Online-Datenbank "Die DDR im Blick der Stasi"
Die Datenbank zu den geheimen Berichten, die die "Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe" (ZAIG) des MfS verfasst hat, gewährt den Zugriff auf sämtliche Dokumente eines Jahrgangs.
MehrDaniela Münkel, Roland Jahn, Dagmar Hovestädt und Bernd Roth (von links nach rechts), Quelle: Stasi-Unterlagen-Archiv / Witzel
Jedes Jahr der DDR seit 1953 wird in der Edition "Die DDR im Blick der Stasi" analysiert. Das Jahr 1983, Gegenstand des Gesprächs, war durch die global eskalierte nukleare Konfrontation und die deshalb erstarkende Friedensbewegung, den drohenden Staatsbankrott der DDR und ein frustrierendes Gefühl von Stagnation in der Bevölkerung geprägt. Seit über 10 Jahren liefern Historikerinnen und Historiker des Stasi-Unterlagen-Archivs mit dieser Edition auch Einblicke in das geheime Berichtswesen der Stasi an die Staats- und Parteiführung. Es diskutieren Zeitzeugen und Forschende.
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Sprecherin: "111 Kilometer Akten - [Ausschnitt einer Rede von Erich Mielke: ...ist für die Interessen der Arbeiterklasse!] - der offizielle Podcast des Stasi-Unterlagen-Archivs".
Maximilian Schönherr: Wir begrüßen Sie zu unserem Podcast. Dagmar Hovestädt leitet die Abteilung Kommunikation und Wissen des Stasi-Unterlagen-Archivs im Bundesarchiv. Ich bin Maximilian Schönherr und kenne als Journalist für öffentlich-rechtlichen Rundfunk das Audioarchiv der Stasi ganz gut.
Dagmar Hovestädt: Wir beschäftigen uns heute mit einem Projekt, das die Forscher*Innen des Stasi-Unterlagen-Archivs schon seit über 10 Jahren betreiben: Die Edition "DDR im Blick", zu der es sowohl gedruckt Bände als auch eine Online-Datenbank gibt.
Maximilian Schönherr: Was genau ist das nochmal, diese Edition? Ich kenne ja eure Hefte zum Beispiel Rolling Stones, Udo Lindenberg.
Dagmar Hovestädt: Das sind unsere Dokumentenhefte. Die Dokumentenhefte das sind, sag ich mal, so kleine Einstiegsangebote überhaupt mal Akten durchzublättern und sich damit zu beschäftigen. Aber die Edition ist eine von Historikern fachlich kommentierte Veröffentlichung von Unterlagen eines ganz spezifischen Bestandes, nämlich der Unterlagen der ZAIG, der Z-entralen A-uswertungs- und I-nformations-G-ruppe des Ministeriums für Staatssicherheit, also Z-A-I-G.
Maximilian Schönherr: Und ihr sagt nie ZAIG? Ihr sagt immer Z-A-I-G?
Dagmar Hovestädt: Das heißt immer Z-A-I-G. Dieser Bereich wurde 1953 in direkter Reaktion auf den Volksaufstand vom 17. Juni 1953 gegründet mit dem Ziel, niemals wieder von dem eigenen Volk mit einem Aufstand überrascht zu werden. Also diese Gruppe war dafür zuständig, relevante Informationen, die die Stasi im ganzen Land gesammelt hat, für die Staats- und Parteiführung zusammenzustellen und zu übermitteln, damit eben diese Leitungsebene jederzeit alle Informationen über das Land hatte, um handeln zu können. Insbesondere wenn die Stasi denkt, dass die Situation auch politisch gefährlich wird. Diese Berichte waren streng geheim und wurden nur einem speziell ausgewählten Kreis im Politbüro und Zentralkomitee übermittelt – durchaus ein stetig wechselnder Verteiler, was auch schon wieder interessant ist zu untersuchen: Wem wurden nämlich welche Informationen zugedacht?
Maximilian Schönherr: Wie muss man sich das vorstellen? Gab es da jeden Tag einen meterlangen Bericht über alles Mögliche aus dem ganzen Land oder nur einmal die Woche? Die Stasi hatte ja 15 Bezirksverwaltungen und über 200 Kreisdienststellen, da kam ja doch einiges an Informationen zusammen. Wie sortiert man das denn aus und was kommt davon nach Berlin in diese Berichte?
Dagmar Hovestädt: Genau das ist eines der spannenden Dinge dieser Edition. Also im Projekt geht das jahresweise vorwärts. Für jedes Jahr wird ein Bearbeiter oder eine Bearbeiterin bestimmt. Die liest dann alle Berichte dieser ZAIG und kommentiert sie mit Fußnoten. Dazu gibt es eine sehr umfassende Einleitung zu diesem Jahr und was da passiert und welche Trends und Entwicklungen es da zu beobachten gibt. Man versteht dann schon, dass es Auswahlprinzipien gibt und nicht jedes Vorkommnis auf Kreisebene in so eine Information an die Staats- und Parteiführung einfließt. Das verändert sich auch über die Jahrzehnte. Diese Berichte wurden je nach Lage mal täglich, mal jeden zweiten oder dritten Tag zusammengestellt, selten auch mehrmals täglich. Auch das kann bei einer Analyse eines jeden Jahrgangs dann nachvollziehbar gemacht werden.
Maximilian Schönherr: Ihr habt 13 Jahre an Berichten schon in der Edition publiziert und 11 Jahrgänge online gestellt. Zwischen Buchpublikation und "Online-Stellung für Jedermann" vergeht immer ungefähr ein Jahr. Man kann also als interessierter Nutzender selbst die Berichte der Stasi durchstöbern und die Fußnoten lesen, also die wissenschaftlichen Arbeiten lesen. Wie lautet die Webseite?
Dagmar Hovestädt: www.ddr-im-blick.de
Maximilian Schönherr: Heute geht es im Podcast um das Jahr 1983, also den neuesten Band der Edition. Macht ihr das eigentlich chronologisch?
Dagmar Hovestädt: Definitiv nicht. Der erste Band war 1976, dann kam 1988, dann 1961, mehrere zu den 1950ern. Das hat die Herausgeberin der Edition, meine Kollegin Prof. Dr. Daniela Münkel, so entschieden, dass es interessanter ist, auch für die Nutzenden, wenn man in den Jahrzehnten wandert. Bisweilen kommen die Bände dann aber zu Jubiläumsjahren, also der 1989er Band zum 30. Jahrestag des Mauerfalls zum Beispiel. Der neueste Band 1983 ist also jetzt, im Spätsommer 2021, auch noch nicht online. Wir haben ihn im Sommer auf dem Innenhof der Stasi-Zentrale in Berlin-Lichtenberg vorgestellt. Es kommen die beiden Bearbeiter des Jahres zu Wort sowie zwei Zeitzeugen des Jahres 1983 und die Herausgeberin der Reihe.
Maximilian Schönherr: Es beginnt Mark Schiefer, gefolgt von Martin Stief: Beide sind Historiker im Stasi-Unterlagen-Archiv und stellen die Bedeutung des Jahres 1983 heraus. Dann wendest du als Moderatorin dieser Veranstaltung dich Roland Jahn zu. Jahn war der letzte Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, tritt hier aber als Zeitzeuge des Jahres 1983 auf. Für ihn war das ein besonders dramatisches Jahr. Wir verraten mal nicht mehr. Der zweite Zeitzeuge, den wir im Anschluss an Jahn hören, ist Bernd Roth. Schon sehr skurril in diesem Zusammenhang. Er war damals Major beim Ministerium für Staatssicherheit — also ein Mann der Gegenseite. Davon gibt es wahrscheinlich nicht sehr viele, die auf so ein Podium gehen würden oder?
Dagmar Hovestädt: Leider zu wenige, die so wie er kritisch reflektieren in was für ein Apparat sie damals gearbeitet haben, die eine neue Einstellung dazu gefunden haben und sich dazu auch öffentlich verhalten. Davon gibt es sehr wenige. Es gibt schon so einige, die das rechtfertigen. Die sind auch nicht uninteressant, weil man dann versteht, wie der Apparat von innen funktioniert. Aber das ist dann eben nicht so sehr hilfreich, wenn jemand das bis heute alles rechtfertigt und glatt ziehen will. Und die große Mehrzahl der noch heute Lebenden, die damals im Ministerium gearbeitet haben, schweigt halt lieber.
Maximilian Schönherr: Deswegen wird es auch ein Gespräch über Inhaftierte und Handlanger der DDR-Staatsmacht. Wer diesen Podcast kennt, wird Daniela Münkel kennen. Sie ist die Herausgeberin der Edition über das Jahr 1983 und seit langem deine Kollegin und jetzt Leiterin der Forschung im Stasi-Unterlagen-Archiv.
Dagmar Hovestädt: Dann legen wir los, Mark Schiefer beschreibt eingangs die drei zentralen Probleme des Jahres 1983.
