Text
Nr. 107
Aufzeichnung über Besprechungen mit dem Reichsminister des Innern am 26. März 19231
Am Donnerstag [22. 3.] teilte Minister Severing Herrn Reichsminister Oeser mit, er habe belastendes Material gegen Rossbach und wolle das dem Reichspräsidenten vortragen. Darauf Anregung Oesers, gemeinsam beim Reichspräsidenten die Sache zu besprechen. Severing teilte dann in mündlicher Besprechung mit dem Reichspräsidenten und dem Reichsinnenminister das Material mit, unter anderem das Parteiorganisations-Schema. Oeser schlug schleunigstes Benehmen mit Reichsjustizministerium und Oberreichsanwalt vor. Severing bat, die Besprechung am Freitag gegen Abend nach der Interpellation zu halten. Die Besprechung fand dann Freitag abends im Reichsjustizministerium statt in Gegenwart von Reichsjustizminister, Reichsinnenminister, Staatskommissar Weismann und Reichskommissar Kuenzer. Severing selbst kam nicht, weil von der Landtagsverhandlung zu ermüdet. Von preußischer Seite wurde dabei der Gedanke angeregt, eine Verordnung aufgrund des Artikels 48 gegen die nichtmilitärischen Vereinigungen zu erlassen. Dabei ließ Severing den Gedanken der Auflösung der Deutschvölkischen Freiheitspartei ankündigen. Von juristischer Seite wurden keine besonderen Bedenken geltend gemacht, auch von Heinze nicht. Das war am Freitag, dem 23. 3., demselben Tag, an dem die Interpellation im Landtag stattfand und die Auflösung der Deutschvölkischen Freiheitspartei erfolgte2.
Auch Minister Oeser hat lebhafte Bedenken gegen Auflösung einer ganzen Partei3. Er läßt die Rechtsfrage eben prüfen und wird nun Stellungnahme beim Staatsgerichtshof vorbereiten.
Der Oberreichsanwalt erklärte in der Freitagsbesprechung sich für amtlich verpflichtet, sobald das Urteil des Staatsgerichtshofs gegen die Nationalsozialistische[333] Arbeiterpartei vorliege, auch in Bayern selbständig vorzugehen4. Es sei unerträglich, wenn in 6 Ländern die Partei rechtskräftig verboten sei, sie in Bayern weiter wirken zu lassen. Der Herr Reichsminister des Innern meinte, daß man Bayern vor die Wahl stellen müsse, entweder von Reichswegen das größere, nämlich die Auflösung der gesamten Partei, über sich ergehen zu lassen, oder von sich aus das kleinere, die Auflösung der Sturmabteilungen, zu verfügen. Er regte die Frage an, ob es nicht zweckmäßig wäre, wenn er alsbald, etwa zur Besichtigung des Deutschen Museums, nach München führe. Ich warnte davor, ein Eingreifen des Oberreichsanwalts ohne sehr genaue vorherige Prüfung der politischen Wirkungen zuzulassen. Sachsen gegenüber wird geprüft, ob das sozialistisch-kommunistische Programm mit der Reichsverfassung vereinbar ist5. Es wurde der Gedanke angeregt, ob es nicht zweckmäßig wäre, eine solche theoretische Untersuchung zu veröffentlichen.
In einer Besprechung mit Oberst Kuenzer erklärte dieser, daß alsbald Preußen aufgefordert worden sei, möglichst bald sein Material dem Reichsministerium des Innern zukommen zu lassen. Er bestätigte, was ich [vermutlich Hamm] vorher mit Exzellenz Heinze besprochen hatte, daß dann Reichskanzler, Reichsjustizminister und Reichsinnenminister die Frage entscheiden müßten, welche Stellung beim Staatsgerichtshof einzunehmen sei. Es handelte sich dann um die hochpolitische Frage einer Stellungnahme zu Preußen6.
Fußnoten
- 1
Die Aufzeichnung ist nicht unterzeichnet; sie könnte von StS Hamm stammen.
- 2
Die weitere Stellungnahme des RJM beleuchtet ein Vermerk „Aus Besprechungen mit dem Herrn RJM Heinze am 26. 3.“: „Graefe, Henning und Wulle waren Sonnabend [24. 3.] bei Heinze. Dieser hielt sich hierbei sehr zurück und lehnte Eingreifen der RReg. ab, verwies auf Rechtsweg und erklärte, Urteil abzuwarten. Die Rechtsfrage wird im RJMin. nicht einheitlich beurteilt. Heinze will beim Staatsgerichtshof durch den Oberreichsanwalt oder das RIMin. auf Beschleunigung dringen, jedenfalls dahin, daß die Entscheidung vor Zusammentritt des RT [11. 4.] fällt. […] Heinze hält persönlich das Vorgehen gegen die DVF nicht für allzu unglücklich, ja in gewissem Sinne für glücklich, weil damit Eingreifen gegen die KPD erleichtert werde.“ (R 43 I/2678, Bl. 210).
- 4
Der Staatsgerichtshof hatte am 15. 3. die Beschwerde der NSDAP gegen die Auflösungsverfügungen in Preußen, Mecklenburg-Schwerin, Baden, Sachsen, Thüringen, Hamburg und Bremen verworfen. Wortlaut in: Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, hrsg. von E. Huber, Bd. 3, S. 266 ff.
- 5
In Sachsen war es am 19. 3. zu einer Vereinbarung zwischen SPD und KPD gekommen, die der Regierung Zeigner unter bestimmten Bedingungen ihre Unterstützung zusagten (‚Ursachen und Folgen‘ Bd. V, S. 473 ff.). Vgl. Dok. Nr. 115, P. 5.
- 6
Am 28. 3. schreibt StS Hamm im Auftrage des RK an den RIM: „Die Frage, welche Stellung die RReg. in dem weiteren Verfahren beim Staatsgerichtshof einnehmen soll, ist eine Frage von außerordentlicher politischer Tragweite. Der Herr RK möchte daher bitten, die Entscheidung, die hierüber zu treffen sein wird, durch eine Besprechung in der Rkei vorzubereiten, die in den ersten Tagen nach Ostern stattfinden soll.“ (R 43 I/2678, Bl. 248). Der Randvermerk „5. RJM“ läßt darauf schließen, daß diese Besprechung am 5. 4. im RJMin. stattfand (Dok. Nr. 115).