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Nr. 213
Der Reichskanzler an den BVP-Vorsitzenden Schäffer. 3. Januar 1931
R 43 I/2227, Bl. 13–14 Reinkonzept1
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Der Entw. des Schreibens stammt von StS Pünder.
[Steuervereinheitlichung]
Sehr verehrter Herr Kollege,
lieber Herr Schäffer!
Ich darf gewiß Verständnis bei Ihnen dafür voraussetzen, daß ich bis zur Stunde noch nicht zur Erledigung Ihres gefl. Schreibens vom 16. v. Mts.2 gekommen bin. Die Dezembertage bis Weihnachten einschließlich waren für mich geschäftlich noch außerordentlich angespannt, da dringendste Dinge noch der[769] Erledigung im alten Jahr harrten. Alsdann habe ich mir einige Tage der Erholung gegönnt, von denen ich heute für einige Stunden nach Berlin zurückgekehrt bin. Ehe ich mich nun morgen auf die Besichtigungsfahrt in den gefährdeten deutschen Osten begebe, möchte ich Ihr erwähntes gefl. Schreiben nicht länger unerledigt lassen.
Ich brauche Ihnen nicht zu versichern, daß auch mir nichts ferner liegt als die Schaffung von Konflikten mit der Bayerischen Volkspartei. Im Gegenteil würde niemand mehr als ich es begrüßen, wenn die harmonische Zusammenarbeit des Zentrums mit der Bayerischen Volkspartei, für die ich mich in langen Jahren eingesetzt habe, uns und unserem gesamten lieben Vaterlande auch im neuen Jahr ungetrübt erhalten bliebe. Um dieses große Ziel zu erreichen, bin ich daher zu jedem mir möglichen Entgegenkommen bereit. Nur muß ich auch in diesem Augenblick wiederholen, daß nach meiner ehrlichen und inzwischen mehrfach nachgeprüften Überzeugung die Dezember-Notverordnung des Herrn Reichspräsidenten keine verfassungswidrige Handlung enthält, da wir in den gefundenen Formulierungen die zuständige Grenze der Rahmengesetzgebung nicht überschritten haben. Sollte die Bayerische Volkspartei es nicht vermeiden zu können glauben, über diese Frage den Staatsgerichtshof anzurufen, so würde ich dies vom allgemein-politischen Gesichtspunkt sehr bedauern, würde aber dem Urteil des Staatsgerichtshofs sachlich in Ruhe entgegensehen. Ob der von anderer Seite vorgeschlagene Weg der Verabredung eines Schiedsgerichts gangbar ist, vermag ich im Augenblick noch nicht endgültig zu sagen. Jedenfalls bin ich zu einer Aussprache über diesen Vorschlag wie überhaupt über die gesamte Angelegenheit gern bereit. Darüber hinaus werde ich mich auch beim Herrn Reichspräsidenten dafür einsetzen, daß wunschgemäß einem Vertreter der Bayerischen Volkspartei Gelegenheit gegeben wird, den bayerischen Standpunkt vor dem Herrn Reichspräsidenten persönlich zu entwickeln.
Da ich voraussichtlich am 12. d. Mts. von meiner Ostreise nach Berlin zurückgekehrt sein werde, würde für solche Besprechungen mit dem Herrn Reichspräsidenten und mir immerhin noch eine Anzahl Tage vor dem Zusammentritt des Landesausschusses am 18. Januar zur Verfügung stehen3. Eine weitere Mitteilung über einen auch dem Herrn Reichspräsidenten genehmen Termin darf ich Ihnen nach meiner Fühlungnahme mit dem Herrn Reichspräsidenten noch mitteilen.
Indem ich Ihnen schließlich meine herzlichsten Wünsche zum neuen Jahr ausspreche, verbleibe ich mit den besten Grüßen und Empfehlungen
Ihr
B[rüning]