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Besuch des ukrainischen Außenministers Andrii Sybiha im Bundesarchiv in Berlin-Lichterfelde

Besuch des ukrainischen Außenministers Andrii Sybiha im Bundesarchiv in Berlin-Lichterfelde, Quelle: Bundesarchiv / Placek

Pressemitteilung

Bundesarchiv digitalisiert ukrainische Filme

Ukrainischer Außenminister Andrii Sybiha nimmt in Berlin Sammlung in Empfang

Das Bundesarchiv hat heute in Berlin-Lichterfelde dem ukrainischen Außenminister Andrii Sybiha eine Festplatte mit Filmen aus seinem Bestand überreicht, die einen engen Bezug zur Ukraine haben. Dies ist das Ergebnis einer intensiven Zusammenarbeit des Bundesarchivs mit ukrainischen Partnern in Film- und Archivwissenschaft, bei der diese Filme identifiziert und digitalisiert wurden. Sie sind nun zum ersten Mal und dauerhaft über den Digitalen Lesesaal des Bundesarchivs abrufbar und werden dem Oleksandr Dovzhenko National Centre zur Bewahrung und Auswertung zur Verfügung gestellt.

Andrea Hänger, Vize-Präsidentin des Bundesarchivs, sagte: „Der Krieg gegen die Ukraine richtet sich auch gegen ihre Kultur und deren Institutionen, die für die Identität des Landes stehen. Wir wollen deshalb ein Zeichen der Solidarität und Unterstützung senden. Filme sind in besonderer Weise Zeugnisse des kulturellen Selbstverständnisses eines Landes, das zu bewahren die Aufgabe von Archiven ist. Zugleich soll das reiche Kulturerbe der Ukraine auch hierzulande einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.“ 

Andrii Sybiha, ukrainischer Außenminister, sagte: „Wir sind dem Bundesarchiv dankbar für die Unterstützung bei der Wiederherstellung unserer Kulturgüter. Diese einzigartigen Kunstwerke und Dokumentarfilme geben einen Einblick in den jahrhundertelangen Unabhängigkeitskampf der Ukraine sowie in die totalitäre Sowjetherrschaft der 1930er und 1940er Jahre. Es bleibt noch viel zu tun, um diese und andere historische Quellen zu erforschen und die ukrainische Geschichte zu dekolonisieren.“

Volodymyr Sheiko, Generaldirektor des Ukrainischen Instituts, erklärte: „Die Arbeit mit Archiven und Archivalien aus und über die Ukraine spielt eine Schlüsselrolle für die Bewahrung und das Verständnis der Vielfalt und Tiefe der ukrainischen Kultur. Die Zusammenarbeit mit dem deutschen Bundesarchiv unterstreicht den Wert dieser Arbeit. Die wiederhergestellte Sammlung umfasst bedeutende Werke wie die einer der ersten Regisseurinnen der Ukraine und Beispiele für ukrainische Animationsfilme. Dies sind wichtige Beiträge zum ukrainischen Kino und seinem Erbe, die eine breitere Perspektive auf seine Geschichte und Traditionen sowohl innerhalb der Ukraine als auch international bieten.“

Olena Honcharouk, Leiterin des Dovzhenko-Zentrums, sagte: „Eine Gemeinschaft, die Ziel von Aggressionen ist, sollte eine Stimme haben, sichtbar bleiben und auch die Fortentwicklung der Zivilgesellschaft aufrechterhalten können. Die Tatsache, dass das Dovzhenko-Zentrum trotz des furchtbaren Krieges professionelle Archivierungs- und Forschungsarbeit leistet, ist für uns eine große Motivation – auch dank des großen Beitrags unserer Partner. Die Zusammenarbeit mit dem Bundesarchiv bei der Rückführung des ukrainischen Filmerbes begann lange vor dem Krieg im Jahr 2014. Die leidenschaftliche Arbeit von ukrainischen und deutschen Filmforschern und Archivaren hat uns geholfen, die Lücken im ukrainischen Kulturprozess der 1920er bis 1930er Jahre zu schließen. Dieser einzigartige Bestand gibt uns ein Gefühl der Zusammengehörigkeit und neue Energie, um die kulturelle Identität zu verteidigen und zu pflegen.“

