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Türklingel an der Haustür mit Aufschrift "Havemann"

Türklingel von Robert Havemann, Quelle: BStU, MfS, HA XX, Fo, Nr. 1383, Bild 26

Robert Havemann

Mit dem 12. März 1964 erklärte die SED eines ihrer prominentesten und angesehensten Mitglieder zur persona non grata: Robert Havemann, Jahrgang 1910, Professor für physikalische Chemie an der Berliner Humboldt-Universität. Havemann war Kommunist seit 1932 und Abgeordneter der Volkskammer der DDR in ihren ersten drei Wahlperioden.

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Der bessere deutsche Staat

Havemann, ein überzeugter Kommunist, überlebte nach einem Todesurteil das NS-Regime nur deshalb, weil man seine Fähigkeiten als Chemiker für unverzichtbar hielt. Umso vehementer unterstützte er nach 1945 den aus seiner Sicht besseren deutschen Staat DDR. Seine erste Begegnung mit der Geheimpolizei Stasi war eine positive.

Schon unmittelbar nach dem Krieg arbeitete er mit dem sowjetischen Nachrichtendienst zusammen. Allerdings liegen zu den Kontakten mit dem sowjetischen Geheimdienst, der Armeeaufklärung und der ersten Phase mit dem MfS keine eigenen Unterlagen vor. Hierzu lassen sich aus den späteren Akten nur zusammenfassende Vermerke und einzelne ergänzende Details finden.

Nur zu den Inhalten der Zusammenarbeit mit dem MfS ab 1955 sind eigene aussagekräftige Materialien überliefert. Aus diesen ist ersichtlich, dass sich Robert Havemann über 60 Mal mit Mitarbeitern des MfS getroffen hatte. Im Jahr 1956 verpflichtete er sich offiziell als Geheimer Informator (GI) unter dem Decknamen "Leitz" zur Zusammenarbeit mit dem MfS. In der Folge gab er diverse, auch belastende, Informationen über ihm bekannte Personen aus seinem beruflichen, politischen und privaten Umfeld an die Geheimpolizei weiter.

Robert Havemann, 1960 Abgeordneter der VolkskammerQuelle: Bundesarchiv, Bild 183-76791-0009 / Horst Sturm / CC-BY-SA 3.0

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Robert Havemann (vordere Reihe, 2. von links) im Gespräch mit Heinz Barwich bei der Jahrestagung der Physikalischen Gesellschaft in der DDR 1958Quelle: Bundesarchiv, Bild 183-54865-0005 / CC-BY-SA 3.0

Havemann, der neben seiner wissenschaftlichen Tätigkeit auch in Aktivitäten des Weltfriedensrates eingebunden war und an internationalen Friedenskongressen teilnahm, besaß viele persönliche Verbindungen, die ihn für die Stasi interessant machten. Laut einem Treffbericht vom 19. Mai 1958 sollte Havemann nach Auftrag der Staatssicherheit gezielt mit bestimmten westdeutschen Wissenschaftlern Kontakt aufnehmen. Für die Reise erhielt er eine finanzielle Zuwendung.

Obwohl Havemann bis Mitte der 1960er-Jahre offiziell mit der Geheimpolizei zusammen arbeitete, vertraute sie ihm nicht. In seinem Handeln war er der Stasi einfach zu selbstständig. Das MfSMinisterium für StaatssicherheitDas Ministerium für Staatssicherheit (umgangssprachlich oft kurz "Stasi") war politische... hörte Havemanns Telefon ab und sein FührungsoffizierFührungsoffizierHauptamtliche Mitarbeiter des MfS, die Inoffizielle Mitarbeiter (IM) und Offiziere im besonderen... Hauptmann Maye erarbeitete einen Maßnahmeplan gegen ihn, auf dessen Grundlage seine beruflichen und privaten Kontakte systematisch überwacht wurden.