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Dr. Mark Schiefer: Die erste Herausforderung war eine schwere Wirtschafts- und Zahlungsbilanzkrise im Jahr 1989. Die DDR stand in diesem Jahr kurz vor der Zahlungsunfähigkeit. Man kann sagen, dass wirtschaftlich die DDR in einer schwierigeren Situation 1983 als 1989. Die DDR war dabei kein Sonderfall, sondern Teil einer tieferen Strukturkrise im Ostblock. 1981 zum Beispiel hatten bereits Ungarn und Polen und Rumänien die Zahlungsunfähigkeit erklärt und der westliche Kapitalmarkt hatte darauf für den gesamten Ostblock mit einem Stopp von längerfristigen Krediten reagiert. Zu den unmittelbaren Ursachen für diese erste große Herausforderung zählten unter anderem deutlich gestiegene Rohstoffpreise aus der Sowjetunion, immer markantere Rückstände bei der Digitalisierung der Produktion. Die Produktivität war rückläufig und es gab vor allem in der DDR gestiegene Kosten für Soziales und Verteidigung. In den Stasi-Berichten wird dieses erste große Thema an ganz unterschiedlichen Stellen sichtbar. Unter anderem gibt es einen interessanten Bericht zur Leipziger Messe, wo die Außenhandelsbank zum Ersten Mal ihre Bilanzen offenlegt, was vorher nie passiert war und was sehr viele westliche Firmenvertreter auch überraschte. Und man wollte dann praktisch demonstrieren, wie erfolgreich der Ausgleich der Handelsbilanz bislang gelungen war. Die zweite Herausforderung, die deutlich wird in diesem Jahr, ist die Verschärfung des Ost-West-Konflikts. Ein Stimmungsbericht der Stasi vom Dezember 1983 zeigt eine ausgeprägte Kriegsangst in der ostdeutschen Bevölkerung. In allen Bevölkerungskreisen, heißt es, gebe es Erscheinungen von Pessimismus, Resignation und Angst vor der Zukunft. Nicht wenige meinen, so die Stasi, man müsse Sparguthaben auflösen, nicht mehr so viel arbeiten und anfangen zu leben, denn schon morgen könne alles vorbei sein. Hintergrund dieser etwas pessimistischen Stimmung war eine neue Qualität militärischer Spannungen seit 1977. Auslöser war vor allem die schrittweise Modernisierung des sowjetischen Atomwaffenarsenals mit der Stationierung von SS-20-Mittelstreckenraketen in Osteuropa, wodurch Moskau zum ersten Mal in die Lage versetzt wurde, sämtliche militärische Objekte in Westeuropa auf einen Schlag zu vernichten und das ohne das Territorium der USA zu gefährden. Und diese neue strategische Situation hatte das Potenzial, die NATO zu spalten, sodass es eine neue Bedrohungslage gab, worauf das Militärbündnis auf Initiative der Bundesrepublik dann mit dem legendären NATO-Doppelbeschluss reagieren musste 1979. Der Beschluss sah vor, dass man zunächst eine Verhandlungsphase ansetzt mit dem Ziel, die eurostrategischen Atomwaffen in Europa zu erfassen und zu reduzieren. Und als diese Gespräche dann im Sommer 1983 scheiterten, wurden in der Bundesrepublik und in drei weiteren europäischen Staaten moderne Marschflugkörper und Pershing II Raketen stationiert. Dafür gab der Bundestag am 22. November 1983 grünes Licht und die SED reagierte wiederum darauf Ende des Jahres, in dem sie die Bevölkerung auf eine sogenannte Nachnachrüstung einschwor. Man kann also sagen 1983 markiert das endgültige Ende der Ära der Entspannungspolitik. Das führt zur dritten Herausforderung für die SED in diesem Jahr, nämlich das Aufkommen einer blockübergreifenden Friedensbewegung. Es entstand ganz allgemein eine Protest- und Aufbruchsstimmung, die zumindest in vorsichtigen Ansätzen auch in der DDR spürbar war. Hier kamen seit Ende der 70er Jahre einzelne engagierte Bürger jenseits der offiziellen Massenorganisationen in unabhängigen, meist an die Kirche angebundenen, Basisgruppen zusammen. Beispielhaft dafür stehen zum Beispiel der Friedenskreis im mecklenburgischen Kessin, der Friedenspreis der Evangelischen Studentengemeinde hier in Berlin, einer der ersten Friedenskreise, die hoch engagierten Mitglieder der Dresdner Weinbergsgemeinde und auch die Friedensgemeinschaft in Jena, einer der wenigen Gruppen, die außerhalb kirchlicher Strukturen entstand. Die Themenpalette dieser Friedensgruppen war ziemlich vielfältig. Sie protestierten gegen die groteske Militarisierung von Kindergärten und Schulen, sprachen über die Zerstörung von Kulturdenkmälern und Siedlungsräumen, beispielsweise durch Straßenbau, Projekte und Tagebaue. Sie forderten Transparenz bei Umweltdaten und die Einführung eines sozialen Friedensdienstes. Dafür entwickelten sie auch ganz neuartige moderne Veranstaltungsformate. Es gab zum Beispiel Blues Konzerte und Schweigeminuten, Fastenaktionen und Friedensgebete, Lesekreise und Denkwerkstätten, Radsternfahrten oder Anti-Kriegsausstellungen. Das alles überwölbende Thema bei all diesen Veranstaltungen war die Verhinderung einer nuklearen Konfrontation zwischen den Blöcken und neue Wege zur Abrüstung in Ost und West. Man kann also sagen, dass mit ganz unterschiedlichen Bedeutungen sich das Wort Frieden ohne Frage zum Leitbegriff des Jahres 1983 entwickelte.
Dr. Martin Stief: So wie Mark Schiefer jetzt kurz ins Berichtssystem sowie in das Jahr 1983 eingeführt hat, möchte ich einen kurzen Blick auf die Berichtsfelder des Jahres '83 werfen. Und natürlich geht es da auch mit dem Großthema Frieden weiter. Das schlägt sich in ganz vielfältigen Berichten wieder. Für mich derweil die am beeindruckendsten sind die Berichte über die vielen unterschiedlichen Aktionen der Friedensgruppen. Denn sie zeichnen, wie ich finde, eine Gesellschaft in Bewegung nach. Zum Beispiel erfahren wir, dass im Schnitt etwa zwei bis zweieinhalbtausend Menschen Friedenswerkstätten oder Blues Messen in Ostberlin besuchten. Und die Stasi dokumentierte diese Veranstaltungen auch äußerst akribisch. Es wurde dokumentiert: Welche Gruppen haben teilgenommen, welche Plakate wurden gezeigt, welche Handzettel verteilt? Und damit hat uns die Geheimpolizei, wie ich finde, ganz unfreiwillig eine sehr wertvolle Quelle für die Geschichte der Friedens- und Oppositionsbewegung der DDR hinterlassen. Und natürlich standen auch die Kirchen, die als Schutzräume und zugleich Bühnen solcher Aktionen und Diskussionen dienten, ganz besonders stark im Fokus der Stasi. Die ZAIG berichtete regelmäßig und intensiv zum Beispiel über Tagung von Synoden und Kirchenleitungen oder auch über die Vorbereitung und Durchführung von Kirchentagen. Und besonders interessant finde ich diese Berichte, weil sich hier der zentrale Konflikt abzeichnet, der bis zum Ende der DDR immer wieder ausgetragen wird. Denn die Friedens- und Basisgruppen wollten nicht hinter verschlossenen Türen und nur über Religion und christliche Friedenspolitik diskutieren, sondern sie wollten mit ihrer Kritik an Politik und Staat in den öffentlichen Raum. Denn die Friedensdiskussion war für diese Friedensgruppen viel, viel mehr als nur eine Diskussion um Frieden, sondern auch immer eine Chiffre für Transparenz, für Teilhabe, für Meinungs- und Angstfreiheit. Die Kirchenleitung hingegen wollten keine dezidiert SED kritische Bewegung aus der Kirche heraus. Denn ganz besonders im Jahr 1983: Das Jahr war nicht nur das offizielle Karl Marx Jahr, sondern es war auch das Jahr der Luther Ehrungen. Und stärker als ohnehin waren viele Kirchenleitungen um ein eher auskömmliches Verhältnis mit SED und Staat bemüht, um ihre kirchlichen Interessen wie Kirchensanierung oder auch die Hoheit über die eigenen Kirchenordnung nicht zu gefährden. Kirchliche Friedenspolitik sollte in dieser Phase mit einer professionellen Kooperation zwischen Staat und Kirche verknüpft werden. Insbesondere die Evangelische Kirche der Kirchenprovinz Sachsen und die Landeskirche Thüringen waren mit ihren zahlreichen Erinnerungsorten Luther und die Reformation ganz besonders interessiert an einer konstruktiven Zusammenarbeit mit Staat und Partei. Und ausgerechnet in ihrem Verantwortungsbereich entstand eine unglaublich lebendige Oppositionsszene wie in Halle oder Jena. Und dies führte zu erheblichen Auseinandersetzungen, über die wir aber in der Podiumsdiskussion noch mehr erfahren werden. Zu den Dauerbrenner der ZAIG-Berichte zählen immer zwei große Themenbereiche Wirtschaft und Versorgung einerseits sowie Grenze, Flucht und Ausreise auf der anderen Seite. Zum Bereich Wirtschaft berichtete, das hat Herr Schiefer schon ausgeführt, die Stasi vor allem über Schadensfälle und Störungen, zum Beispiel bei Stromausfall in den Leuna-Werken oder den Ausbruch der Maul- und Klauenseuche im Kreis Ribnitz-Damgarten. Solche Mängel, Störungen oder Unfälle werden meist nur isoliert dargestellt für einzelne Betriebe oder für bestimmte Industriezweige. Im Januar '83 zum Beispiel, als die Stasi ganz ungeschönt und detailliert die 49 Brikett Fabriken des Landes als stark verschlissene, verschmutzte und störanfällige Industrieanlagen charakterisierte, in denen nur noch mit Ausnahmegenehmigung gearbeitet werden können. Solchen Zuständen lagen Missmanagement und Überforderung zugrunde. Und die findet man auch sehr schön in einem Bericht über das Motorradwerk in Zschopau wieder: Dieser Betrieb sollte 1982 60.000 Motorräder für den Westmarkt produzieren und exportieren. Eine Kontrolle der Stasi stellte nun aber fest, dass gerade mal ein Fünftel, also nur 12.000 Motorräder, verkaufsfähig waren. Die restlichen Motorräder und das kann man hier im Bericht sehen, waren nicht verkaufsfähig, weil Rohre, Speichen und Bremsscheiben verrostet waren. Sie hatten Lackschäden oder defekte Kolben und bei zahlreichen Motorrädern fehlten schlicht und einfach Spiegel, Blinker, Rückleuchten oder Hupen. Bemerkenswert für