Bei der Auswahl handelt es sich um drei lange und einen kurzen Spielfilm, zwei Animationsfilme sowie drei Dokumentarfilme. Einige davon sind laut den bisherigen Recherchen weder in der Ukraine noch in Russland und im Bundesarchiv teilweise auch nur als unikale, zeitgenössische Kopien auf Zellulosenitrat-Träger überliefert. Dazu gehören der verloren geglaubte Kinderfilm „Pozdorovljaju z perechodom / Gratuliere zur Versetzung“ (1932) der ukrainischen Regisseurin Їvha Hryhorovyč, eine der wenigen weiblichen Filmemacherinnen der Ukraine in den 1930er Jahren. Der Film „Die Bolschewisten-Greuel vom 21. August 1919 oder Kiews Schreckenstage“ (1919) zeigt die ungeschönte Brutalität des Bürgerkriegs.

Seit Beginn des Krieges hat das Bundesarchiv seine Zusammenarbeit mit ukrainischen Archiven weiter vertieft. Es hat ukrainischen Archiven mit Geräten wie Scannern und weiterem Material geholfen, um ihre Bestände im Kriegsgebiet sichern zu helfen und zu digitalisieren. Das Bundesarchiv ist Kooperationspartner des Holocaust-Gedenkortes „Babyn Yar Holocaust Memorial Center“. Mit dem Stasi-Unterlagen-Archiv ist die Ukraine über die Zusammenarbeit im Europäischen Netzwerk der für die Geheimpolizeiakten zuständigen Behörden verbunden.

Hintergrund

Das Dovzhenko-Zentrum

Das Nationale Oleksandr-Dovzhenko-Zentrum (Dovzhenko-Zentrum) ist das größte ukrainische Filmarchiv mit einer umfangreichen Sammlung von Spiel- und Dokumentarfilmen, ukrainischen und ausländischen Animationsfilmen und Tausenden von Archivalien aus der Geschichte des ukrainischen Films. Es ist auch ein kulturelles Zentrum, das zur Heimat verschiedener Künste und Aktivitäten wurde.

Das Ukrainische Institut

Das Ukrainische Institut ist eine staatliche Einrichtung, die sich der weltweiten Förderung und Präsentation der ukrainischen Kultur widmet, sowie kulturelle Beziehungen zu anderen Ländern aufbaut und pflegt. Ziel des Instituts ist es, die internationale Präsenz der Ukraine durch interkulturelle Zusammenarbeit zu stärken. Seit 2018 ist das Institut global tätig, mit seinem Hauptsitz in Kyjiw. Im Jahr 2023 eröffnete es seine ersten Zweigstellen in Europa, in Berlin, Deutschland, und Paris, Frankreich. Das Ukrainische Institut ist dem ukrainischen Außenministerium angegliedert.

Hintergrund zur Filmliste

Die Filme im Überblick:

  • Die Bolschewisten-Greuel vom 21. August 1919 oder Kiews Schreckenstage (1919)
  • Tamilla (1927)
  • Škurnik (1929)
  • Pozdorovljaju z perechodom / Gratuliere zur Versetzung (1932)
  • Čvanlive kurča / Die Abenteuer des ehrgeizigen Hähnchens (1936)
  • Pro pana Lebedenka / Das Lied von Lebdenko (1936)
  • Provody na l‘dine / Abschied auf der Eisscholle (1938)
  • V byvašem gnizdi mrakobissja (1938) / Im ehemaligen Nest des Obskurantismus
  • Po Dnipru / Den Dnipro entlang (1940)

Einer der erstaunlichsten Funde im Bestand des Bundesarchivs ist sicherlich der als verloren geglaubte Kinderfilm Pozdorovljaju z perechodom / Gratuliere zur Versetzung“ (1932) der ukrainischen Regisseurin Їvha Hryhorovyč (1905–1978), die eine der wenigen weiblichen Filmemacherinnen der Ukraine in den 1930er Jahren war. Als vormalige Lehrerin war sie prädestiniert dafür, Lehr- und Aufklärungsfilme ebenso wie Kinderfilme zu drehen, wovon jedoch nur wenige überliefert sind. In „Gratuliere zur Versetzung“ zeigt sie mit großer Sensibilität die Freuden und Mühen einiger Sechstklässler kurz vor der Zeugnisvergabe. Der Film wurde nach Fertigstellung der Restaurierung bei den 39. Bonner Stummfilmtagen 2023 zuerst wieder vorgeführt.

