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Pressekonferenz des Bundesarchivs zu "Hitler-Tagebüchern"

Am 6. Mai 1983 gab das Bundesarchiv nach intensiver Prüfung bekannt, dass die angeblichen Hitler-Tagebücher des "Stern" gefälscht waren.

  • BRD (ab 1949)

Hintergrundinformationen

Hintergrundinformationen

Die Ausgabe 18/83 des "Stern" war ausnahmsweise vorgezogen worden: Das Heft mit dem Titel "Hitlers Tagebücher entdeckt" erschien statt wie gewohnt an einem Donnerstag bereits am Montag, dem 25. April 1983. Am Freitag zuvor, dem 22. April 1983, hatte der Stern die Meldung verbreitet, er sei im Besitz von 60 Bänden Tagebüchern Adolf Hitlers. Einige Kladden präsentierte man auf einer Pressekonferenz in Hamburg am Vormittag des 25. April. Erste Auszüge wurden in Heft 18/83 gedruckt. Schon auf der Pressekonferenz äußerten Experten aber Zweifel an der Echtheit der "Tagebücher".

Der Fälschungsnachweis

Dr. Josef Henke, seinerzeit Referatsleiter im Bundesarchiv, war auf der Pressekonferenz in Hamburg anwesend. Telefonisch unterstützt von Prof. Hans Booms, Präsident des Bundesarchivs, gelingt es ihm dort, die Verantwortlichen des Verlags Gruner+Jahr zu überzeugen, drei Bände der Tagebücher für eine Echtheitsprüfung vorübergehend nach Koblenz zu entleihen. Am 27. April werden der Bundesanstalt für Materialprüfung in Berlin Materialproben übergeben. Am 28. und 29. April liegen die Bände dem Bundeskriminalamt zur kriminaltechnischen Prüfung vor. Am Samstag und Sonntag, dem 30. April und 1. Mai, nehmen Josef Henke und Dr. Klaus Oldenhage die archivfachlich-textkritische Prüfung vor.

Bereits am Morgen des Montag, 2. Mai, laufen die übereinstimmenden Urteile aller drei beteiligten Behörden ein: Bei den Tagebüchern handelt es sich um eine plumpe Fälschung. Die Schrift ist den wenigen bekannten Schriftzeugnissen Hitlers zwar gut nachgeahmt. Die Einbände, Heftfäden, Papiere und Tinten können zum großen Teil aber nicht aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs stammen. Und inhaltlich sind die Einträge voller historischer und chronologischer Fehler. Reflexionen, Emotionen, Überlegungen zu Handlungsmotiven oder Spezialkenntnisse, wie sie in einem Tagebuch zu erwarten sind, sucht man vergeblich. Stattdessen reihen sich banale Aussagen über längst bekannte Ereignisse im Zeitungsstil aneinander.

Das Bundesministerium des Innern (BMI) und die Justitiare des Stern werden noch am 2. Mai über das Ergebnis informiert. Dem Wunsch des Stern, noch weitere vier Bände einer Prüfung zu unterziehen, möchte sich das Bundesarchiv nicht widersetzen. Am 4. und 5. Mai prüfen insgesamt sechs Archivare die neu eingetroffenen Kladden und stellen fest, dass für die meisten Bände die Edition „Hitler. Reden und Proklamationen“ von Max Domarus als Vorlage verwendet wurde: Wo Domarus Versehen unterlaufen waren, weisen auch die Tagebücher Fehler auf, wo Domarus Lücken hat, schweigen auch die Tagebücher.

6. Mai 1983: Unterrichtung der Öffentlichkeit

Am Freitag, dem 6. Mai 1983 gibt das Bundesarchiv nach Abstimmung mit dem BMI um die Mittagszeit eine Pressemitteilung heraus: "Diesen Unterlagen kann keine Authentizität zugesprochen werden." Durch die für 15.00 Uhr angesetzte Pressekonferenz, auf der die Ergebnisse der Echtheitsanalyse der beteiligten Bundesbehörden vorgestellt werden, wird dem Bundesarchiv eine öffentliche Aufmerksamkeit zuteil, wie sie Archive nur in außergewöhnlichen Fällen erleben.

Warum wurde die Fälschung nicht früher erkannt?

Bereits seit dem 5. April 1982 hatte das Bundesarchiv mit den Stern-Redakteuren Dr. Thomas Walde und Leo Pesch, wenig später auch mit Gerd Heidemann, in Kontakt gestanden. Heidemann hatte als einziger unmittelbaren Kontakt mit dem Fälscher Konrad Kujau, war aber von der Echtheit der ihm angebotenen Dokumente vollkommen überzeugt.

Dem Bundesarchiv waren im Rahmen der Benutzung der Stern-Reporter zum Thema "Englandflug des Rudolf Heß 1941" zwischen dem 5. April 1982 und dem 22. April 1983 insgesamt ein Dutzend Einzelschriftstücke vorgelegt worden. Von diesen Einzeldokumenten stammten – wie sich erst nach dem 22. April 1983 herausstellte – drei Blätter aus den "Tagebuch"-Kladden, davon zwei unbeschriebene. Verschiedene Schrift- und Papierexperten hatten zwar auch diese Blätter geprüft, doch reichten das Material und die Befunde nicht für ein eindeutiges Echtheits- oder Fälschungsurteil aus. Dass der Stern im Besitz von 60 Bänden angeblicher Hitler-Tagebücher war, erfuhr das Bundesarchiv genauso wie die Öffentlichkeit erst durch die Pressemeldung vom 22. April 1983. Anhand der seit dem 25. April vorliegenden Kladden war der Fälschungsnachweis dann verhältnismäßig leicht zu führen.

2013: Übergabe der "Tagebücher" an das Bundesarchiv wird erwogen

Schon nach zwei Heften stellte der Stern aufgrund des Fälschungsnachweises die Veröffentlichung von "Tagebuch"-Auszügen ein. 30 Jahre später kündigte Stern-Chefredakteur Dominik Wichmann öffentlich an, die Kladden, die sich noch im Besitz des Verlags Gruner+Jahr befinden, dem Bundesarchiv zu übergeben. Von diesem Vorhaben nahm der Verlag nach einigen Monaten aber wieder Abstand. Beim Bundesarchiv liegt mithin kein Exemplar der "Tagebücher" vor. Hier befinden sich lediglich einzelne Kopien aus den Bänden, die dem Bundesarchiv seinerzeit zur Prüfung zur Verfügung gestellt worden waren. Am 24. April 2023 erklärte der Bertelsmann-Konzern, er werde die gefälschten "Hitler-Tagebücher" im Laufe des Jahres an das Bundesarchiv übergeben.

Weiterführende Informationen

Die Aufdeckung der Fälschung aus Sicht des Bundesarchivs schildert Josef Henke in seinem Beitrag aus der Festschrift für Hans Booms: Aus der Arbeit der Archive. Beiträge zum Archivwesen, zur Quellenkunde und zur Geschichte, hrsg. von Friedrich P. Kahlenberg, Boppard 1989, S. 287-317. Eine stichwortartige Chronologie der Ereignisse, die auf diesem Aufsatz und auf den Dienstakten des Bundesarchivs beruht, findet sich im beigefügten pdf-Dokument.

Dr. Tobias Herrmann, Manuela Lange