Am 13. April 1968 trafen die beiden Torpedofangboote „Najade“ und „Triton“ der Bundesmarine im Fehmarnbelt auf die MS „Völkerfreundschaft“. Sie hatten den Auftrag, einen DDR-Bürger bei seiner Flucht durch einen Sprung in die Ostsee zu unterstützen. Bei den Stör- und Rettungsmanövern der Schiffe kollidierten die „Najade“ und die MS „Völkerfreundschaft“ unbeabsichtigt miteinander. Der flüchtende DDR-Bürger konnte wohlbehalten aus dem Wasser geborgen werden.
Doch die Kollision hatte erhebliche Schäden an den beiden Schiffen verursacht. Da sich die Aktion nicht lange geheim halten ließ, versuchte das Bundesministerium der Verteidigung, die Aktion im Nachhinein als zufälliges Aufeinandertreffen darzustellen. Der interne Bericht des Schiffskommandanten der „Najade“ belegt indes, dass es sich um eine zuvor geplante Operation handelte, in die zudem noch das Flottenkommando als verantwortliche Stelle für alle seegehenden Einheiten eingebunden war.
Das vorliegende Dokument stammt aus Archivgut mit der Signatur BArch, BM 10/830. Diese Akte entstand beim Flottenkommando der Bundesmarine, das ab den frühen 1960er Jahren für die Einsatzführung in Nord- und Ostsee verantwortlich war. Enthalten sind außerdem mehrere Fernschreiben, die während der Fluchtaktion abgesetzt wurden, sowie nautische Skizzen zum Hergang.
Historischer Hintergrund
Die westliche Ostsee ist im Länderdreieck Deutschland – Dänemark – Schweden geprägt durch die Meerengen Fehmarnbelt, Großer Belt und Öresund. An diesen Stellen lassen sich Ein- und Ausfahrten in die Ostsee vergleichsweise einfach überwachen. Sowohl die westdeutsche Bundesmarine als auch die Volksmarine der DDR machten sich diese Gegebenheiten während des Kalten Krieges zu Nutze und stellten seit den frühen 1960er Jahren dauerhaft Einheiten zur Beobachtung des militärischen Schiffsverkehrs ab. Im Westen wurde diese Aufgabe „taktische Nahaufklärung“ genannt, im Osten „Vorpostendienst“.
Da beide Seiten dieselben Seewege beobachteten, kam es unvermeidbar zu regelmäßigen Aufeinandertreffen. Besonders in den 1960er Jahren verliefen diese häufig feindlich, aber ohne Waffeneinsatz. Üblich waren etwa Abdrängmanöver, „Beschuss“ mit Signalmunition oder absichtliches Blenden der Besatzung durch Scheinwerfer bei Nacht.
Darüber hinaus gab es für Einheiten der Bundesmarine die Vorgabe, DDR-Bürgerinnen und -Bürger bei Fluchtversuchen (gewaltlos) zu unterstützen. Der Aufwand, den die Bundesmarine im Fall der „Völkerfreundschaft“ betrieb, war allerdings nicht die Norm. Bei den meisten Rettungen flüchtiger DDR-Bürgerinnen und -Bürger durch westdeutsche Kriegsschiffe handelte es sich tatsächlich um zufällige Aufeinandertreffen. An Land war Fluchthilfe durch die Bundeswehr noch unwahrscheinlicher, da in unmittelbarer Nähe der Grenze – außer im Verteidigungsfall – nur der Bundesgrenzschutz tätig werden durfte. Insofern blieb die Causa „Völkerfreundschaft“ in der Geschichte der Bundeswehr ein singuläres Ereignis.
Offiziell tragen die Seestreitkräfte der Bundeswehr seit 1956 den Namen „Marine“. Sie nutzte jedoch viele Jahrzehnte den Namen Bundesmarine, nicht zuletzt als Abgrenzung zur Volksmarine der DDR. Seit 1995 lautet die offizielle Bezeichnung „Deutsche Marine“, wenn die Seestreitkräfte der Bundeswehr im internationalen Rahmen auftreten.