diesen Jahrgang ist, dass die wichtigen Themen, nämlich die Verschuldungskrise und die prekäre Versorgungslage der Bevölkerung, vollkommen ausgespart bleiben. Zwar kann man die Folgen der akuten Schuldenkrise und der Entschuldungspolitik in den Berichten noch greifen, wie zum Beispiel am Zustand der Brikett Fabriken. Aber zur Versorgungslage lieferte die ZAIG lediglich eine einzige Prognose über drohende Versorgungsprobleme und die liest sich wie eine Aneinanderreihung von erstaunlichen Erfolgsmeldungen. Natürlich war die Stasi sehr wohl über die angespannte Situation im Bilde und Rudi Taube, der Leiter des Berichtswesen de ZAIG, forderte sogar ganz explizit die Versorgungslage besonders im Blick zu behalten. Die SED-Führung wurde aber über diesen Gegenstand nicht unterrichtet und auch gesamtwirtschaftliche Analysen sucht man in den Berichten vergeblich. Ein anderer Bereich, ich hatte es angesprochen, der für die Partei und Staatsführung sowie für die Stasi immer eine hohe sicherheitspolitische Relevanz besaß, war Grenze, Ausreise und Flucht. Und 1983 möchte ich zwei Themen vorstellen. Das eine sind spektakuläre Fluchtversuche von denen es 1983 einige gab. Da gab es zum Beispiel den Versuch eines jungen Mannes, der eine S-Bahn Fahrerin entführt und versucht durch den Grenzbahnhof Friedrichstraße zu fliehen. Ende November versuchten zwei Männer, die Grenzübergangsstelle in Marienborn mit einem Tanklaster zu durchbrechen. Denen gelingt auch noch ein bisschen die Flucht, aber sie werden dann durch Anwendung der Schusswaffe von ihrer Flucht abgehalten. Und im Mai 1983 versuchte ein westdeutscher Pilot eine junge Studentin aus Thüringen zur Flucht zu verhelfen. Er wurde aber beim Einfliegen in den DDR Luftraum entdeckt, von sowjetischen Kampfhubschraubern verfolgt und ihm gelang wirklich nur in letzter Minute die Flucht zurück in die Bundesrepublik. Und die Stasi sprach in solchen Fällen immer von Luftraumverletzung und auch von diesen gab es 1983 mehrere. Im August '83 versuchten zum Beispiel zwei Greenpeace-Aktivisten mit einem Heißluftballon von West nach Ost-Berlin zu fliegen und die Vier-Mächtestadt symbolisch zu besetzen, um eben gegen die großen vier Atommächte zu protestieren. Die Aktion aber misslang, denn der Ballon wurde abgetrieben und landete in der Nähe des Flughafens Schönefeld. Und auch der Friedensflieger Swami Vishnudevananda war Mitte September 1983 von Westberlin aus mit einem Leichtbauflugzeug gestartet, überflog die Mauer, überflog auch Ostberlin und landet dann aber unbemerkt in Weißensee auf einem Acker. Solche und noch weitere Luftraumverletzungen führten Ende des Jahres dazu, dass die Stasi ihre Überwachungstätigkeit westlicher Flughäfen verstärkte, um so eine Aktion zukünftig zu unterbinden. Ja, meine sehr geehrten Damen und Herren, damit möchte ich auch schon zum Ende kommen. In ihrer Gesamtheit illustrieren die Berichte sehr anschaulich die angespannte Grundstimmung in der Spätphase des Kalten Krieges. Und sie zeigen durchaus eine Gesellschaft hin und her geworfen zwischen Zukunftsangst, Erstarrung, Aufbruchsstimmung und auch Ungeduld. Und wie die Zeitgenossen Roland Jahn und Bernd Roth auf dieses Bewegte aufblicken, erfahren wir nun im nächsten Teil. Vielen Dank.
Dagmar Hovestädt: Danke, Martin Stief und Mark Schiefer. Was die Perspektive derjenigen ist, die in den Berichten vorkommen oder sie auch verfassen, das wird uns ein bisschen jetzt beschäftigen. Ja, Roland Jahn, Jahrgang 1953 in Jena geboren und 1983 29 Jahre alt. Die Berichte hatten die unabhängigen und durch Kirchen geleiteten Friedensgruppen als ein Schwerpunktthema. Das Jahr '83 aus der Erinnerung heute als 29 jähriger, was fällt Ihnen dazu ein?
Roland Jahn: War ein tolles Jahr. Wir haben viel Spaß gehabt. Das war das Entscheidende. Aber der Staat DDR mit seiner Parteiführung und auch der Stasi, die haben nicht zulassen wollen, dass wir uns ein schönes Leben machen. Und deswegen haben sie das, was wir sozusagen an selbstbestimmten Leben organisiert haben, immer wieder versucht zu bekämpfen. Und wir haben aus diesen Zusammenhängen heraus immer wieder auch gesagt mit was man nicht einverstanden sind. Das fing halt mit ganz einfachen Dingen an, dass die Kinder im Kindergarten mit Kriegsspielzeug spielen sollten, das fanden wir nicht gut. Oder wir fanden auch nicht gut, dass insgesamt das ganze Leben so ein bisschen militarisiert wurde, wir kein selbstbestimmtes Leben führen konnten. Und so haben sich die einzelnen Leute dort, wo sie gearbeitet haben, dort wo sie in der Schule waren, ein bisschen zur Wehr gesetzt. Und in gewisser Weise, ja, ich sage mal, wir wurden zu Staatsfeinden erzogen. Und das hat sich natürlich dann im Jahre '83 etwas zugespitzt. Gerade weil die besondere Konstellation zwischen Ost und West, aber auch in der DDR, der wirtschaftliche Niedergang damals schon spürbar, auch die Partei und Regierung auch immer in Unruhe versetzt hat, wenn irgendwo Aktivitäten waren. Und das Jahr '83 hat natürlich eine Vorgeschichte. 1982 waren in Jena Aktivitäten, die dazu geführt haben, dass der Staat zugeschlagen hat. Sprich es wurden in Jena 14 Leute verhaftet, die alle in solchen Gruppen zusammenhängend waren und was natürlich dann auch für ein Aufsehen gesorgt hat in der Stadt, aber auch, weil das über die Westpresse auch dann kommuniziert wurde, insgesamt republikweit natürlich auch, Besorgnis erregt hat. Die Solidarität gerade auch von Gruppen der evangelischen Kirche in anderen Städten wie halt Halle, Berlin, Rostock, das war etwas, was wiederum dann zu Bewegung geführt hat und zu Auseinandersetzungen. Und so ging man dann in das Jahr '83 in eine Art und Weise, wo viele von uns im Gefängnis saßen, auch ich.
Dagmar Hovestädt: '83 beginnt das Jahr für Roland Jahn im Gefängnis, endet aber schon vorzeitig im Februar. Und dann wird in Jena der Rest der Menschen, die noch da sind, die in diesen Gruppen zusammenhängen, aktiv und es formiert sich die Friedensgemeinschaft Jena, richtig?
Roland Jahn: Ja, aber genau das war es. Die Öffentlichkeit über unsere Verhaftung hat dazu geführt, dass wir vorzeitig entlassen worden sind. Und das hat natürlich noch eine besondere Konstellation. Sowohl die Proteste im Rahmen der Evangelischen Kirche in der DDR, aber auch im Westen, als dann die ersten großen westlichen Friedensdemonstrationen, die ständig stattfanden '83, Plakate aufgetaucht sind: "Freiheit für die Jenaer Jugendlichen" zum Beispiel, da waren sozusagen spätestens da Erich Honecker und sein Politbüro alarmiert, dass damit die ganze Friedenspolitik der DDR, die sie versucht hat zu betreiben in der Form, in dem sie auch die westliche Friedensbewegung versucht hat zu instrumentalisieren, dass dieser Plan nicht mehr aufging, solange wir im Gefängnis saßen. Und ich erinnere mich noch, ich habe das nicht gesehen, aber die Freunde die es mir erzählt haben, als dann das Erste Deutsche Fernsehen in der Sendung Report, Franz Alt, der ja auch sozusagen als ein glaubwürdiger Journalist damals auch anerkannt war, über unsere Gruppe, die im Gefängnis saß, berichtet hat, war natürlich eine Situation, wo dann der Staat gehandelt hat. Und, ja, wir wurden alle 14, die da noch in Haft saßen, aus den unterschiedlichsten Gründen wieder entlassen. Und das war natürlich ein besonderer Moment. Auch da zeigt sich übrigens der Unrechtsstaat. Nämlich er entscheidet nach Belieben, nach politischer Selektion und nicht ob jemand Strafgesetze verletzt hat. In dem Fall war das für uns natürlich gut, dass wir rauskamen. Und das war natürlich ein Triumph. Jede Macht hat ihre Grenzen. Das war sozusagen mein Gedanke damals und das hat uns noch mal neu zusammengeführt. Teilweise Leute, die sich vorher gar nicht kannten in Jena, die kamen plötzlich zusammen und der Staat hat dazu geführt, dass unser Zusammenhalt noch größer wurde. Und das hat natürlich für uns auch eine Bedeutung gehabt, dass wir gesagt haben: Wir nutzen diese diesen neuen Freiraum, sie werden uns ja nicht gleich wieder einsperren. Und so haben wir uns dann zusammengefunden zur Gründung der Friedensgemeinschaft Jena. Äh - das war schon ein loser Zusammenschluss, aber er war halt außerhalb der Kirche und das war die Bedeutung des Ganzen. Und, ja, wir haben dann angefangen auch Aktionen zu machen und der Jahrestag der Bombardierung Jenas war so ein Anlass, wo wir dann gesagt haben: Tja, da könnten wir doch mal deutlich machen zu sagen, dass unsere Hauptbotschaft Frieden ist. Aber wir stellen uns unter Frieden auch Leben in Gerechtigkeit ohne Gewalt im Staate vor. Und mein Freund Michael Rost, der hier auch im Publikum sitzt, hat damals sozusagen die Dreistigkeit besessen, ist zum Rathaus der Stadt gegangen. Er hat gesagt: Wir melden diese Demo an. Seit Jahren hatte der Staat keine Demo organisiert. Und plötzlich hat wer gesagt: Die können Sie nicht anmelden, es findet eine staatliche Demonstration statt. Und da haben wir gesagt, dass wir daran mit eigenen Plakaten teilnehmen. Und haben dann unsere Losung draufgeschrieben: "Militarismus raus aus unserem Leben", "Kein Kriegsspielzeug" oder "Verzichtet auf Gewalt", das war meine Losung, weil ich ja kurz zuvor im Gefängnis Gewalt erlebt hatte. Sehr friedfertige Losung. Und was passierte? Wir sind auf den Jenaer Marktplatz eingelaufen. Und dann haben sie uns ja die Plakate entrissen, zerstört und uns verprügelt. Und wir haben aber gesagt: Na ja, früher haben sie uns eingesperrt, heute verprügelt sie uns nur und haben das Ganze als einen Gewinn gesehen für uns und haben gesagt, das ermutigt uns weiterzumachen.
