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Bundesminister der Verteidigung Volker Rühe steht am Rednerpult im Deutschen Bundestag und hält eine Rede anlässlich einer Diskussion um den Bundeswehreinsatz in der Adria.

Verteidigungsminister Volker Rühe bei einer Bundestagsrede zum Einsatz der Bundeswehr in der Adria, 22. Juli 1992, Quelle: Bundesregierung, B 145 Bild-00119364 / Stutterheim, Christian

Neue Aufgaben für die Bundeswehr?

Die vom Deutschen Bundestag eingesetzte Jacobsen-Kommission legte im September 1991 ihren Bericht zu künftigen Aufgaben der Bundeswehr vor. Dieser empfahl der Bundesregierung, dass die Bundeswehr auch militärische Beiträge im Rahmen des internationalen Krisen- und Konfliktmanagements leisten sollte.

Der weltpolitische Umbruch 1989/90 verlangte von der Bundesrepublik Deutschland eine grundlegende Überprüfung und Anpassung ihrer Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Dies galt zum einen für die Bundeswehrplanung 1984, deren Ziele in der Schlussphase der Ost-West-Konfrontation immer schwieriger zu erreichen waren. Hier machte den Bundeswehrplanern vor allem die Abnahme der Anzahl von Wehrpflichtigen eines Jahrgangs aufgrund der kleineren Jahrgangsgrößen Sorgen. Hinzu kamen die immer weiter steigenden Verteidigungsausgaben.

Anfang der 1990er Jahre stand die Bundeswehr zumindest kurzfristig vor dem entgegengesetzten Problem: Die Wiedervereinigung bedeutete das Ende der Nationalen Volksarmee (NVA) der DDR. Der Zwei-plus-Vier-Vertrag verpflichtete die Bundesrepublik, ihre Streitkräfte innerhalb weniger Jahre stark zu verkleinern. Allein die Bundeswehr überstieg mit ihren mehr als 450.000 Soldaten die vertraglich vorgegebene Grenze von 370.000 Soldaten bei Weitem. Hinzu kam das von der NVA übernommene Personal. Dies erforderte eine Neubewertung der Planungen über Struktur und Umfang der Bundeswehr.

Eine Kernfrage für die Planungen der neuen gesamtdeutschen Bundeswehr waren ihre künftigen Aufgaben. Am Beispiel des Zweiten Golfkriegs 1990/91 und des ab 1991 beginnenden Zerfalls des ehemaligen Jugoslawiens zeigten sich grundlegende Veränderungen des sicherheits- und verteidigungspolitischen Umfelds des wiedervereinigten Deutschlands. Unter diesen Voraussetzungen unternahm die Unabhängige Kommission für die künftigen Aufgaben der Bundeswehr unter dem Vorsitz des Politikwissenschaftlers Prof. Dr. Hans-Adolf Jacobsen (Jacobsen-Kommission) eine Standortbestimmung.

  • Deckblatt eines maschinenschriftlichen Dokuments mit handschriftlichen Ergänzungen
    Unabhängige Kommission für die künftigen Aufgaben der Bundeswehr: Abschlussbericht und Empfehlungen, September 1991 (Druck)

Das präsentierte Dokument stammt aus Archivgut mit der Signatur BArch, BW 2/32260. Dabei handelt es sich um eine Akte aus dem Registraturgut des Führungsstabes der Streitkräfte im Bundesministerium der Verteidigung. Dort wurde ein gedrucktes Exemplar des Kommissionsberichts zusammen mit Auswertungen der im Bericht ausgesprochenen Empfehlungen zu den Akten genommen.

Historischer Hintergrund

Der Deutsche Bundestag erteilte der Bundesregierung am 7. Dezember 1989 den Auftrag zur Einrichtung der Jacobsen-Kommission. Er folgte damit einem Antrag der Fraktionen der Regierungskoalition von CDU/CSU und FDP unter Bundeskanzler Helmut Kohl. In der vorangehenden Plenardebatte charakterisierte Verteidigungsminister Gerhard Stoltenberg (CDU) die anstehenden Veränderungen und Umstellungen für die Bundeswehr als „eigentlich nur vergleichbar mit der Aufstellungsphase der Bundeswehr“ – ohne dass die Auswirkungen des Umbruchs von 1989/90 bereits vollumfänglich absehbar waren.

Gut zwei Jahre später, am 16. Januar 1992, kündigte Stoltenberg vor dem Parlament „eine grundlegende konzeptionelle Neuorientierung unserer Streitkräfte von einer Präsenzarmee hin zu einer Ausbildungs- und Mobilmachungsarmee mit einer begrenzten Anzahl von schon im Frieden einsatzbereiten Verbänden“ an. Dabei nahm er Bezug auf die Empfehlungen der Jacobsen-Kommission.

Künftig stellte sich der Bundeswehr eine doppelte Aufgabe: Landes- und Bündnisverteidigung einerseits, weltweite Einsätze im Rahmen der internationalen Krisen- und Konfliktbewältigung andererseits. Der daraus erwachsende personelle und finanzielle Bedarf war nur schwer vereinbar mit dem politischen wie gesellschaftlichen Wunsch nach einer „Friedensdividende“. Schließlich war der Verteidigungsdruck durch das Ende der Ost-West-Konfrontation weggefallen. Zudem blieb die rechtliche Zulässigkeit von militärischen Einsätzen außerhalb der Grenzen der Landes- und Bündnisverteidigung („out of area“) umstritten – zumindest bis zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Auslandseinsätzen von 1994.

Bundesminister der Verteidigung Volker Rühe steht am Rednerpult im Deutschen Bundestag und hält eine Rede anlässlich einer Diskussion um den Bundeswehreinsatz in der Adria.
Bundesminister der Verteidigung Volker Rühe bei einer Rede vor dem Deutschen Bundestag am 22. Juli 1992. Darin rechtfertigte er den Einsatz der Bundeswehr in der Adria. Rühe bekräftigte, dass die Landes- und Bündnisverteidigung auch weiterhin Aufgabe der Bundeswehr sei. Zugleich kündigte er die Ausrichtung der Bundeswehr auf die neuen Aufgaben anQuelle: Bundesregierung, B 145 Bild-00119364 / Stutterheim, Christian

„Dabei bleibt es bei dem, was ich gesagt habe: daß die Kultur der Zurückhaltung, die sich in den vergangenen 40 Jahren in Deutschland entwickelt hat, für die wir uns nicht zu schämen brauchen, nicht einfach wegkommandiert werden kann. Aber richtig ist auch, daß wir uns nicht weiter mit der Zurückhaltung, die wir damals üben konnten, häuslich in einer Welt einrichten können, die es nicht mehr gibt.“

Verteidigungsminister Volker Rühe am 22. Juli 1992 im Deutschen Bundestag