Die Verabschiedung des Grundgesetzes am 23. Mai 1949 schuf im Westen Deutschlands die Grundlage für ein demokratisches Staatswesen mit Gewaltenteilung, Grundrechten und Föderalismus. Auf diesem Fundament aufbauend entfaltete sich das politische und gesellschaftliche Leben in der Bundesrepublik.
Während die „Bonner Republik“ lange als rechtsstaatlich-demokratische sowie wirtschaftliche und soziale Erfolgsgeschichte mit der Betonung einer zunehmenden Stabilisierung und Liberalisierung von Staat und Gesellschaft gedeutet wurde, verblasst dieses Narrativ und damit sein identitätsstiftender Charakter seit einigen Jahren. Ins Blickfeld rücken stattdessen die offenen und latenten Kontinuitäten aus der Zeit des Nationalsozialismus in der frühen Bundesrepublik. Über eine notwendige Korrektur allzu euphorischer Deutungsmuster hinaus wird ein bisweilen recht düsteres Bild der Epoche entworfen. Eine einseitige Fokussierung auf Versäumnisse und Missstände birgt jedoch nicht nur das Risiko, die tatsächlichen Erfolge und Fortschritte der jungen Bundesrepublik aus dem Blick zu verlieren. Sie droht auch das Vertrauen in die verfassungsrechtlichen Institutionen – und nicht zuletzt das Grundgesetz selbst – zu untergraben, die doch seit Jahrzehnten die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik garantieren.
Als Gedächtnis von Staat und Gesellschaft kommt dem Bundesarchiv durch die Sicherung und allgemeine Bereitstellung von authentischen Zeugnissen der jüngeren deutschen Geschichte in besonderer Weise auch eine demokratiestabilisierende Funktion zu. Es bewahrt die Quellen, welche die Voraussetzung für die ergebnisoffene Erforschung der Geschichte der Bundesrepublik darstellen. Sein Archivgut ermöglicht somit einen Diskurs, der sowohl Erfolge, Fortschritte und Errungenschaften als auch Fehlentwicklungen und Herausforderungen anerkennt, ohne in ein extremes Schwarz-Weiß-Denken zu verfallen.
Aus Anlass des diesjährigen Jubiläums findet im Bundesarchiv ab Herbst eine Veranstaltungsreihe zum Thema „75 Jahre Grundgesetz und die frühen Jahre der Bundesrepublik“ an seinem Hauptstandort Koblenz statt. Mit Vorträgen werden verschiedene Aspekte der Geschichte des Grundgesetzes und der frühen Bundesrepublik bis 1990 in den Blick genommen – von der Entstehung des Grundgesetzes über seine Fortschreibung bis hin zu seiner Bedeutung für die heutige Gesellschaft.