Dagmar Hovestädt: Die Zeitzeugenerinnerungen an das, was in den Berichten steht. Bernd Roth, zu dem Zeitpunkt '83 Jahresanfang bis Jahresfrühjahr, sind Sie in der Kreisdienststelle Saalfeld im thüringischen aktiv. Sie sind ein bisschen älter als Roland Jahn zu dem Zeitpunkt um die 30, 31, ja, genau, Jahrgang 51. Wenn man nicht in Jena einer Kreisdienststelle, sondern in Saalfeld ist, kriegt man das dann mit? Wie wird das aus der Binnensicht wahrgenommen? Was sind das für Vorkommnisse im Denken der Stasi, ihrer damaligen Arbeitsstelle?
Bernd Roth: Also ich muss da schon sagen, dass mein Metier '83 ein völlig anderes war. Die Aktion Jahn hat am Rande logischerweise immer eine Rolle gespielt, weil da hinreichend Informationen gelaufen sind und das wurde also auch nicht unbedingt immer in der Person Jahn festgemacht. Aber-
Dagmar Hovestädt: Sie haben darüber in Dienstbesprechung Berichte gehört oder sowas?
Bernd Roth: Aber meine Probleme lagen eben anders.
Dagmar Hovestädt: Sie waren in der XVIII. und waren für den Wirtschaftsbereich zuständig.
Bernd Roth: Richtig. Und es gibt von 1982 eine komplexe Analyse der Hauptabteilung XVIII -
Dagmar Hovestädt: Wirtschaftsfragen, genau, ja.
Bernd Roth: Ob die nun in die eingeflossen ZAIG eingeflossen ist oder nicht eingeflossen ist, sei mal dahingestellt. Die lieben Genossen haben damals schon konstatiert, dass für das Jahr 1983 eine erhebliche Gefährdung der inneren Sicherheit eintreten wird in Zusammenhang eben mit der Nichterfüllung der staatlichen Finanzierung. Und man muss natürlich zu diesen ZAIG-Berichten auch sagen: Man darf nicht annehmen, dass in die ZAIG-Berichte alles das eingeflossen ist, was in den Kreisdienststellen eine Rolle gespielt hat. Also wir hatten zum Beispiel 1983 Parteiaustritte in Saalfeld in einem Betrieb. Da hat Mielke dann eine riesen Untersuchungstruppe geschickt. Wenn da zehn Leute, zwölf Leute aus der Partei austreten, dann ist 17. Juni nicht fern, um das mal bildhaft zu machen. Es hat sich auch letztendlich rausgestellt, dass die Leute einfach mit dieser maroden Wirtschaft nicht mehr einverstanden waren, dass die Leute dort mit dem Lötkolben noch bei Zeiss an den Werkbänken standen, um dort alte Leiterplatten zu bestücken. Da wurde schon das erste Mal dichtgemacht, weil man von Politbüro Seite dem General Biermann nicht auf die Füße treten wollte, wurde das das ganze Thema dann heruntergespielt. Ich habe an meinem Tisch oder wir hatten natürlich IMs, die in Stellung von Betriebsdirektoren waren. Da haben Leute bei der Betriebsleitung geweint, weil die beim Biermann Planfälschung unterschreiben mussten. Das war schon an der Tagesordnung.
Dagmar Hovestädt: Das heißt eine Bestätigung für den ersten Punkt der maroden Wirtschaft, der Nicht-Planerfüllung.
Bernd Roth: Ich wollte noch mal eine Episode dazu sagen, weil es auch dazugehört. Weil es sich aus dieser inneren Situation natürlich auch eine völlig andere Gangart gegen Leute, wie Roland Jahn, entwickelt hat und seine Freunde in Jena, weil jeder, der da seinen Kopf gehoben hat, um letztendlich in irgendeiner Weise, egal gegen was zu demonstrieren, gegen Verbote vorzugehen, musste mit allen Mitteln bearbeitet werden und zur Ruhe gebracht werden. Und deswegen sind es zwei solche Parallelen, die da gelaufen sind. Und äh-
Dagmar Hovestädt: Noch mal zum Verständnis: Die Wirtschaftskrise hat dazu geführt, dass auch jede Art von Protest noch schärfer zu bekämpfen war?
Bernd Roth: Ja klar, das ist die Logik. Ich meine mal, Roland Jahn ist verurteilt worden wegen dem Paragraph 220 öffentliche Herabwürdigung. Das ist im Urteil so festgeschrieben.
Roland Jahn: Ja.
Bernd Roth: Und eine öffentliche Herabwürdigung und da tritt das Unrecht zu Tage. Es ist ein Paragraph, wo drin steht, wenn jemand Aktivitäten unternimmt, die geeignet sind die staatlichen Institutionen etc., kann man nachlesen, herabzuwürdigen, dann stehen darauf drei bis fünf Jahre Strafe. Was hat er gemacht? Er ist mit der Solidarność-Fahne gefahren und da hat er ein paar ganz kuriose Auftritte geliefert mit der Stalin Geschichte und der Hitler Geschichte. Im Kern ja völlig wahr, muss man aus der heutigen Sicht ja auch so sehen. Und die Härte, die ihm da entgegenschlug, das sind also Dinge, die in keinster Weise und da lassen wir mal alle Ideologie beiseite, die in keinster Weise eine Rechtfertigung hatten.
Dagmar Hovestädt: Trotzdem noch mal um auch die inneren Abläufe zu verstehen: Wenn ich das, was Sie sagen, richtig begreife, dann taucht in den ZAIG-Berichten längst nicht das auf, was man an der Basis eigentlich weiß auch über die marode Wirtschaft. Und Sie kriegen trotzdem auch mit, was in benachbarten Diensteinheiten passiert. Und die Jenaer Truppe wie jetzt aus Saalfeld wie wahrgenommen? Als was für eine Art von Problem?
Bernd Roth: Die Bremsen waren ja schon drin in den Kreisdienststellen zu den ersten Kreissekretärinnen hin. Also wenn da die Nestbeschmutzer aufgetreten sind und haben hier in die ZAIG gemeldet und das ist zurückgekommen über die Parteistrecke, dann hat der erste Sekretär, wenn ihm das zur Kenntnis gelangt ist, logischerweise seinen Kreisdienststellenleiter bestellt und hat zu dem gesagt: Was ist da los, Genosse? Und man darf nicht vergessen, dass der erste Kreissekretär der SED Kreisdienststellenleiter entlassen konnte. Ja, so war das System. Und aus diesem Grunde wurde schon in den unteren Ebenen ausgesiebt, was letztendlich dann in die ZAIG nach oben geliefert wurde. Muss man eindeutig so sagen, weil da eben viele auch um Stellungen und sonstige Geschichten gefürchtet haben.
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Sprecher: Sie hören:
Sprecherin: "111 Kilometer Akten -
Sprecher: den offiziellen Podcast des Stasi-Unterlagen-Archivs."
Dagmar Hovestädt: Daniela Münkel, das Jahr 1983, die Einordnung der Jenaer Friedensgemeinschaft in das Szenario ist, dass Jena besonders herausgehoben oder ist Jena Teil einer größeren Bewegung, die in dem Jahr eine Rolle spielt? Eingedenk der Zusammenhänge zwischen den drei Komplexen, die doch miteinander verknüpft sind?
