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[824] Nr. 230
Aufzeichnung des Ministerialrats Feßler über die Besprechung mit Vertretern der Landwirtschaft und Industrie wegen der Osthilfe. 30. Januar 1931
Unter der Leitung des Reichskanzlers und Beteiligung von Reichsminister Treviranus sowie des Preußischen Ministers für Volkswohlfahrt fand am 30. Januar eine Besprechung mit Präsident v. Flemming, v. Zitzewitz, Dr. Gereke, MdR, sowie Dr. Silverberg und Geheimrat Kastl statt. An ihr nahmen weiter teil: Staatssekretäre Dr. Pünder, Dr. Krüger; Ministerialdirektoren v. Hagenow, Graf Schwerin v. Krosigk, Wachsmann; Ministerialrat Dr. Feßler als Protokollführer; Dr. Lauffer.
Zunächst erläuterte Reichsminister Treviranus den neuesten Entwurf eines Osthilfegesetzes1.
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Gegenüber dem bisherigen GesEntw. (s. Dok. Nr. 222, Anm. 1) war in dem neuen Entw. vor allem das Umschuldungsverfahren neu formuliert worden. Die umzuschuldenden Betriebe im Osthilfegebiet sollten zu örtlichen Haftungsverbänden zusammengeschlossen werden. Diese Haftungsverbände sollten als Körperschaften des öffentlichen Rechts für sämtliche Ausfälle an den Umschuldungsdarlehen der in ihnen zusammengeschlossenen Umschuldungsbetrieben haften (§§ 22 und 23 der Vorlage vom 30.1.31, R 43 I/1807, Bl. 142). Zum GesEntw. s. auch Dok. Nr. 233, Anm.1.
Staatssekretär Dr. Krüger ging dann auf die Bedeutung und Stellung der Garantieverbände der Landwirtschaft ein. Für Preußen entstehe die Frage, ob es sich tatsächlich um eine Mithaftung handle, ob und in welcher Weise die Eigentümer zusammengeschlossen würden und wie sie die Regelung der Umschuldungsfrage beeinflussen würden. Es sei fraglich, ob sie bei der finanziellen Schwäche der Unternehmungen 25% der Haftung tragen könnten. Nennenswerte Rücklagen würden nicht angesammelt werden können. Es frage sich, was geschehen solle, wenn die Garantieverbände ihren Verpflichtungen nicht nachkämen. Zu klären sei auch, wie sie mit den Landstellen zusammenwirken sollten.
Reichsminister Treviranus wies darauf hin, daß es sich um eine Vorhaftung der Haftungsverbände in Höhe von 25% handle; hinter ihnen hafte das Zweckvermögen2. Das Reich übernehme keine Bürgschaft mehr, sondern zahle nur jährlich 36 Millionen.
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Nach § 15 des GesEntw. sollte bei der Bank für Industrieobligationen ein Zweckvermögen von mindestens 500 Mio RM für die Umschuldung gebildet werden. Aus der Industrieaufbringungsumlage sollten in den Rechnungsjahren 1931–1936 weitere 650 Mio RM zufließen (R 43 I/1807, Bl. 137).
Es sei möglich, die Vorprüfung der Anträge den Haftungsverbänden zu überlassen. Die Entscheidung müsse gemeinsam mit der Landstelle getroffen werden. Möglich sei auch zunächst Entscheidung der Landstelle, dann die des Haftungsverbandes und der Vertreter des Zweckvermögens.
