Text
[48] Nr. 15
Staatssekretär Bergmann an den Reichskanzler und den Reichsminister der Finanzen. Paris1, 7. Dezember 1922, Ankunft 22.40 Uhr
R 43 I/33, Bl. 122 f. Durchschrift der Telegrammentzifferung
Delacroix hat dem in Berlin besprochenen Plan2 betreffend Ausbau Regierungsprogramms vom 14. 11. zugestimmt und empfiehlt:
1. Offizielle Verlautbarung der Grundzüge des Plans Freitag [8. 12.].
2. baldige Absendung entsprechender Note an Reparationskommission.
Die offizielle Erklärung müßte wie folgt lauten3:
1) Stabilisierung
Regierung legt nach wie vor Wert auf internationale Kredithilfe, hat sich aber inzwischen überzeugt, daß sofortiger Beschaffung auswärtiger Kredite große Schwierigkeiten entgegenstehen. Sie wird daher die Stabilisierungsaktion zunächst mit eigenen deutschen Mitteln, d. h. insbesondere unter Heranziehung von Fonds der Reichsbank4, einleiten in der Hoffnung, daß sie, wenn Deutschland diese Stabilisierungsaktion begonnen hat, zu deren Stützung auswärtige Kredite finden wird. Selbstverständlich kann eine Stabilisierungsaktion nur eingeleitet werden, wenn die Reparationsverpflichtungen Deutschlands für die nächsten Jahre in tragbarer Weise geregelt werden.
2) Reparationen
Deutschland wünscht für die nächsten Jahre eine Ablösung der laufenden Verpflichtungen in dem Sinne, daß die Leistungen durch eine im Auslande und Inlande zu begebende Anleihe finanziert werden. Für die im Inlande aufzunehmende Anleihe sind weitgehende Steuerbefreiungen in Aussicht genommen, um einen möglichst großen Zeichnungserfolg zu verbürgen. Der Erlös der auswärtigen[49] Anleihe würde vollständig, der Erlös der Inlandanleihe mindestens zur Hälfte für Reparationszwecke zur Verfügung gestellt. Die andere Hälfte des Erlöses der inneren Anleihe müßte bis zu einem bestimmten Betrage für Sachlieferungen und notwendige eigene Bedürfnisse Deutschlands verwendet werden, darüber hinaus würde auch die zweite Hälfte der Reparation zufallen. Mit der Emission des innern Teils der Anleihe würde sofort nach Zustandekommen des Plans vorgegangen werden.
3) Deutsche Regierung hält daran fest, daß endgültige Lösung des Reparationsproblems wichtigste und dringendste Aufgabe, glaubt aber, daß in Angriffnahme der Stabilisierung und Regelung der nächstjährigen Annuitäten, wie oben vorgesehen, nötig ist, um politische Beruhigung zu schaffen, ohne welche befriedigende Lösung nicht zu erzielen.
Deutsche Regierung bereit, zum praktischen Ausbau dieser Gedanken sofort mit Alliierten in Verhandlungen einzutreten. Erklärung müßte so früh abgegeben werden, daß sie möglichst Freitag [8. 12.] schon in London in Spätabendblättern erscheinen kann. Reise Freitag vormittag mit Regierungsrat Meyer nach London, hoffe Bradbury Freitag nachmittag zu treffen. Melchior eintrifft Sonnabend nachmittag, 6 Uhr, Bellevuestr., wohin Nachricht wegen Wolff-Berichterstattung erbitte.
Bergmann
Fußnoten
- 1
Bergmann war von Berlin zunächst nach Paris gefahren, obwohl StS Fischer am 4. 12. aus Paris gedrahtet hatte: „Bezweifele, daß Bergmann und Melchior am Donnerstag hier bei Repko praktischen Einfluß auf Verlauf Londoner Konferenz nehmen können und halte jedenfalls Bergmanns frühzeitigste Anwesenheit in London für weitaus wichtiger.“ (R 2/1900, gefunden in R 2/2900, Bl. 40 f.). Sthamer telegrafiert aus London am 7. 12.: „Englische Regierung hat meines Wissens nicht Wunsch ausgesprochen, deutsche Sachverständige während bevorstehender Premierminister-Konferenz hier zu haben, würde es aber empfehlen, sie herzusenden für den Fall, daß erwähnte Garantien wirklich erörtert werden sollten.“ (R 2/3124, Bl. 141).
- 2
Anfang Dezember haben offenbar verschiedene Besprechungen über die Reparationsfrage stattgefunden, über die Unterlagen in R 43 I nicht zu ermitteln waren (vgl. Anm. 10 zu Dok. Nr. 5).
- 3
Inhaltlich decken sich die Darlegungen Bergmanns im wesentlichen mit der dt. Note vom 9.12.22. Darüber hinaus betont die dt. Note noch einmal die Vorbedingungen für eine Stabilisierungsaktion, wie sie bereits in der dt. Note vom 14.11.22 dargelegt wurden. Außerdem legt sie die Pläne für die Inlandsanleihe im einzelnen dar.
- 4
Mit Schreiben vom 23. 11. hatte RbkPräs. Havenstein den RK darauf hingewiesen, daß die Bereitstellung von maximal 500 Mio GM zu Stabilisierungszwecken seitens der Rbk „schwersten Bedenken“ unterliege, wie sie bereits in den Beratungen mit den internationalen Währungssachverständigen am 8. 11. vorgetragen worden seien (R 43 I/32, Bl. 282 f.). Im dt. Reparationsangebot vom 9. 12. wird die Rbk nicht erwähnt.