Prof. Dr. Daniela Münkel: Jena ist insofern besonders, dass dort schon sehr früh, seit den frühen 70er Jahren, eine doch sehr lebendige Oppositionsszene vorhanden war. Wahrscheinlich auch nicht zuletzt, weil es sich ja um eine Universitätsstadt handelt. Man war dort sehr aktiv und dann eben auch, Herr Jahn hat es ja erzählt, '82 zahlreiche Aktionen und dann auch die Gründung der Jenaer Friedensgemeinschaft ist ja auch etwas Besonderes gewesen, weil es eben außerhalb des Dachs der Kirche war und weil auch Kontakte zu Menschenrechts- und Friedensgruppen im Westen bestanden. Und das beides macht es für die Stasi besonders gefährlich aus sicherheitspolitischen Gründen und die Reaktion der Staatssicherheit auf diese Gründung und diese Aktion in Jena sind schon ziemlich hart. Woanders ist man natürlich auch dagegen vorgegangen, aber nicht so massiv wie in Jena. Weil als sich diese Friedensgemeinschaft gründet und dann ja sehr schnell sehr aktiv wird, will man sich schnell etwas überlegen, wie man das Problem lösen kann. Und das versucht man zu lösen, indem man sich der Leute, die dort aktiv sind, entledigt. Mit der sogenannten Aktion "Gegenschlag" versuchte man an den harten Kern der Jenaer Friedensbewegung in die Bundesrepublik abzuschieben. Das geht im März los und am Ende des Sommers sind 50 Personen nicht mehr in Jena. Und die Abschiebung oder die Ausbürgerung mit Gewalt von Herrn Jahn, da werden wir noch drauf zu sprechen kommen, ist dabei besonders herausragend im negativen Sinne. Also wir haben einerseits das Besondere an Jena andererseits gliedert es sich natürlich ein in das, was allgemein in der DDR passiert, nämlich die Konstituierung von Friedens- und Menschenrechtsgruppen in einem größeren Ausmaß. Vorher waren das eher weniger Einzelpersonen, aber jetzt gründen sich zahlreiche solcher Gruppen. Allerdings darf man auch nicht davon ausgehen, dass es sich hierbei um eine Massenbewegung handelt. Das ist ein sehr, sehr überschaubarer Kreis gewesen. Die Staatssicherheit schreibt '83 zwar nicht genau, wie viele Leute es sind, aber sie schreibt im Juni 1989 einen Bericht, wo sie ganz klar auflistet, wer wo aktiv ist und kommt zu dem Schluss, dass der große Kern dieser Gruppen sich aus 2.500 Personen zusammensetzt und den harten Kern beziffert sie mit 60. Also es ist wirklich eine sehr überschaubare Zahl von Leuten, die sich auch viel untereinander natürlich kannten.
Dagmar Hovestädt: Es ist von Roland Jahn eben schon mal angesprochen worden, dass es Solidarität gibt in der DDR. Man muss sich ja überlegen - '83 - Telefone waren sowieso selten, hatten Seltenheitswert, alles andere an Kommunikation war nicht vorhanden. Wie erfährt man überhaupt voneinander? Wie erfährt man überhaupt voneinander, dass die Jenenser wieder draußen sind aus dem Knast, dass sie sich neu formieren und dass aber auch die Aktion "Gegenschlag" dafür sorgt, dass etliche in den Westen getrieben werden und auch ausreisen? Wie läuft dieses Netzwerk an Informationen?
Roland Jahn: Es ging hauptsächlich über persönliche Bekanntschaften und Freundschaften. Und das sind dann teilweise Zufälle. Aber diese Zufälle sind auch gut genutzt worden. Und wir haben in Jena auch die besondere Situation gehabt, dass die Verhaftungswelle 1977 schon mal zu einer Ausbürgerung aus dem Gefängnis heraus geführt hat. Thomas Auerbach, Bernd Markowski, Jürgen Fuchs muss man auch dazu rechnen, der lange Jahre in Jena gelebt hat. Die wurden alle sozusagen nach neun Monaten Untersuchungshaft in den Westen abgeschoben. Und das waren ja unsere Freunde, mit denen wir nah waren. Und somit hatten wir immer nach Westberlin ganz konkret gute Verbindungen. Das heißt, alles was in Jena gemacht wurde, wurde dann immer gleich auch in den Westen die Information gegeben. Das war nicht so einfach, die Wenigstens hatten ein Telefon. Die Stasi hat aber auch versucht, das zu bekämpfen. Es wurden Leute, die telefoniert haben mit Westberlin bei irgendjemandem, den sie kannten, der ein Telefon hatte, die Leute wurden eingesperrt dafür. Das war Paragraph 219 Nachrichtenübermittlung. Es wurden sogar Leute inhaftiert, nur weil sie ihr Telefon zur Verfügung gestellt haben, dass jemand eine Nachricht, dass jemand verhaftet ist, in den Westen gibt. Und das war natürlich dann auch immer, sagen wir mal eine Einschüchterung, solche Westkontakte zu nutzen. Auf der anderen Seite haben wir dann auch angefangen nicht zu telefonieren, sondern es sind Leute nach Ost-Berlin gefahren, um wieder Freunde zu informieren, die Kontakte hatten zu westlichen Korrespondenten. Das war zum Beispiel unser Freund Lutz Rathenow, der in Jena gelebt hat, dort geboren war, der dann nach Berlin gezogen war, dort als freier Schriftsteller lebte. Der hatte diese Kontakte. Das heißt, wir haben ihm die Information gegeben. Er hat den Schmuggel der Informationen nach Westberlin organisiert, wie zum Beispiel von den Demonstrationen auf dem Jenaer Marktplatz. Da haben wir ganz gezielt gearbeitet, das einer unserer Freunde in einer Wohnung, auf dem Marktplatz saß und von oben fotografiert hat, sozusagen all das, was da stattfand. Es hat ein paar Tage gedauert, aber eine Woche später war es in den Tagesthemen, und das war natürlich etwas, was besonders wertvoll war. Dadurch hat die ganze Republik davon erfahren, was wir da Jena gemacht haben. Das konnten wir aber in dem Moment nur machen, weil wir gerade aus dem Knast rausgekommen waren. Und irgendwo hat das dann eine Eigendynamik gekriegt, wo wir immer aktiver wurden, wo sich die Lage aber auch immer weiter zugespitzt hat, sodass die Stasi dann mit dieser Aktion "Gegenschlag" versucht hat, die Szene zu spalten, Leute unter Druck zu setzen, dass sie in den Westen gehen. Das fing ja schon im Gefängnis an. Ich zum Beispiel habe im Gefängnis einen Ausreiseantrag geschrieben, weil ich von meinem Anwalt die Mitteilung bekommen habe, meine Freunde sind auch alle im Gefängnis und mich holt keiner mehr ab, wenn ich entlassen werde. Und er rät mir dazu, einen Ausreiseantrag zu stellen, denn in 14 Tagen könnte dann alles vorbei sein. Und so habe ich im Gefängnis, in der Hoffnung bald freigekauft zu werden, einen Ausreiseantrag geschrieben. Das der Rechtsanwalt Schnur war, der ein inoffizieller Mitarbeiter der Stasi war, habe ich erst später erfahren. Aber es war natürlich eine psychische Situation, wo dann dieser Gedanke "raus", so schnell wie möglich, einen geprägt hat.
Dagmar Hovestädt: Informationen in den Westen heißt natürlich auch Information in den Osten wieder zurück. Was im Westfernsehen zu sehen ist, kann man in der DDR wahrnehmen. Daniela Münkel hat dazu noch eine Bemerkung.
Prof. Dr. Daniela Münkel: Ja, ich wollte noch was sagen zu dieser Vernetzung. Jenseits dessen, was Herrn Jahn gesagt hat, fangen ja in dieser Zeit erstmals organisatorische Vernetzungen an. Anfang März gründet sich in Berlin das Netzwerk "Frieden konkret", dem 37 Gruppen angehören. Und da gibt es erste organisatorische Zusammenschlüsse. Dieses Netzwerk bleibt bis '89 bestehen und wird immer größer und ist ganz zentral. 1982 hat sich schon das Netzwerk "Frauen für den Frieden" gegründet, wo 40 autonome Frauengruppen sich zusammengeschlossen haben. Das sind so erste kleine Anfänge. Aber was natürlich richtig ist: Die Kommunikation war ja unheimlich schwer. Es gab ja nicht mal genug Telefone, geschweige denn alles andere. Und was wohl auch noch eine große Rolle gespielt hat, sind die sogenannten Samisdat Schriften, die Untergrund Schriften, durch die man sich ausgetauscht und Informationen ausgetauscht hat.
Roland Jahn: Das war ja dann auch so, dass durch die Bekanntheit, die wir dann bekommen hatten durch das Westfernsehen, plötzlich auch die Gruppen interessiert waren zu erfahren, was macht ihr da in Jena und so weiter. Und ich bin dann sozusagen in Ostberlin rum und habe die verschiedenen Akteure kennengelernt: Bärbel Bohley, Ulrike Poppe, Reinhard Schult. Das waren ja alles Leute, die in Berlin aktiv waren und so hat sich das gegenseitig wieder befruchtet und so weiter. Wir haben dann eine Ausstellung gemacht von unseren Demonstrationen und haben die hier in der Samariter Kirche aufgehangen, um die Ecke hier. Und bei Rainer Eppelmann, der damit auch die Möglichkeit gegeben hat, dass wir uns mit unseren Aktivitäten ausstellen. Und dadurch hat das natürlich noch mal eine andere Dynamik gekriegt. Und das wollte halt die Stasi dann mit dieser Aktion "Gegenschlag" verhindern, dass das sich weiter ausbreitet und hat dann die einzelnen Leute in Jena unter Druck gesetzt mit der Variante: In drei Tagen haben Sie im Westen zu sein, packen Sie Ihre Koffer. Und das war natürlich schwierige Momente von Entscheidungen für die einzelnen Leute, weil ja keiner geboren wurde, um seine Heimat zu verlassen, sondern da gab es Verbindungen, Familienverhältnisse, wo es sehr, sehr schwer war, da Entscheidungen zu treffen. Und trotzdem hat es die Stasi geschafft, den Druck so zu erhöhen, dass auch ein Teil dann gegangen ist, gerade auch wegen der Kinder.
Dagmar Hovestädt: Roland Jahn hat sich dem Gehen dann doch verweigert, ist aber - heute ist der 9. Juni - genau vor 38 Jahren gewaltsam in den Westen gebracht worden. Und da spielt Bernd Roth eine kleine, winzige Rolle. Aber die Weigerung, den Ausreiseantrag, den ausgefüllten, sozusagen in dem Sinne zu erfüllen, führt dazu, dass die Stasi dann entscheidet: Der muss jetzt einfach rausgebracht werden. Dazu werden insgesamt 100 Personen eingesetzt auf Seiten des Ministeriums für Staatssicherheit. Und Sie haben daran in dem Sinne mitgewirkt, als dass Sie was gemacht haben?