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Vom IM zum Staatsfeind

Am Ende des Jahres 1963 stellte die Stasi die Zusammenarbeit mit Havemann ein. Er war nun unzweifelhaft zum Feind umdefiniert worden. Noch wenige Jahre zuvor, im März 1960, gratulierten ihm die SED-Oberen Walter Ulbricht, Otto Grotewohl und Johannes Dieckmann zu seinem 50.Geburtstag. In offiziellen Verlautbarungen würdigten sie seinen Kampf gegen den Faschismus und seine Arbeit als Wissenschaftler. "Als Mitglied des Deutschen Volkskongresses, als Mitbegründer der Friedenskomitees und als Mitglied der Volkskammer hast Du eine aufopferungsvolle Arbeit geleistet", schrieb das Zentralkomitee (ZK) der SED. Aus dem GI-Vorgang "Leitz" wurde am 27. Januar 1964 der Zentrale Operativvorgang "Leitz", bald danach Operativvorgang (OV). Dieser OV blieb bis zu seinem Tod 1982 und darüber hinaus aktiv. Die Akte wurde erst 1989 geschlossen. Für Havemann allerdings war ein Wandel des Staates ihm gegenüber nicht sofort zu bemerken.

An der Humboldt-Universität zu Berlin hatte er sich einen weit über die Studierendenschaft hinaus klingenden Ruf als freier Geist erworben. Seine Vorlesungen über "naturwissenschaftliche Aspekte philosophischer Probleme", darüber, was die Welt zusammen hält, verband er meisterlich mit seinen Ansprüchen an Politik und Gesellschaft. Er war eine vernehmbare kritische Stimme in der Zeit nach dem Mauerbau. Immer mehr Zuhörerinnen und Zuhörer strömten in seine Vorlesungen. Die Universitätsleitung stellte einen größeren Hörsaal zur Verfügung.
In einem Stasi-Dokument wird ein Besucher zitiert, der berichtete, "daß nach einer Vorlesung bei der Medizinischen Fakultät die Studenten den Saal nicht verlassen haben, weil anschließend Prof. Havemann eine Vorlesung halten sollte."

Der Parteisekretär der Universität, Werner Tzschoppe, unterstützte Havemann ganz offen. Seine Kollegen im Institut für physikalische Chemie standen auf seiner Seite, wie auch viele andere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.
Doch die Hardliner der Partei formierten sich. Auf dem 7. Plenum des ZK im Februar 1964 bezichtigten konservative SED-Ideologen Havemann des Revisionismus. Ein Gespräch mit einem angeblichen Studenten über die Situation an der Humboldt-Uni wurde am 11. März ohne Havemanns Wissen oder gar Zustimmung in der westdeutschen Zeitung „Hamburger Echo am Abend“ veröffentlicht. Der vermeintliche Student war indes Journalist. Dass Havemann dem "Klassenfeind" ein Interview gab, diente als Anlass für die formale Abrechnung mit ihm – Verlust der Professur und Rauswurf aus der Partei.

Aus den MfS-Akten ist nicht ersichtlich, dass sich Robert Havemann der Zusammenarbeit mit dem MfS bewusst entzogen hätte oder dies beabsichtigte. Es ist jedoch deutlich erkennbar, dass das MfS aufgrund der nicht abreißenden ideologischen Auseinandersetzungen um seine Person zunehmend selbst Zweifel am Sinn einer solchen Zusammenarbeit hatte und diese dann folgerichtig einstellte.

Isolation und Opposition

Havemann hatte Einspruch gegen seine Entlassung und gegen seinen Parteiausschluss eingelegt – ohne Erfolg. Auf ein theoretisch erfolgreicheres arbeitsrechtliches Verfahren wollte er sich nicht einlassen. Es erschien ihm zwecklos auf der Ebene des Arbeitsrechts eine Entscheidung anfechten zu wollen, die die SED aus politischen Gründen gefällt hatte.

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Havemann wurde fortan jede Möglichkeit, in der DDR das Wort zu ergreifen, genommen. Von 1976 bis 1979 wurde er gar unter Hausarrest gestellt, um selbst seine Bewegungsmöglichkeiten innerhalb der DDR abzuschneiden. Trotzdem war er für alle oppositionellen Kräfte in der DDR eine Galionsfigur. Mit dem Liedermacher Wolf Biermann verband ihn eine enge Freundschaft. Gegen dessen Ausbürgerung 1976 protestierte Havemann mit einem Brief an den SED-Vorsitzenden Erich Honecker.  Am 9. April 1982 starb Robert Havemann in Grünheide bei Berlin.

Robert Havemann beim Verlassen eines PKW. Am Steuer des Autos sitzt Wolf Biermann.
Die Stasi beschattete die beiden Oppositionellen Robert Havemann und Wolf Biermann (hier am Steuer des PKW). Havemann und Biermann waren eng miteinander befreundet.Quelle: BStU, MfS, HAXX, Fo, Nr. 1383, Bild 1

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