Präsident v. Flemming führte aus, daß Zweckvermögen und Garantieverbände zusammenhängen. Durch sie sollte die Zusammenarbeit zwischen Industrie[825] und Handel und das gegenseitige Vertrauen in die Erscheinung treten. Die Auswahl der Mitglieder werde sorgfältiger erfolgen als bisher die Beurteilung der Schuldner, weil Mithaftung eintrete. Zahlreiche Betriebe seien durchaus lebensfähig und könnten auch die Steuern und andere Lasten tragen, wenn ihre Zinslasten erleichtert würden. Nicht das Verhältnis der Schulden zum Einheitswert dürfe für die Belastung entscheidend sein, sondern die Tragfähigkeit des einzelnen Betriebes. Die Entscheidung müsse zunächst der Landwirtschaft zustehen, die auch die Prüfungen vorzunehmen habe. Dem Reichskommissar soll ein Vetorecht eingeräumt werden. Von den 2000 pommerschen Großbetrieben seien 1500 hilfsbedürftig. Sie durchzuprüfen, sei technisch kaum möglich. Durch Heranziehung der örtlichen Stellen würde die Stellungnahme erleichtert, zumal wenn sie über das Material der Preußenkasse verfügen können. Verhandlungen mit den Gläubigern müßten der Landstelle überlassen werden, weil sie rascher als die Berufsgenossen mit diesen zum Ziele kämen. Er sei bereit, den erforderlichen Apparat in 14 Tagen aufzuziehen. Gegenwärtig sei die Lage gerade der Betriebe gefährlich, die noch gerettet werden könnten, weil die Gläubiger sie in Anspruch nehmen, wenn die anderen ausfallen.
Die Betriebe des Garantieverbandes müßten sich einer dauernden Kontrolle unterwerfen. Neben der Umschuldung durch die Industriebank müsse die Staatshilfe aufrechterhalten werden. Sie müsse auch andere als wirtschaftliche Gründe bei ihren Entscheidungen berücksichtigen. Es bestehe die Gefahr, daß in größerem Ausmaß Spareinlagen von den kleineren Banken zurückgefordert würden, so daß sich daraus eine Anzahl von Zusammenbrüchen ergebe, wenn nicht alsbald durch eine Vorentscheidung über das weitere Vorgehen Beruhigung geschaffen würde. Wenn die pommerschen Güter nur 6% Zinsen zu zahlen hätten, wäre die Umschuldung nicht nötig, da die Lage noch verhältnismäßig gesund sei.
Dr. Silverberg führte folgendes aus: Erst müsse das erforderliche Geld beschafft werden, bevor es vergeben und seine Verwendung überwacht werden könne. Die Bank für Industrieobligationen könnte als Instrument für die Geldbeschaffung dienen. Anders, insbesondere durch Etatsmittel, könne die annähernd 1 Milliarde Mark nicht aufgebracht werden, die zur Sanierung des Ostens erforderlich sei. Verpflichtungsscheine würden die deutsche Finanzwirtschaft ruinieren3.
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§ 16 des GesEntw. bestimmte, daß das Reich die Bürgschaft für die Einlösung verzinslicher Verpflichtungsscheine zentraler Kreditinstitute übernehmen sollte. Diese Verpflichtungsscheine mit fünfjähriger Laufzeit sollten an die bisherigen Gläubiger von Umschuldungsbetrieben im Umschuldungsverfahren gegeben werden (R 43 I/1807, Bl. 138).
Die Mittel der Bank müßten ihr zur freien Verfügung stehen, sonst könne sie darauf keine Anleihen aufbauen. Notwendig sei deswegen, das Sondervermögen gesetzlich festzulegen und die Verfügung und Verantwortung der juristischen Person selbst zu überlassen. Dann wäre die Einrichtung kaufmännisch tragfähig. Die ganze deutsche Industrie stehe für das Institut ein. Die Bank müsse die letzte Entscheidung darüber haben, welche Unterlagen sie für die Obligationen nehmen kann, die sie herausgeben will. Sie müsse also entscheiden,[826] welche Betriebe als noch lebensfähig Darlehen erhalten könnten. Anders könne er seine Mitwirkung nicht in Aussicht stellen.
Die Garantieverbände müßten sich wirtschaftlich betätigen. Einführung eines Bestellungsplans unter Kontrolle der Wirtschaftsführung, Verwendung der Ernte und Kontrolle der Entnahmen der Besitzer. Über das Ausmaß der Haftung sei eine Vereinbarung möglich.