Bernd Roth: Ich war zu dem Zeitpunkt mit frei, weil ich stand kurz vor der Versetzung nach Eisenberg und da gab es einfach einen Marschbefehl. Und da hat man gesagt: "Das muss gesichert werden und da musste hin.", und da wurden die Autos zusammengestellt und dann wurde die Bahnstrecke abgesichert.
Dagmar Hovestädt: Ach, die Bahnstrecke? Sie standen an der Bahnstrecke?
Bernd Roth: Ja, wir standen an der Bahn und teilweise übrigens auch logischerweise die Straßen, weil nach [unverständlich] führt ja eine enge Straße.
Dagmar Hovestädt: Erschien Ihnen das damals sinnvoll? Für einen jungen Mann, den man gen Westen transportieren wollte?
Bernd Roth: Ja, klar. Damals war das sinnvoll für mich. Ich muss das so sagen, es wäre gelogen, wenn es nicht so wäre. Und das hanebüchene an der Angelegenheit insgesamt war ja auch das, dass ich sowohl seinen Vernehmer Seidel persönlich gut kannte, dass ich den Oberst Horn persönlich sehr gut kannte und einige andere auch. Selbst den Herrn Bock, der aus der Abteilung Inneres, das ist ja ein OibE gewesen, der von Saalfeld dorthin versetzt worden ist.
Dagmar Hovestädt: Abteilung Inneres war die, die Herrn Jahn einbestellt hatten.
Bernd Roth: Ja, da ist er ja immer hin bestellt werden, denke ich mal. Der Name dürfte ihn ja was sagen. Und da gab es natürlich große Schenkelklatschen, weil Bock war dann anschließend, das ist mal eine kleine Episode, auf der Kreisdienststelle Saalfeld und da haben die dann sich schenkelklatschend erzählt, wie sie den Jahn dort oben verdoktert haben auf fiesester Art und Weise. Ich meine, damals hat man möglicherweise mitgemacht, aber Zweifel hat das schon gebracht, wie man mit Menschen umgeht. Das gehört auch zur Wahrheit. Ich bin ja viele Jahre IM gewesen in der Jugendbewegung und ich bin ja durch diesen Einsatz als IM auf Leute gestoßen, die ähnlich verfasst waren wie Roland Jahn. Nicht ganz so dramatisch zu dem Zeitpunkt, aber sowas hinterlässt auch Spuren. Und da gab es auch Zweifel. Und auf der anderen Seite ist natürlich auch zu erwähnen, dass 1982, '83 die Dienststellenleitung in Jena fast komplett ausgetauscht wurde wegen der desaströsen Leitungsverhältnisse dort. Das hing auch irgendwie mit der Angelegenheit Domaschk zusammen. Im Vorfeld '81 war das wohl.
Dagmar Hovestädt: Matthias Domaschk, ein Freund von Roland Jahn, der 1981 in Stasi-Haft gestorben ist.
Bernd Roth: Und mein Seelenvater in Saalfeld, der Kreisdienststelle, der Oberst Schleitzer, da gab es auch andere Auffassungen dazu. Also so wie er das schon erzählte, gab es also im MfS auch Offiziere, die darüber nachgedacht haben: Was schaffen wir uns damit eigentlich? Wir schaffen uns Feinde, die dann letztendlich, zugespitzt gesehen, dann dort in Anführungsstrichen landen, wo Roland Jahn dann gelandet ist. Also da gehören sehr viele Facetten auch dazu. Muss man auch dazu erzählen.
Dagmar Hovestädt: Das ist vielleicht ein ganz guter Moment, auf ein Tondokument hinzuweisen und es abzuspielen. Das stammt aus der Bezirksverwaltung Dresden. Wir haben eine sehr größere Kollektion an mitgeschnittenen Dienstbesprechung. Das können Sie vielleicht lösen, warum die Stasi sich selber so viel mitgeschnitten hat? Das ist passiert ungefähr zweieinhalb, drei Wochen nachdem Roland Jahn gewaltsam in den Westen gebracht wird. Es spricht der damalige Dienstchef der Bezirksverwaltung Dresden.
[Beginn O-Ton]
[Horst Böhm:] Hier im-, im-, im jüngsten Spiegel, Genossen, ist ein großer Artikel von diesem Jenaer oder über diesen jenaer Banditen, der kürzlich ausgewiesen wurde. Das Zögern der Kirche und so weiter. Dieser-, dieser Roland Jahn aus Jena. Was war passiert, damit Ihr in etwa wisst, nicht wahr, alle, wie das zusammenhängt. Dieser Jahn, der beschäftigt ja uns schon seit einigen Jahren. Saß auch schon mal - Plakate - ein Jahr in der Haft. Er gehört sozusagen zu Jenaer Friedensszene, gibt echte Verbindungen nach Westberlin, Fuchs und war an allen Aktionen och mitbeteiligt, voriges Jahr, am 24. Dezember und am 23. November. Immer hat er sozusagen in Richtung politischen Untergrund gemacht. Auf jeden Fall: Dieser Jahn saß in der Haft, Bezirksverwaltung in Gera, und hat dort einen Antrag geschrieben, wollte nach Westen übersiedeln. Und gut, er wurde dann aus der Haft entlassen und jetzt och wieder zu Pfingsten trat er in Erscheinung oben in Potsdam, auch wieder mit Plakaten und so weiter. Es wurde auf jeden Fall entschieden, der Jahn macht die Mücke und geht endlich nach Bonn. Und nun haben die Genossen von Inneres haben bestellt und auf einmal hat er gesagt: Nee, ich will nicht nach Bonn. Und um dieses Arschloch endlich los zu kriegen und auch in diese Szene des Untergrundes 'ne Bresche zu brechen, wurde er da eben abgeschirmt, zugesetzt und in den Arsch getreten - ich sag's mal mit meinen Worten so. Und wo der plötzlich jetzt drüben war, wurde er natürlich vom Feind - Genossen - in Empfang genommen. Und was zeigt sich? Und auf diese Dinge müssen wir auch in Dresden gefasst sein. Über all seine Aktionen der letzten drei Jahre, wo der - äh - äh - äh - Jahn, nicht wahr, gewirkt hat, sind auf einmal die Bilder drin. Also, wo der in Jena mit Plakaten rummarschiert ist oder in Berlin oder dort. Überall sind jetzt die Bilder drin. Daraus geht auch hervor, fürn- fürn-, fürn operativ klugen Genossen, für nen politisch - nicht wahr - Die waren immer dabei. Der Feind, Journalismus oder, oder, war immer dabei. Immer wo der aufgetreten ist, war der dabei. Und och wir, Günter Lehmann, vor allem im Zusammenhang jetzt, nicht wahr, mit diesen Sicherungseinsätzen in Dresden. Wir müssen damit rechnen. Journalismus, aber auch andere Banditen, die bestimmte Dinge nicht mal sofort fotografieren. Und die müssen wir richtig erkennen. Nicht, dass wir uns auch dann alle im Spiegel wieder lesen. Ich habe diesen Artikel heute abgekupfert, habn de-, den Genossen der XX und der AKG und Objektdienststelle oder Kreisdienststelle - ich habn euch nübergeschickt. Die Genossen, die mit dieser Sache Kampf gegen den Untergrund zu tun haben, müssen den Artikel aufmerksam lesen und die notwendigen Schlussfolgerungen daraus ziehen.
[Ende O-Ton]
Dagmar Hovestädt: Es ist eine interessante Konstellation von zwei verschiedenen Quellen, der Zeitzeuge hat eben auch schon berichtet.
Roland Jahn: Ja, auch das. Herr Böhm ist auch ein Zeitzeuge, der lebt zwar nicht mehr, aber er hat einen anderen Blickwinkel und es ist interessant sozusagen wie das zusammenkommt. Und das ist ja das Gute an Archiven, dass die Dokumente bereitgestellt werden und eine authentische Kraft auch haben, wie die damals gedacht haben. Und ja, es gab einen Spiegel-Artikel, weil ich habe nämlich die Gelegenheit genutzt, dann im Spiegel das zu erzählen, was ich in Jena, in der DDR, erlebt habe. Es gab auch sonst öffentliche Auftritte in Tagesschau, Tagesthemen und so weiter, und das hat natürlich auch wieder hinein gestrahlt. Und zweitens gab es natürlich dann auch die Möglichkeiten, auch politisch das zu vermitteln. Ich wurde gleich nach meiner Ausbürgerung eingeladen von der Bundestagsfraktion der Grünen. Lukas Beckmann vom Bundesvorstand hatte mich dann nach Bonn eingeladen, also war ich doch dann in Bonn angekommen, so wie Herr Böhm aus Dresden gesagt hat, dass sie mich nach Bonn geschickt haben. Ja, und dort habe ich natürlich Partner gefunden, gerade auch, was die Friedensbewegung damals '83 betraf. Das diese blockübergreifende Friedensbewegung, wie wir immer gesagt haben, sich dann auch gefunden hat sozusagen und sich ausgetauscht hat. Und das war ganz, ganz wichtig, weil damit haben wir auch eine Möglichkeit geschaffen, dass die Solidarität mit den Menschen in der DDR - und es saßen ja noch ja Hunderte oder Tausende von Leuten im Gefängnis. Wir sind ja rausgekommen, weil über uns berichtet worden ist. Im Gefängnis saßen aber noch ein Haufen Leute und ich selber habe ja mit Leuten zusammen gesessen in Cottbus, wo jemand drei Jahre gekriegt hat, weil er die Losung "Schwerter zu Pflugscharen" in Freital an die Brücke geschrieben hat. Und die Leute brauchten Solidarität. Und da war es wichtig, im Westen Partner zu haben wie die Grünen, die immer wieder gesagt haben: Menschenrechte sind unteilbar, wir müssen aufmerksam machen. Und wenn ich das heute höre, auch den Herrn Böhm höre, diese Wut gegen Journalisten, dann denke ich sozusagen an Belarus. Dann denke ich dran zu sagen, wie wichtig es ist, dass es freie Information gibt und dass es weltweit auch immer wieder Aufmerksamkeit gibt, wo Menschenrechte verletzt werden. Und das ist für mich so ein Punkt, auch in der Frage: Warum erzählen wir denn von damals? Nicht weil wir uns nur dran freuen, dass jetzt Herrn Roth abgeschworen hat und wir ihn jetzt hier empfangen können auf dem Campus für Demokratie und nicht er uns in der Zelle empfängt. So haben die Zeiten sich geändert. Die Revolution von '89 hat die Peiniger mit befreit und das ist das Schöne dran.
