2.204 (bru1p): Nr. 204 Vermerk des Ministerialrats Feßler über eine Unterredung des Reichskanzlers mit Vertretern der „Grünen Front“ am 17. Dezember 1930

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[748] Nr. 204
Vermerk des Ministerialrats Feßler über eine Unterredung des Reichskanzlers mit Vertretern der „Grünen Front“ am 17. Dezember 1930

R 43 I /2545 , Bl. 192–193

Am 17. Dezember trugen die Herren Präsident Brandes, Reichsminister a. D. Fehr, Reichsminister a. D. Hermes und Graf Kalckreuth dem Herrn Reichskanzler in Gegenwart des Reichsministers für Ernährung und Landwirtschaft und des Ministerialrats Dr. Feßler (Protokollführer) folgendes vor:

Die Erregung in der Landwirtschaft steigere sich fortgesetzt. Es sei deswegen nötig, im Wege der Notverordnung mit tunlichster Beschleunigung die Maßnahmen durchzuführen, die der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft zum Schutze der bäuerlichen Veredelungswirtschaft vorbereitet habe. Sie klagten über den langsamen Fortgang der Osthilfe und wiesen auf die Fortschritte der Selbsthilfebestrebungen der Landwirtschaft hin. Diese würden dadurch gehemmt, daß die getroffenen Einrichtungen durch das Absinken der Preise unrentabel würden. Der bäuerlichen Landwirtschaft insbesondere müsse mehr als bisher die Möglichkeit gegeben werden, Kapital zu bilden, damit sie die Selbsthilfeeinrichtungen tragen könne. Die Befürchtungen der Industrie, daß die Abschließung von fremden landwirtschaftlichen Veredelungserzeugnissen ihre Ausfuhr stören müsse, seien sachlich nicht begründet. Handelsverträge sollten nicht gekündigt werden (Hermes). Die bedenklichen Abmachungen mit Finnland seien eine Folge davon, daß sich die Industrie gegen die Androhung der Kündigung des deutsch-finnischen Handelsvertrags gewehrt habe1.

1

Vgl. Dok. Nr. 100, Anm. 2.

Der Reichskanzler führte folgendes aus: Zum Teil seien bei Durchführung der Osthilfe bereits Auszahlungen erfolgt. Die Anträge seien sehr stockend eingegangen. Es hänge zum Teil mit dem Vollstreckungsschutz zusammen, zum Teil aber auch damit, daß bewußt und systematisch darauf hingearbeitet worden sei, die Osthilfe zu sabotieren. Gerade die agrarischen Parteien hätten im Sommer die Mittel verweigert, um sie durchzuführen. Er beabsichtige, bald nach Ostpreußen zu fahren und hierüber in aller Öffentlichkeit zu sprechen. Er werde auch die Gegner dazu einladen und sich mit ihnen auseinandersetzen.

Im Wahlkampf sei mit der Behauptung gearbeitet worden, er habe französisches Kapital zur Umschuldung für die Osthilfe herangezogen, um den östlichen Besitz zu zerschlagen und die Siedlung durchzuführen.

Neuerdings wünsche die Landwirtschaft die Osthilfe auf eine andere Basis gestellt zu wissen. Der Vorschlag von Zitzewitz bedeute eine Haftung der guten für die schlechten Betriebe2. Die Prüfung des Vorschlages sei in wenigen Tagen auf das sorgfältigste durchgeführt worden. Der Reichsbankpräsident habe sich beteiligt. Einmütig bestehe die Auffassung aller in Frage kommenden[749] Stellen, daß die Durchführung des Planes dem Interesse der Landwirtschaft abträglich wäre.

2

S. Dok. Nr. 195.

Die Regierung bemühe sich mit äußerstem Nachdruck für die Landwirtschaft. Aber auch andere Teile der Bevölkerung müßten mit ihren Forderungen berücksichtigt werden. Explosionen seien auch im Westen möglich, wenn in den nächsten Wochen bei 1,2 Millionen Arbeitern die Löhne gesenkt werden müßten.

Graf Kalckreuth habe dankenswerterweise im Landbund einen gewissen Optimismus angedeutet. Es sei fraglich, ob er damit Erfolg gehabt habe.

Die Regierung werde alles tun, was möglich sei, ohne die handelsvertraglichen Beziehungen zu stören, im Rahmen der gesamtpolitischen Erwägungen.

Es sei notwendig, Form zu finden, die für Notverordnungen im Reichstag eine Mehrheit schaffe.

Der Radikalismus führe dazu, daß das ausländische Kapital sich zurückziehe. Seit den Wahlen handele es sich um etwa 1½ Milliarden; die ganze Zins- und Kreditpolitik werde dadurch erschüttert. Der Regierung entgleite die Kontrolle über den Geldmarkt. Alle Maßnahmen müßten aufeinander abgestimmt werden. Wenn nur im Wege von Notverordnungen gearbeitet werde, dann könne das Kabinett auch abgeschafft werden. Zunächst müsse die Rechte die Garantie geben, daß der Etat in würdiger Weise erledigt werde. Für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung könne nicht gesorgt werden, wenn die Verhetzung weitergehe. Es sei unmöglich für die Regierung, insbesondere den Wehretat ablehnen zu lassen. Die Landwirtschaft müsse auch in dieser Richtung auf die ihr nahestehenden Kreise Einfluß ausüben.

Er sei bereit, alle Fragen mit der Grünen Front eingehend zu besprechen, nachdem er die für Anfang Januar geplante Reise nach dem Osten ausgeführt habe, wenn möglich am 10. Januar3.

3

Die nächsten Verhandlungen des RK mit Vertretern der Grünen Front fanden am 27. und 29.1.31 statt: s. Dok. Nr. 225 und Dok. Nr. 228.

F.[eßler] 17. 12.

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