Direkt zum Seiteninhalt springen
Johanna und Gottfried Kinkel

Johanna und Gottfried Kinkel, Quelle: Stadtmuseum Bonn (gemeinfrei), Lithographie, C. Hohfelder, um 1850 (gemeinfrei)

Rastatt

Das revolutionäre Paar: Johanna und Gottfried Kinkel zwischen Revolution und Familienalltag

1848/49 sah sich die geschockte Öffentlichkeit einer Reihe von revolutionären Paaren gegenüber, in denen nicht nur die Männer von sich Reden machten, sondern – viel skandalöser – auch die Frauen durch selbstbewusstes politisches Denken und Handeln Aufmerksamkeit erregten. Frauen wie Amalie Struve, Matilde Franziska Anneke und Elise Blenker forderten die bürgerlichen Geschlechter- und Ehevorstellungen heraus, ergriffen öffentlich das Wort und teilweise sogar zu den Waffen. Eines dieser prominenten Revolutionspaare waren Johanna und Gottfried Kinkel – 1848/49 weithin bekannt als Musterbeispiel einer demokratischen Ehe, heute hingegen zu Unrecht vielfach vergessen.

Am 16. Mai 2024 ließ Prof. Dr. Hermann Rösch in der Bundesarchiv-Erinnerungsstätte im Residenzschloss Rastatt das wendungsreiche Schicksal der Kinkels lebendig werden, welches die beiden 1849 auch in das von den Preußen besetzte Rastatt führte.

Die Komponistin, Musikpädagogin und Dichterin und der Theologe, Kunsthistoriker und Dichter mussten viele Hindernisse überwinden, bevor sie 1843 in Bonn heiraten konnten. Dazu gehörte auch ein nächtlicher Bootsunfall auf dem Rhein, bei der Gottfried die Nichtschwimmerin Johanna vor dem Ertrinken bewahrte. Die Beziehung zwischen der als unangepasste „Emanzipirte“ geltenden, geschiedenen Katholikin und dem fünf Jahre jüngeren Protestanten war ein gesellschaftlicher Skandal. Durch ihr nonkonformistisches Verhalten eckte das Ehepaar immer wieder an. Mit ihren offen gelebten Ideen von einer auf gegenseitiger Zuneigung und gleichberechtigter Partnerschaft beruhenden Ehe, von Frauenemanzipation, Mädchenbildung und einer gewaltfreien Kindererziehung waren sie ihrer Zeit weit voraus. Nicht ganz zu Unrecht galt die energische Johanna auch bei der politischen Radikalisierung des Ehepaares als die treibende Kraft. Dass Johanna mit ihrem Gesangs- und Klavierunterricht zum Unterhalt der Familie beitrug, war für sie und ihren Mann eine Selbstverständlichkeit, widersprach aber ebenfalls den geltenden bürgerlichen Normen.

In der Revolution 1848/49 schlossen sich die Kinkels dem radikaldemokratischen Lager an und traten für grundlegende soziale Reformen ein, die Gottfried auch vehement als Abgeordneter im preußischen Landtag vertrat. In Bonn gründete er kurz nach Revolutionsausbruch einen Demokratischen Verein, scheiterte allerdings bei dem Versuch, ihn auch Frauen zugänglich zu machen. Allenfalls verheirateten Bürgerinnen wollten die anderen Vorstandsmitglieder Zutritt gewähren. Unverheiratete Frauen würden die Vereinsmitglieder zu sehr „verwirren“, war die Befürchtung.

Trotz derartiger Vorurteile auch in demokratischen Kreisen wollte Johanna sich nicht auf das gesellschaftlich für Frauen als gerade noch akzeptabel angesehene Fahnennähen, auf soziale Tätigkeiten und ähnliche Rollen als „schmückendes Beiwerk“ beschränken. Sie verfasste Artikel für die von ihrem Ehemann veröffentliche Zeitung und übernahm ab Mai 1849 die Redaktion des Blattes, als Gottfried sich als einfacher Kämpfer an den Aufständen in der Pfalz und in Baden beteiligte.
Bei den Kämpfen bei Muggensturm verwundet, geriet er in die Hände preußischer Soldaten. Deren Oberbefehlshaber und spätere deutsche Kaiser Wilhelm I., in der Revolution unter dem Spottnamen „Kartätschenprinz“ bekannt, ließ sich den prominenten Gefangenen in der von den preußischen Truppen beschlagnahmten Apotheke in Malsch persönlich vorführen. Nach der Kapitulation des revolutionären Rastatts schmachtete Gottfried mehrere Monate mit tausenden anderen Freiheitskämpfern in den Kasematten der Festung. Mehrmals schmuggelte sich Johanna in die Stadt, obwohl ihr das Betreten Rastatts verboten worden war. Vergeblich versuchte sie, Zutritt zum Gefängnis zu erlangen. Gleichzeitig organisierte sie eine deutschlandweite Unterstützungskampagne. Vermutlich war es auch dem von Johanna initiierten öffentlichen Druck zu verdanken, dass ihr Mann nicht wie 19 andere Revolutionäre in Rastatt erschossen wurde, sondern „nur“ zu lebenslanger Festungshaft verurteilt wurde.

Doch in diesem Fall sollte „lebenslänglich“ nur ein Jahr dauern: Mit Unterstützung durch Gottfrieds Schüler und Freund Carl Schurz, der selber mit knapper Not aus dem von den Preußen besetzten Rastatt entkommen war, plante Johanna eine tollkühne Befreiungsaktion. Nachdem es Schurz in einer waghalsigen Aktion gelang, Gottfried im November 1850 aus der Spandauer Festung zu befreien, folgte Johanna ihrem Ehemann mit den gemeinsamen Kindern ins Londoner Exil. Anfangs engagierte sich Gottfried weiter für ein rasches Wiederaufflammen der revolutionären Stimmung in Europa, musste jedoch letztlich die Vergeblichkeit dieser Hoffnung einsehen. Uneinigkeit in der Exilgemeinde, finanzielle Probleme, die für den Unterhalt der Familie notwendige Arbeitsbelastung der beiden und zunehmende gesundheitliche Probleme Johannas belasteten die Jahre in London. 1858 starb Johanna durch einen Fenstersturz. 1866 zog der inzwischen wiederverheiratete Gottfried in die Schweiz, wo er 1882 verstarb. Er blieb der demokratischen Bewegung treu und sympathisierte mit der jungen Arbeiterbewegung.

An den Vortrag schloss sich eine lebhafte Diskussion an, die sich auch während des folgenden Umtrunks fortsetzte.

Johanna Kinkel, 1840
Johanna Kinkel, 1840Quelle: Stadtmuseum Bonn, gemeinfrei
Gottfried Kinkel als Gefangener in Naugardt
Gottfried Kinkel als Gefangener in NaugardtQuelle: Lithographie, C. Hohfelder, um 1850, Bild gemeinfrei