Weiterhin konnten zwei bislang unbekannte Fassungen von überlieferten Stummfilmen ausfindig gemacht werden: Tamilla (1927) – ein unbarmherziges Frauenschicksal in der Wüste Nordafrikas, basierend auf einem Roman von Ferdinand Duchêne – und Škurnik (1929), in dem ein einfacher Mann auf einem Kamel durch die Wirren des sowjetischen Bürgerkrieg navigieren muss. Gespickt mit Sarkasmus und absurden Einfällen, die sich über alle Seiten des Konflikts gleichermaßen lustig machen, wurde der Film sofort nach Fertigstellung verboten und erst viele Jahre später wiederentdeckt.

Ebenfalls zensiert wurde der Film Pro pana Lebedenka / Das Lied von Lebdenko (1936) (noch nicht online) – eine zunächst verbotene, dann lange Zeit nicht mehr auffindbare Adaption des ukrainischen Volksliedes „Yarom, khloptsi, yarom“ („Durch die Schlucht, Jungs, durch die Schlucht“). Die Tonspur dafür ist nicht mehr überliefert.

Den tatsächlichen Bürgerkrieg in seiner ungeschönten Realität kann man in Die Bolschewisten-Greuel vom 21. August 1919 oder Kiews Schreckenstage (1919) betrachten. Das erschreckende Filmdokument zeigt explizite Aufnahmen von den Opfern der Kampfhandlungen und dem Leben in den vom Krieg gezeichneten Städten der Ukraine.

Dem heutigen Kriegsschauplatz und gleichzeitig Lebensader der Ukraine, dem Fluss Dnipro, begegnet man in dem dokumentarischen Kurzfilm Po Dnipru / Den Dnipro entlang (1940) (noch nicht online). Der Film galt bislang als verschollen. In ihm wird der Aufbau der Ukraine als sowjetischer Musterstaat ganz im Sinne der kommunistischen Propaganda dargestellt.

Ein weiteres Beispiel sowjetischer Propaganda stellt V byvašem gnizdi mrakobissja / Im ehemaligen Nest des Obskurantismus (1938) dar. Der antiklerikale und atheistische Aufklärungsfilm wurde im Höhlenkloster Kyjiw gedreht und macht sich dabei über Bräuche und Sitten der alten Religionen lustig.

Einen Einblick in die reiche, aber kaum überlieferte Tradition der ukrainischen Animationsarbeit geben die beiden kurzen Filme Čvanlive kurča / Die Abenteuer des ehrgeizigen Hähnchens (1936) und Provody na l‘dine / Abschied auf der Eisscholle (1938), die beide bislang ebenfalls als verloren galten. Gerade „Abschied auf der Eisscholle“ lässt auch eine subversive Lesart zu, in der die Tiere des Nordpols sich überaus über den Rückzug der sowjetischen Besucher (oder Besatzer) aus deren Heimat erfreuen. Die Tonspur dieses vermutlich nie komplett fertiggestellten und nie veröffentlichten Films existiert in der bisherigen Überlieferung nicht mehr. Der Film wurde beim UNESCO-Welttag des audiovisuellen Erbes 2023 im Zeughauskino des Deutschen Historischen Museum Berlin zum ersten Mal gezeigt.

Kontakt zur Pressestelle

Elmar Kramer, Stellv. Pressesprecher

Pressesprecher

Elmar Kramer

Telefon: 030 18 665-7181
E-Mail: elmar.kramer@bundesarchiv.de