Vom IM zum Staatsfeind
Am Ende des Jahres 1963 stellte die Stasi die Zusammenarbeit mit Havemann ein. Er war nun unzweifelhaft zum Feind umdefiniert worden. Noch wenige Jahre zuvor, im März 1960, gratulierten ihm die SED-Oberen Walter Ulbricht, Otto Grotewohl und Johannes Dieckmann zu seinem 50.Geburtstag. In offiziellen Verlautbarungen würdigten sie seinen Kampf gegen den Faschismus und seine Arbeit als Wissenschaftler. "Als Mitglied des Deutschen Volkskongresses, als Mitbegründer der Friedenskomitees und als Mitglied der Volkskammer hast Du eine aufopferungsvolle Arbeit geleistet", schrieb das Zentralkomitee (ZK) der SED. Aus dem GI-Vorgang "Leitz" wurde am 27. Januar 1964 der Zentrale Operativvorgang "Leitz", bald danach Operativvorgang (OV). Dieser OV blieb bis zu seinem Tod 1982 und darüber hinaus aktiv. Die Akte wurde erst 1989 geschlossen. Für Havemann allerdings war ein Wandel des Staates ihm gegenüber nicht sofort zu bemerken.
An der Humboldt-Universität zu Berlin hatte er sich einen weit über die Studierendenschaft hinaus klingenden Ruf als freier Geist erworben. Seine Vorlesungen über "naturwissenschaftliche Aspekte philosophischer Probleme", darüber, was die Welt zusammen hält, verband er meisterlich mit seinen Ansprüchen an Politik und Gesellschaft. Er war eine vernehmbare kritische Stimme in der Zeit nach dem Mauerbau. Immer mehr Zuhörerinnen und Zuhörer strömten in seine Vorlesungen. Die Universitätsleitung stellte einen größeren Hörsaal zur Verfügung.
In einem Stasi-Dokument wird ein Besucher zitiert, der berichtete, "daß nach einer Vorlesung bei der Medizinischen Fakultät die Studenten den Saal nicht verlassen haben, weil anschließend Prof. Havemann eine Vorlesung halten sollte."
Der Parteisekretär der Universität, Werner Tzschoppe, unterstützte Havemann ganz offen. Seine Kollegen im Institut für physikalische Chemie standen auf seiner Seite, wie auch viele andere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.
Doch die Hardliner der Partei formierten sich. Auf dem 7. Plenum des ZK im Februar 1964 bezichtigten konservative SED-Ideologen Havemann des Revisionismus. Ein Gespräch mit einem angeblichen Studenten über die Situation an der Humboldt-Uni wurde am 11. März ohne Havemanns Wissen oder gar Zustimmung in der westdeutschen Zeitung „Hamburger Echo am Abend“ veröffentlicht. Der vermeintliche Student war indes Journalist. Dass Havemann dem "Klassenfeind" ein Interview gab, diente als Anlass für die formale Abrechnung mit ihm – Verlust der Professur und Rauswurf aus der Partei.
Aus den MfS-Akten ist nicht ersichtlich, dass sich Robert Havemann der Zusammenarbeit mit dem MfS bewusst entzogen hätte oder dies beabsichtigte. Es ist jedoch deutlich erkennbar, dass das MfS aufgrund der nicht abreißenden ideologischen Auseinandersetzungen um seine Person zunehmend selbst Zweifel am Sinn einer solchen Zusammenarbeit hatte und diese dann folgerichtig einstellte.
Isolation und Opposition
Havemann hatte Einspruch gegen seine Entlassung und gegen seinen Parteiausschluss eingelegt – ohne Erfolg. Auf ein theoretisch erfolgreicheres arbeitsrechtliches Verfahren wollte er sich nicht einlassen. Es erschien ihm zwecklos auf der Ebene des Arbeitsrechts eine Entscheidung anfechten zu wollen, die die SED aus politischen Gründen gefällt hatte.