Die Betriebsüberwachung sei wichtiger als die Mithaftung der Berufsgenossen. Die Haftung würde im Ernstfalle nicht in Anspruch genommen werden können. Sie sei aber ein Zwang zur geordneten Wirtschaft und zu ihrer Überwachung. Anders könne diese Kontrolle nicht erzwungen werden. Die Zahl der Betriebe werde voraussichtlich groß genug sein, um eine ausreichende Grundlage für Haftungsübernahme zu sein. Bedenken müßten hinter dem Zweck zurückstehen.
Staatssekretär Dr. Krüger wies darauf hin, daß die Einschaltung der Landwirte als Gutachter in Ostpreußen schwere Verluste an öffentlichen Geldern nicht gehindert habe. Ob die Haftung in dem gewünschten Sinne wirke, sei nach den Erfahrungen unsicher, die mit den Genossenschaften und wohl auch mit der einen oder anderen Landwirtschaft gemacht worden seien. Darauf beruhten die Bedenken gegen die Haftungsverbände. Ihnen in dem Maße die Entscheidung zu überlassen, wie Präsident Flemming gewünscht habe, werde nicht möglich sein. Dagegen lasse sich über den Vorschlag Silverbergs verhandeln.
Bei der Wirtschaftskontrolle möchten die alten Institute eingeschaltet werden, die sich bisher bereits in dieser Richtung betätigt hätten.
v. Zitzewitz erklärte in weitem Maße seine Zustimmung zu dem Vorschlage Dr. Silverbergs. Voraussetzung für die Sicherheit der Wirtschaftsverbände sei eine allgemeine Sanierung der Landwirtschaft. Hinter der Vorhaftung der Haftungsverbände solle das Zweckvermögen haften; eine Garantie von Reich und Staat werde kaum in Erscheinung treten. Betriebe, die nicht gerettet werden können, und solche, die keiner Hilfe bedürfen, sollten in die Verbände nicht aufgenommen werden. Bürokratische Entscheidung könnte nicht in gleichem Maße wie Haftungsverbände auf die individuelle Lage des Einzelfalles eingehen. Landwirtschaft und Industrie aber könnten darauf hinwirken, daß bestimmte Betriebsrichtungen eingehalten würden. Die Wirtschaftsverbände müßten mit den Kommissaren der Oststelle zusammenarbeiten.
Eine Vorentscheidung über die Umschuldungsfähigkeit sei für die Wirtschaftsverbände in etwa 14 Tagen möglich. In Ostpreußen dürfte es etwas länger dauern.
Reichsminister Treviranus wies darauf hin, daß die Preußenkasse bereits ähnliche Ausführungen gemacht habe wie jetzt Präsident v. Flemming. Eine zuverlässige Bonitierung sei nicht möglich. Vom schlagartigen Sanieren werde nicht mehr gesprochen. Vorprüfung der einzelnen Anträge werde nötig sein. Die letzte Entscheidung werde sich der Geldgeber vorbehalten. Die Entscheidung in Ostpreußen könne rascher getroffen werden als in Pommern, weil Vorarbeiten vorlägen. Entscheidungen nach rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten[827] würden wesentlich härter sein als die der Regierungsstellen. Entschlüsse müßten mit den Haftungsverbänden, den Geldgebern und dem Reichskommissar gemeinsam gefaßt werden.
Dr. Lauffer ging auf den Unterschied zwischen dem alten Verfahren und dem neuen Plan Silverbergs ein. Er kam zu dem Ergebnis, daß der Unterschied verhältnismäßig gering sei.
Abgeordneter Dr. Gereke hielt für den wesentlichen Vorteil der neuen Vorschläge die Wiederherstellung des Vertrauens. Er sprach sich für den Plan Silverbergs aus.
Der Preuß. Minister für Volkswohlfahrt erklärte, es werde sich nicht um Haftungsverbände handeln, die auch auf die Wirtschaftsführung der Betriebe Einfluß nehmen, sondern um Wirtschaftsverbände, die auch Haftung übernehmen. Damit könne er sich einverstanden erklären.
Der Reichskanzler drückte seine Freude über das weitgehende Einverständnis hinsichtlich der Gestaltung der Osthilfe aus und dankte dafür.