Dagmar Hovestädt: Bernd Roth, wenn Sie den Ton hören. Offensichtlich hat das sehr gesessen, dass so viel Publizität hergestellt worden ist über das, was in Jena passiert ist, was mit Roland Jahn passiert ist. Was denken Sie, wenn Sie den Bezirksverwaltungschef zuhören und so eine Dienstbesprechung? Erinnert Sie das an Ihre eigenen Dienstbesprechung? Und warum ist diese Wut tatsächlich so da gewesen?
Bernd Roth: Es war sehr unterschiedlich geartet, muss ich auch sagen. Also so blöd wie der spricht, das machte nicht jeder. Manche haben geschliffener gesprochen, aber haben letztendlich dasselbe gesagt. Das ändert aber nichts. Also, da beschleicht einem schon etwas Scham. Aber der Mann war ja als solcher bekannt. Und das Schlimme war eben, dass der einen sehr hohen Einfluss auf den Mielke auch hatte und dass da natürlich in seinem Sinne auch Charta-Politik betrieben hat und das da Leute also dann letztendlich gefördert worden sind, mit denen ich es teilweise auch später zu tun hatte und so. Aber ansonsten ist das natürlich eine total beschämende Angelegenheit. So wie das alles absurd ist.
Dagmar Hovestädt: Das sagen Sie heute.
Bernd Roth: Ja, logisch ist das absurd, wenn ich mir diese Gebäude angucke und so. Ich war nur einmal hier, aber es ist absurd, bei allem Leid, das damit in Zusammenhang steht. Aber es ist letztendlich, das muss man im Resümee- Ich sehe das so: Es gibt eben Dinge in der Menschheitsentwicklung, wenn die nichts mehr taugen, müssen sie weg.
Dagmar Hovestädt: Okay. Ich würde vielleicht noch mal kurz einen Schritt zurück wieder treten in die Analyse. So stark wie sich die Kritik auch an der Informationslieferung äußert. Was heißt das eigentlich für die Stasi, dass es gelungen ist, sozusagen über all diese Vorgänge so viel Öffentlichkeit herzustellen und warum ist so viel Wut bei der Verfolgung der Opposition mit dabei?
Prof. Dr. Daniela Münkel: Die Herstellung der Öffentlichkeit ist ja das Gefährlichste überhaupt, was passieren konnte in einer Diktatur, die ja die Öffentlichkeit lenkt. Das ist ja mit Herrschaftsstrategie. Und das Perfide war ja und das Gefährliche und was die DDR ja nie in den Griff bekam ist, dass die Ausstrahlung aus den Westmedien ja jeden Abend in den Osten zurückstrahlten. Und das war etwas, was man ja nicht in den Griff bekam. Da konnte man ja nichts gegen machen. Das war so und das machte das Ganze natürlich besonders gefährlich, Herstellung von Öffentlichkeit. Und damit wird auch ein Stück Ohnmacht der Staatssicherheit natürlich deutlich. Und insofern ist das ein ganz zentraler Punkt, der eben auch dazu führt, dass man versucht, diese Opposition möglichst klein zu halten, die Verbindung nach Westen zu kappen, weil das kann man machen oder sich eben der Leute zu entledigen, indem man sie in die Bundesrepublik abschiebt. Und das ist ja eine Strategie, die man dann in den 80er Jahren bis zum Ende fährt. Also auch '88, '89 werden Bürgerrechtler zeitweise oder ganz aus der DDR ausgewiesen und man denkt so, dass man das Problem in den Griff kriegt, indem man die Leute eben in die Bundesrepublik ausbürgert. Dabei hat man nicht ins Kalkül gezogen, dass es eben weiterhin Kontakte gab und dass diese Leute eben auch dafür gesorgt haben, dass dieses Thema in der Bundesrepublik virulent war. Wir dürfen uns auch nichts vormachen: In den 80er Jahren war die DDR nicht das Thema, was die bundesdeutsche Öffentlichkeit permanent interessiert hat, da hatte man ganz andere Themen. Und deswegen waren solche Leute eben sehr wichtig, die dieses Thema immer wieder in die Öffentlichkeit brachten und damit den Oppositionellen auch ein Stück Sicherheit boten, weil die Sachen ja bekannt wurden.
Dagmar Hovestädt: Bernd Roth hat das eben angesprochen, wenn man die Selbstkritik sozusagen da fortsetzt. Eigentlich ist die Friedensgemeinschaft Jena, diejenigen, die in Westen gegangen sind, nicht alle, aus dem Westen heraus noch viel gefährlicher geworden. Was wäre passiert, wenn Roland Jahn in Jena geblieben wäre?
Bernd Roth: Gute Frage.
Prof. Dr. Daniela Münkel: Ich glaube, Roland Jahn ist ein großes Eigentor der Staatssicherheit gewesen. Also man sieht das sogar an den Berichten. 1983 kommt das so ein bisschen vor, aber nicht so prominent, wie man es vielleicht erwarten würde. Aber 1988, '89 ist Herrn Jahn sehr prominent in den Berichten vertreten als großes Sicherheitsrisiko. Und durch die Tätigkeit als Journalist und die Herstellung der Öffentlichkeit, gerade auch im Zuge der friedlichen Revolution, ist das ganz zentral. Und insofern ist Herr Jahn für die DDR und die Staatssicherheit im Westen viel gefährlicher gewesen, würde ich meinen, als er in der DDR jemals gewesen wäre.
Bernd Roth: Das ist richtig.
Dagmar Hovestädt: Bernd Roth stimmt dem zu. Roland Jahn, ist das für dich selber eine Mission gewesen? Warst du dir dessen bewusst, dass das notwendig ist, genau da jetzt weiterzumachen?
Roland Jahn: Nicht unbedingt. Also erst mal ist es ein Schock, das zu erleben. Du bist ja dann nicht derjenige, der geflohen ist über die grüne Grenze, um endlich in Freiheit zu kommen, sondern du bist derjenige, der gewaltsam aus der Heimat gebracht wird. Und da ist ja auch Verlust dabei. Aber meine Ausbürgerung ist nur die Zuspitzung dessen, was auch die anderen erlebt haben. Gerade in der Aktion "Gegenschlag", die auch alle nicht mit wehenden Fahnen in den Westen gezogen sind. Und so ist die erste Phase im Westen eine ganz schwierige Findungsphase. Du weißt nicht, was du bist, bist du Ostdeutscher oder westdeutsch. Dann sagt dir ein Journalist vom RIAS: Willst du ewig der Dissident sein? Wann kommst du endlich mal an im freien Westen? Genieß doch mal die Reisefreiheit. Was willst du dich mit der DDR beschäftigen? Da kommst du nie wieder davon los und bist ewig weiter gefangen und solche Sachen. Und so habe ich auch meine Zeit gebraucht, um für mich einen Weg zu finden. Ich bin auch durch ganz Europa gereist. Und dann stehste auf der Akropolis und denkst: Mensch, das ist ja wie in Jena, so ins Tal zu blicken. Und plötzlich kommen wieder Heimatgefühle. Und in dieser Zerrissenheit habe ich mich nicht zurecht gefunden. Zwei Jahre lang nicht. Bis ich dann endlich mal eine Gelegenheit hatte, illegal nach Jena zu kommen. Und dann kam ich nach Jena. Und was war? Die Stadt war klein, grau und dreckig. Ja, und mein Abtransport an einem schönen Sommerabend, Saaletal, das war hängengeblieben. Aber nein, sie war klein, grau und dreckig. Und alle Freunde, die ich getroffen habe, haben nur über Ausreise geredet, wollten auch weg und endlich das Ganze hinter sich lassen. So, und da habe ich für mich begriffen: Es ist egal, wo du bist, irgendwo musst du dich selber finden. Und als ich dann nach Ostberlin gefahren bin und dort die ganzen Oppositionellen getroffen habe und die Frage stand: Bleibe ich jetzt illegal im Untergrund oder was mache ich überhaupt? Haben die alle gesagt: Wir brauchen dich in Westberlin, wir brauchen dich als Kontaktperson zu den Medien, wir brauchen die Bücher, die Druckmaschinen. Du bist für uns wichtig, uns zu unterstützen. Und du bist für uns jemand, dem wir vertrauen und der auch in den Medien dafür sorgen kann, dass das geschehene Unrecht in der DDR nicht im Verborgenen bleibt. So, und ab dem Tag hatte ich irgendwo einen klaren Auftrag, wenn man so will. Der dann auch durchaus zum Lebensinhalt wurde, in dem ich so Sachen dann noch mal ganz verstärkt und gezielt gearbeitet habe bei Medien. Also sprich, ich habe eine ganze Palette von Zeitungen versorgt mit Informationen und bin dann halt über Rundfunk auch zum Fernsehen gekommen und habe dann beim ARD-Magazin Kontraste gearbeitet. Und das war natürlich eine super Sache. Ich habe dann Videokameras gekauft, in den Osten geschickt und dort haben wirklich sehr, sehr mutige Leute, das muss man immer noch mal zu sagen, die haben wirklich ein paar Jahre Knast riskiert, sind mit dieser Kamera unterwegs gewesen und haben Aufnahmen gemacht von Umweltzerstörung, von Stadtzerfall, von Wahlbetrug und all das, was es so gab. Und das haben wir dann im Westfernsehen gesendet. Und das war natürlich das, was Frau Münkel dann gesagt hat. Das war natürlich dann die Zuspitzung der Auseinandersetzung mit der Staatssicherheit und das kann ich heute alles schön in den Akten nachlesen.
