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„200 Hereros beritten bewaffnet letzte Nacht bei Okahandya versammelt ...“, Telegramm vom 11. Januar 1904, Seite 1

Telegramm vom 11. Januar 1904 von Oberleutnant Techow über einen möglichen Aufstand der Herero und die Mobilmachung der Truppen im nördlichen Deutsch-Südwestafrika, Quelle: BArch, R 1001/2111

Koloniale Quellen und ihre Sprache: Hinweise für die Aktennutzung

Das Bundesarchiv ist um einen einfachen Zugang zum Bestand Reichskolonialamt bemüht, der Unterlagen zu allen ehemaligen deutschen Kolonien enthält. Unter Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) wurden jetzt alle Akten des Bestandes transkribiert. Transkribieren bedeutet „hinüberschreiben“; konkret wurde die schwer lesbare zeitgenössische Schrift der Akten in moderne Schreibweise übertragen und der entstandene digitale Text durchsuchbar gemacht.

Trotz der modernen Erscheinungsform der historischen Quellen blieben die Inhalte unverändert. Nutzende werden daher unausweichlich auf koloniale Sprache treffen. Die kolonialen Akteure verliehen mit ihr einer Gedankenwelt Ausdruck, die von rassistischen Überlegenheitsgefühlen, einer einseitigen europäischen Perspektive und wirtschaftlichem Profitstreben geprägt war. Es sind diese Vorstellungen, die als Rechtfertigung für koloniales Handeln wie der Ausbeutung natürlicher Ressourcen, dem Erzwingen von Arbeitsleistungen und der Ausübung gewaltsamer Fremdherrschaft bis hin zur Vernichtung von Gesellschaften dienten. All dies hat seinen sprachlichen Niederschlag in den kolonialen Quellen gefunden.

Rassistische, sexistische oder gewaltverherrlichende Sprache ist oft irritierend und verstörend. Im schlimmsten Fall kann sie bei persönlich Betroffenen Traumata auslösen oder vertiefen. Im Fall von Archivgut ist die koloniale Sprache aber untrennbar mit den historischen Quellen verbunden. Sie ist damit selbst eine Quelle, die eine Analyse und Aufarbeitung von Unrecht ermöglicht. Zudem stehen diesen Quellen vereinzelt auch Dokumente gegenüber, die von Kolonisierten selbst initiiert oder verfasst wurden. Diese Dokumente sind Zeugnisse des Widerstands und belegen auch, dass koloniale Sprache in erster Linie perspektivabhängig war.

Die wichtigste Aufgabe von Archiven ist es, Quellen zu sichern (das bedeutet, vor Zerstörung und Veränderung zu schützen) und zugänglich zu machen. Gerade dadurch garantieren Archive, dass Quellen authentisch sind. Nur so können Archive als „Gedächtnis der Gesellschaft“ fungieren und das Vertrauen in die Verlässlichkeit dieses Gedächtnisses rechtfertigen. Wer historische Vorgänge verstehen will, muss die Möglichkeit haben, die hierfür verfügbaren Informationen zu erhalten. Dies schließt auch solche Informationen ein, die tiefe Abgründe offenbaren. Das Unrecht, das aus ihnen spricht, wird dadurch benennbar; niemand kann es beschönigen oder leugnen. So entwickelt sich aus dem Verstehen von Geschichte ein wichtiger Lernprozess.

Wir möchten zu einer ehrlichen Selbsteinschätzung anregen, ob Sie sich der direkten Konfrontation mit kolonialer Sprache in den Quellen aussetzen möchten. Sollten Sie darüber im Zweifel sein, können Sie auf alternative Zugänge wie etwa Sachliteratur zurückgreifen.

Als ersten Einstieg speziell in die koloniale Überlieferung des Bundesarchivs empfehlen wir Ihnen das Themenheft Die Sache ist unhaltbar“ – Unterdrückung und Widerstand in deutschen Kolonien. Das in deutscher Sprache erschienene Heft ist als kostenlose Broschüre im Bundesarchiv erhältlich oder kann als PDF heruntergeladen werden.

Weiterführende Informationen

  • „Die Sache ist unhaltbar“
    Publikation

    „Die Sache ist unhaltbar“

    Das Heft präsentiert Bundesarchiv-Dokumente zu Widerstandsbestrebungen in drei ehemaligen deutschen Kolonien: Deutsch-Südwestafrika (das heutige Namibia), Ponape (Inselgruppe im Pazifik) und Kamerun.
     

  • Wilhelm Solf, Staatssekretär des Reichskolonialamts, und Karl Ebermaier, Gouverneur von Kamerun, sowie Vertreter der Haussa-Bevölkerung von Jaunde, 1913
    Rechercheleitfaden

    Quellen zur Kolonialgeschichte

    Wurden die Grenzen in Afrika am „Grünen Tisch“ gezogen? Wie sah der Schießbefehl im Herero-Krieg wirklich aus? In welcher chinesischen Stadt standen die…

  • Beispiel aus den Akten: Das KI-Modell lernte hier am Wort „beehre“, dass diese Ansammlung von Pixeln sechs Buchstaben entspricht und wie die Kombination „b“, „h“ und „r“; aussehen könnte. Außerdem trainierte die Software unterschiedliche Varianten von „e“, die sie später in anderen Wörtern selbstständig wiedererkannte.
    Meldung

    Handschriften in Kolonialakten für Nutzende lesbar gemacht

    Das Bundesarchiv ermöglicht es in seinem Lesesaal in Berlin-Lichterfelde, den gesamten Inhalt der Dokumente des Reichskolonialamtes zu durchsuchen.