)