Dagmar Hovestädt: Warum wurden solche Dienstbesprechung eigentlich mitgeschnitten? Gibt es dafür einen Grund?
Bernd Roth: Es war möglicherweise Selbstdarstellung. Um diese Tonträger dann weiterzugeben in die Dienststellen, um die Meinung des BV-Chefs dort ins Volk, ins MfS-Volk zu tragen. Möglicherweise auch Nachlässigkeit. Aber ich vermute mal eher - wenn Mielke gesprochen hat irgendwo in den Bezirksverwaltungen, da gab es also eine Karte, KD-Leiter etc. etc., also alle diese Führungsebenen. Und dann gab es einen weiteren Raum, da saßen dann die Kleineren und da wurde übertragen und solche Tonträger wurden dann eben - auch Mielke Reden sind weitergereicht worden. Da haben wir uns zu Dienstversammlungen einfinden müssen und dann wurde uns das eben vorgespielt. Zur allgemeinen Berieselung.
Dagmar Hovestädt: Und Sie selber haben gesagt, Sie hatten mit der ZAIG direkt Berührung und zwar ganz am Ende ihrer Stasi-Karriere sozusagen, im Jahr 1989. Da waren Sie auch hier. Wie haben Sie die ZAIG von innen dann sozusagen erlebt?
Bernd Roth: Eine sehr straff organisierte Diensteinheit. Man darf nicht vergessen, dass der Oberst Becker und der Hopfer, das waren [unverständlich] Leute. Also, ich war ja schon mal in der Situation Anfang der 80er, wo mich Becker nach Berlin abwerben wollte. Das hat aber meine damaliger Dienststellenleiter verhindert. Und die waren also auch vom Intellekt anders. Und ich bin damals aufgebaut worden und hatte einen schnellen Kurs zum Leiter Kontrolle in der AKG in Gera und saß dann mit im Vorzimmer der Generalität. Also als sogenanntes Stabsorgan. So, und aus diesem Grunde habe ich Becker und Hopfer auch persönlich kennengelernt über einige Wochen.
Dagmar Hovestädt: Das heißt, Sie kommen aus der Dienststelle und sollten kennenlernen, wie all die Informationen zusammenfließen?
Bernd Roth: Ne, die wollten, dass ich mir ein Bild mache über die Situation der Bezirksverwaltung Gera. Und da gibt es eine wunderschöne Episode: Als Becker mich dann mal bestellt hatte, dann sagt er: Jetzt kommen wir zur letzten Etappe. Jetzt lege ich Ihnen mal alle Untersuchungsberichte der Kontrollgruppe von der BV Gera vor. Und da ist es mir regelrecht aus den Augen gefallen, weil die innere Kontrolle hat natürlich auch die gesamten Missstände aufgearbeitet. Und da habe ich dann leibhaftig über Leute lesen können, die zu meinem Umfeld gehörten, also zu den Leitern der Kreisdienststellen etc. Und es war also die Innenansicht ist eine Katastrophe gewesen, wenn ich mich daran noch entsinne. Aber das ist dann eben nicht mehr zum Tragen gekommen, weil im Oktober mit mit dem 40. Jahrestag war dann sowieso fast alles vorbei.
[Jingle]
Maximilian Schönherr: Das war zuletzt Bernd Roth, Jahrgang 1951, in der DDR Offizier der Staatssicherheit und 1983 Major in der Kreisdienststelle Saalfeld. Anfangs hörten wir die Historiker Dr. Mark Schiefer und Dr. Martin Stief. Roland Jahn, Jahrgang 1953, der letzte Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, erzählte von seinen dramatischen Jahren 1982 und '83. Die Prof. Dr. Daniela Münkel ordnete alles in den größeren historischen Kontext ein. Sie ist Herausgeberin der Edition: DDR im Blick der Stasi: Die geheimen Berichte der Stasi an die Staats- und Parteiführung. Und sie ist Leiterin der Forschung im Stasi-Unterlagen Archiv im Bundesarchiv.
Dagmar Hovestädt: Der Podcast findet auch heute wie jedes Mal seinen Abschluss mit einer akustischen Begegnung mit dem Stasi-Unterlagen-Archiv. Ein Ton aus der riesigen Audiodokumenten-Sammlung, wie immer zufällig ausgewählt und ohne inhaltlichen Zusammenhang zu dem, was in der Podcast Folge vorher besprochen wurde.
[schnelles Tonspulen]
Elke Steinbach: Mein Name ist Elke Steinbach und ich kümmere mich mit meinen Kolleginnen und Kollegen um die Audio-Überlieferung des MfS. In geteilten Staaten oder Städten gibt es geteilte Familien und Beziehungen. Oft sind diese Trennung mit viel Leid verbunden. Unser heutiges Beispiel entspricht allerdings nicht den üblichen Vorstellungen, wenn von diesem Thema die Rede ist. Seine schmerzhaften Erfahrungen mit einer DDR Frau sprach folgender West-Berliner auf eine Kassette, die aus einer Akte stammt. Wegen der häufigen Reisen zu seiner Freundin nach Ost-Berlin, interessierte sich die Stasi für ihn. In der Akte steht unter anderem, dass es eine Einreisesperre durch die Polizei wegen einer Auseinandersetzung gab, weil sich seine Freundin von ihm getrennt hatte. Er schrieb einen Brief an die Familienfürsorge wegen Zitat: asozialer Lebensweise und Fluchtabsichten seiner ehemaligen Freundin. Anwerbeversuche der Stasi wurden aber wegen Perspektivlosigkeit eingestellt. Aus der 60 minütigen Aufnahme hören wir 3.
[Archivton]
[männliche Stimme 1:] So, jetzt ist es 1 Uhr und ich finde keine Ruhe. Ich kann nicht schlafen. Aus dem einfachen Grunde, weil du mir immer noch durch den Kopf gehst. Du hast mir so unheimlich viel Leid gebracht und Ärger gebracht durch deine ganzen Machenschaften-, Machenschaften. Du hast mich ruiniert. Du hast mich seelisch richtig fertig gemacht. Und das dit uffhört. Das du nicht den nächsten auch wieder so kriegst wie mich. Ich war ja nun schon der dritte Mann, oder der vierte viel mehr, den du ausgenommen hast wie 'ne hohle Weihnachtsgans mit Bedacht. Hast mir die Heirat versprochen. Du wolltest mich heiraten. Wir wollten uns zusammentun, dass dein Junge nen Vater kriegt, dass er ein anständiges Leben führen kann. Aber so wie das nun passiert ist - und ich lasse mir das nicht bieten. Ich nehme die Kassette auf und werde an der gegebenen Dienststelle weiterleiten. Die können dann sehen mit dir, wat se machen. Denn du weeßt ganz genau, du hast keine Lust zum Arbeiten. Spinnst deiner Ärztin dauernd wat vor, dass de krank bist. Du bist nämlich gar nicht krank. Ich habe dir aus der Patsche geholfen. Du warst arm wie ne Kirchenmaus. Ich hab dir alles gegeben, alles was ich konnte. Ich hab mit dir letzten [unverständlich] geteilt und du gibst mir so ein Dank dafür. Meinst du dat dat richtig ist? Ich glaube nicht. Ich habe dir praktisch alles in der Wohnung rinngestellt, was du hast, außer deine Möbel, die konnte ich dann noch nicht auch noch hinschleppen. Aber allet wat du an den Wänden hast, allet wat du gehortet hast, an Kaffee, Schokolade, Lebensmittel in rauen Mengen, ein Fernsehgerät, Stereo-Kassettenrecorder. Und das hast du alles mit Bedacht, hast du mir das abgenommen und hast mich fertig gemacht. Genau wie die anderen Kerle.
[Beginn zweiter Aufnahme]
[männliche Stimme 1:] Na und dann hatte ich noch vergessen: Mit die Bettwäsche, die ich da rübergebracht habe und da hast du mir noch vorgejammert, bei euch gibt's keine Bettlaken - Bettlaken mitgebracht, da hab ick da zwei dicke Kuscheldecke mitgebracht, Wolldecken, damit ich nicht unter deinem verklumpten Bette schlafen brauchst. Denn habe ich da Kopfkissen mit-, zwei Kopfkissenbezüge, eine ganze Bettgarnitur und ein Federkissen mitgebracht. Hätte-, was soll ich denn noch alles mitbringen? War dit immer noch nicht genug? Und dit ist deine Dankbarkeit? Da hab ick dir Stofftierchen gekauft, die auf deine Couch oben druff stehen, och. Hä - Aber alles für die Katz.
[schnelles Tonspulen]
[Jingle]
Sprecher: Sie hörten:
Sprecherin: "111 Kilometer Akten -
Sprecher: den offiziellen Podcast des Stasi-Unterlagen-Archivs."
Die Datenbank zu den geheimen Berichten, die die "Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe" (ZAIG) des MfS verfasst hat, gewährt den Zugriff auf sämtliche Dokumente eines Jahrgangs.
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